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Vertrieben von geliebter Erde (Folge 10)

Mit der freundlicher Genehmigung der Gondwana Collection, im Besonderen Mannfred Goldbeck und Sven-Eric Stender, veröffentlicht die Allgemeine Zeitung an dieser Stelle das Büchlein „Vertrieben von geliebter Erde“. Es geht dabei um die Geschichte Deutscher Siedler im Süden Namibias zwischen Kolonialkrieg und dem Ersten Weltkrieg. Dabei steht das Leben der Brüder Alfons und Stephan Schandel im Hintergrund, die die Farm Karios am Fischfluss Canyon gründeten. Im fernen Europa, im serbischen Ort Sarajewo, fällt Mitte Juli 1914 ein Schuss, der die ganze Welt verändern sollte. Der österreichische Thronfolger erliegt der Kugel, Österreich-Ungarn erklärt Serbien den Krieg, Russland steht zu Serbien, Deutschland zu Österreich. Am 1. August übermittelt das Deutsche Kaiserreich Russland, am 3. August Frankreich die Kriegserklärung und marschiert im Zuge des Schlieffen-Plans in Belgien ein, obwohl es damit die internationale und auch von ihm selbst garantierte Neutralität verletzt. Daraufhin tritt am 4. August auch Großbritannien in den Krieg ein. Anfangs sieht es noch so aus, als würden sich die Kampfhandlungen auf den europäischen Kontinent beschränken – schließlich hatten die Kolonialmächte in der so genannten Kongo-Akte von 1885 für den Fall eines Krieges vereinbart, dass dieser nicht in die Kolonien getragen werde und in Afrika nicht Weiße gegen Weiße kämpfen würden. In Berlin verlässt man sich auf diesen Vertrag, und auch in Windhoek hoffen viele, dass sie vom Krieg verschont werden – leider vergeblich. Denn Großbritannien hat bereits 1911 von der Südafrikanischen Union im Geheimen die gewünschte Zusage erhalten, bei einem Krieg mit Deutschland die Kolonie Deutsch Südwestafrika zu besetzen. Diese Zusage ist allerdings heikel, denn die Mehrheit der Südafrikaner ist den Briten nicht wohl gesonnen. Die Burenkriege (1899 - 1902), in deren Verlauf britische Truppen zum Teil rücksichtslos und brutal gegen die kämpfenden Buren und ihre Familien vorgegangen sind, liegen erst 12 Jahre zurück. Inzwischen sind aber einige führende ‚afrikaanse‘ Persönlichkeiten der Ansicht, nur an der Seite Großbritanniens wieder groß werden zu können – darunter der ehemalige Buren-General Jan Smuts, der auch an der Gründung der Südafrikanischen Union im Jahre 1910 maßgeblich beteiligt war. Nach langem Streit stimmt das südafrikanische Parlament in Kapstadt Mitte September 1914 einer Besetzung Deutsch Südwestafrikas schließlich zu. Doch einige einflussreiche Buren widersetzen sich diesem Beschluss und es kommt zum Bürgerkrieg, der mehr als 1 000 Menschenleben fordert. Da die Aufständischen keine Geschütze haben, stellt die deutsche Schutztruppe eine Batterie zur Verfügung. Nach wenigen Monaten erlahmt allerdings der Widerstandswille; am 31. Januar 1915 wird bei Upington die Kapitulation unterzeichnet. Die deutschen Soldaten können sich noch gerade rechtzeitig mit ihren Waffen zurückziehen. Die Lage der Schutztruppe ist verzweifelt: Etwa 3 700 aktiven Soldaten und Reservisten steht eine Übermacht von rund 60 000 Südafrikanern gegenüber. Vom Nachschub aus der Heimat sind sie abgeschnitten: Am 19. September bereits wurde Lüderitz blockiert, am 25. Dezember landeten feindliche Truppen in Walvis Bay, am 15. Januar wurde Swakopmund besetzt. Unter der Führung von Smuts rücken diese Verbände von der Küste und von Süden her vor, und der Schutztruppe bleibt nichts anderes übrig, als hier und da hinhaltenden Widerstand