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Versöhnung, Landminen, Babyboom

Vitorio ist 15, als er auf der Seite der Regierungstruppen, der MPLA, in den angolanischen Bürgerkrieg gezogen wird. Als der Krieg 2002 aufhört, ist er 35. In der Zwischenzeit hat er ein Bein durch eine Landmine verloren und zwanzig Jahre lang fast jeden Tag um seine Haut fürchten müssen - "ein ganzes Leben lang", sagt der Arzt mit mitleidiger Bewunderung, als er ihm in den ersten Minuten von "O Herói" die lang ersehnte Beinprothese überreicht, mit der Vitorio wieder laufen kann.
Die Prothese und sein Tapferkeitsorden: Diese beiden Dinge sollten doch genügen, um als Kriegsheld erkannt zu werden und in Luanda schnell eine Arbeit zu finden, denkt sich Vitorio. Doch als er die ersten Gehversuche auf dem Weg zurück in die normale Gesellschaft unternimmt, wird er zurückgewiesen. Bei der Bewerbung auf einer Baustelle kommt es, natürlich, auf körperliche Fitness an; der Vorarbeiter gibt Vitorio aus Mitleid lediglich ein wenig Geld für etwas zu essen. Und als sich der ehemalige Soldat, der auf der Straße übernachtet, am Brunnen auf dem Marktplatz waschen möchte, vertreiben ihn die Hausfrauen mit lautem Gezeter.
"Schätzungsweise 120 000 ehemalige Soldaten kehren in die Gesellschaft zurück und finden keine Arbeit", dringt es in einer Szene von "O Herói" aus einem Radio. Verkrüppelte, ehemalige Kindersoldaten, die von der angolanischen Nachkriegsgesellschaft ausgeschlossen werden - ist das realistisch? "Ja, durchaus", sagt Hendrik Ehlers. "Ende der 90er Jahre habe ich in Luanda beobachtet, wie Kriegsversehrte ihre Prothesen wieder nach Hause gebracht haben, weil sie ohne beim Betteln in der Straße mehr Geld bekommen."
Der 52-jährige Deutsche, der heute in Windhoek lebt, kam 1992 nach Angola, hat den Wiederausbruch des Bürgerkriegs miterlebt und kümmert sich seitdem mit der von ihm gegründeten Organisation "Menschen gegen Minen" um die Räumung von Landminen. Seine Frau, Lize Ehlers, ist in Namibia Vizevorsitzende der gemeinnützigen Organisation "AfricAvenir", die sich in Deutschland um politische Bildung kümmert, vor allem in Bezug auf Afrika. Ein Grund mehr für Hendrik, am Samstag zu der von AfricAvenir organisierten Vorführung von "O Herói" zu kommen, Rede und Antwort zu stehen und seine Meinung zu dem Film zu sagen.
Diese ist Grund auf positiv: "Ich habe selten eine so authentische Darstellung der Lebensverhältnisse in Angola gesehen", sagt Ehlers. "Hier in Namibia herrscht die Vorstellung vor, dass viele Angolaner arrogant und stinkreich sind. Der Film zeigt die Bewohner Luandas jedoch als das, was sie sind: ganz normale Menschen." Außerdem gefalle ihm "O Herói" auch als Film: ",O Herói' ist superprofessionell gemacht. Als Filmliebhaber freue ich mich immer, wenn einem afrikanischen Regisseur wie in diesem Fall Zézé Gamboa so etwas gelingt", sagt Ehlers.
Die Entstehung des Films steht allein schon stellvertretend für die widersprüchliche Geschichte Angolas. Das ursprüngliche Drehbuch stammt von 1992, als nach Zusammenbruch der Sowjetunion der Stellvertreterkrieg zwischen dem Ostblock und der NATO in Angola zum Erliegen gekommen war. Als dann kurz darauf der Krieg erneut aufbrach, wurde das Drehbuch liegen gelassen, und die Idee für den Film erst wieder aufgegriffen, als 2002 mit einem dauerhaften Frieden zu rechnen war. "Damals, im Februar 2002, als der UNITA-Führer Savimbi erschossen wurde, passierte das irrste überhaupt: Die UNITA-Soldaten zogen Minuten nach der Todesmeldung ihre Uniformen aus und zeigten sich bei der nächsten Polizeistation selbst an", berichtet Ehlers. "Niemand in Angola hat heute mehr Lust auf Krieg. Und ob Vitorio im Film auf der Seite der MPLA oder der UNITA gekämpft hat, ist eigentlich egal - er hätte seine Prothese trotzdem bekommen, für die Menschen in Angola macht das keinen Unterschied." Der 2004 fertig gestellte Film stelle jedoch die Lebensverhältnisse dar, wie sie zur Zeitpunkt seiner Entstehung aktuell waren. "Darauf werde ich am Samstag auch hinweisen", sagt Ehlers. Seitdem habe sich vieles in Angola geändert. Im Großen und Ganzen zum Besseren, wie Ehlers findet.
In "O Héroi" trifft Ex-Soldat Vitorio auf eine Lehrerin, die mit ihren Kollegen für bessere Arbeitsbedingungen streikt. "Nein", lautet die Antwort, und sie wolle auch keine. "Sollen die dann so aufwachsen wie diese Straßengangs und sich gegenseitig die Köpfe einschlagen?"
"Das ist Vergangenheit", sagt Ehlers. Die Jugendgewalt habe abgenommen, die Regierung inzwischen tausende Schulen gebaut, Siedlungen für junge Ehepaare würden entstehen und die Angolaner Kinder ohne Ende zeugen. Die gut organisierte Ausbeute von Öl und Diamanten bescherten dem Land zwischenzeitlich ein Wirtschaftswachstum von 27 Prozent - das ist Weltrekord. "In einem Affenzahn wurden Straßen und Flughäfen ausgebaut, Luanda hat eine funktionierende Müllabfuhr. Und auch die Kriegsversehrten bekommen inzwischen eine ganz ordentliche Pension", sagt Ehlers. "Manches andere Land kann sich da etwas abschauen."
Auch die Überbevölkerung in der Hauptstadt Luanda, die ursprünglich für 400 000 Menschen gebaut wurde, und in die während des Krieges um die 4 Millionen Menschen aus dem ganzen Land flüchteten, nehme derzeit ab - nicht zuletzt dank der Arbeit von Hendrik Ehlers. Dem dienstältesten Minenräumer in Angola ist die Räumung von 100 000 Minen zu verdanken, 2 500 Kilometer Straßen quer durchs Land konnten wieder freigegeben und etwa 3 Millionen Angolaner wieder zurück an ihre Heimatorte ziehen. Wenn er am Samstag zur Vorführung von "O Herói" ins Studio 77 kommt, werden es wohl wieder ein paar Minen weniger sein. Diese Woche war Hendrik Ehlers erneut in Angola - und bringt neue, frische Eindrücke mit.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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