zu leisten, Bahngleise und Brücken zu sprengen und sich zurückzuziehen. Im Rücken der Deutschen erheben sich Mitte April die Rehobother Baster, denen der ständige Rückzug der Schutztruppe nicht entgangen ist und die sich in geheimen Verhandlungen mit Smuts eine größere Eigenständigkeit zusichern lassen haben. Mehrere Soldaten, aber auch Farmer werden überfallen und getötet. Am 8. Mai findet bei Sam-Khubis rund 80 km südwestlich von Rehoboth ein blutiges Gefecht statt, dessen noch heute alljährlich mit einer Prozession gedacht wird. Die Schutztruppe schlägt den Aufstand nieder, muss jedoch dann rasch nach Norden abziehen, weil starke südafrikanische Verbände auf Windhoek vorrücken. Am 12. Mai wird die Stadt besetzt. Die Schutztruppe zieht ihre Soldaten nordöstlich von Otavi zusammen, Smuts marschiert ihr mit rund 35.000 Mann hinterher, und nach mehreren Friedensverhandlungen wird schließlich am 9. Juli 1915 bei Khorab etwa vier Kilometer nördlich von Otavi die Kapitulation unterzeichnet. Danach werden die aktiven Soldaten bei Aus interniert. Offiziere dürfen gegen Ehrenwort das Lager verlassen und Reservisten ins bürgerliche Leben zurückkehren. Alfons Schanderl arbeitet gerade in Keetmanshoop, als der Krieg ausbricht. Die Schutztruppe zieht ihn sofort ein und weist ihn seiner ehemaligen Einheit zu, der 4. Ersatzkompanie. Zehn Jahre ist es her, als er das letzte Mal in den Krieg gezogen war. Aber diesmal liegen die Dinge anders: Der Gegner ist technisch und zahlenmäßig weit überlegen. Ob er diesen Krieg lebend überstehen würde? Und was wird aus ihrer Farm? Der Süden des Landes war gegen die starke Übermacht der Unionstruppen nicht zu halten. Wahrscheinlich war mit Plünderungen zu rechnen. Was danach von der Farm noch übrig sein würde, wollte er sich lieber nicht ausmalen... Stephan erhält ebenfalls Marschbefehl – „doch ist seine Kriegsgeschichte ein Kapitel für sich“, schreibt seine ältere Schwester Elisabeth Ottenweller später. Sie ist aber offenbar nicht mehr dazu gekommen, dieses Kapitel zu erzählen. So bleibt es bei einem Satz, mit dem sie andeutet: „Stephan floh mit Großvieh auf portugies. Gebiet.“ Dieser Satz gibt große Rätsel auf. Mit der portugiesischen Kolonie kann nur Angola gemeint sein, denn Mosambik ist nur über britisches und damit feindliches Gebiet zu erreichen: Bechuanaland (heute Botswana), Rhodesien (Simbabwe) und die Südafrikanische Union. Aber auch Angola ist keines­wegs neutrales Rückzugsgebiet, denn im Dezember 1914 werden bei Fort Naulila im Süden Angolas mehrere deutsche Soldaten ermordet, woraufhin die Schutztruppe eine Strafexpedition dorthin entsendet. Fakt scheint jedoch zu sein, dass Stephan in die Schutztruppe eingezogen wird – wie praktisch jeder Deutsche in Südwestafrika. Der Rinder-Treck gen Norden wäre demnach nur denkbar als Teil der deutschen Militärstrategie, sich vor den Südafrikanern zurückzuziehen und ihnen so wenig wie möglich an Ressourcen zu überlassen. Von einem solchen Schachzug ist jedoch nichts bekannt. Am plausibelsten ist wohl die Vermutung, dass Stephan das Großvieh vor seiner Einziehung auf eine weiter nördlich gelegene Farm bringt, die während der Abwesenheit des Farmers von dessen Frau bewirtschaftet wird. Damit wären die Rinder, der wertvollste Besitz der beiden Junggesellen, wenigstens versorgt und unter Aufsicht. Kleinvieh und Pferde dagegen müssen zurückgelassen werden, schreibt Elisabeth in ihren Erinnerungen.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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