Vertrieben von geliebter Erde (Folge 20)
Nach sechs Jahren des Bittens und Bettelns, der Briefe und Petitionen, halten Alfons und Stephan also endlich die ersehnte Erlaubnis zur Rückkehr auf ihre Farm in Händen. Doch wer gedacht hat, dass sie ihre Zelte in Argentinien abbrechen und mit dem nächstbesten Dampfer nach Südwestafrika fahren, der sieht sich getäuscht. Monat um Monat geht ins Land, und keiner der beiden macht Anstalten, die Reise über den Ozean anzutreten. Sie zögern offenbar, weil ihr Freund und Treuhänder, der Farmer Eppenauer, ihnen von der jahrelangen Dürre geschrieben hat, von dem desolaten Zustand ihrer Farm, und von der allgemeinen Situation im Land unter der Herrschaft Südafrikas.
Erst am 6. Juni 1926, also fast ein Jahr nach Erhalt der Einreiseerlaubnis, betritt Stephan in Kapstadt wieder afrikanischen Boden. Von dort aus reist er mit dem Zug weiter, über die Stationen De Aar und Upington in Südafrika bis zum Grenzposten Nakop/Ariamsvlei, über Kalkfontein-Süd und Kanus nach Grünau... Und schließlich erreicht er Klein Karas, die Station, von der aus Alfons und er sieben Jahre zuvor die traurige Reise nach Deutschland hatten antreten müssen. Damit schließt sich für Stephan ein riesiger Kreis, der ihn über drei Kontinente geführt hat. Kaum mag er glauben, dass er wieder daheim ist. Tief bewegt steigt er aus dem Zug.
Gerührt fällt er seinem Freund Ludwig Eppenauer in die Arme, der von seiner Farm bei Seeheim per Eselskarre hierher gekommen ist, um ihn abzuholen. Gemeinsam wollen sie nach Karios fahren und die Farm besichtigen. Auch der Inhaber des Ladens von Klein Karas, Curt Sagner, heißt ihn willkommen und lädt sie ein zu einer Tasse Kaffee. Sagners Tochter Käthe erinnert sich noch im hohen Alter an den Besuch Stephans und daran, wie er sie als kleines Mädchen zum Spaß auf einen Schrank gehoben hat, um sie da zappeln zu lassen. Stephan sieht sich im Laden um. Konservendosen und Eisenwaren aus Südafrika, wo damals, vor dem Krieg, deutsche Produkte standen. „Ganz schön teuer geworden“, stellt er fest. Sagner zuckt die Schultern. „Was können wir tun? Alles kommt aus Südafrika, selbst das Gemüse. Die südafrikanischen Händler schlagen gehörig auf. Und auf Waren aus Europa stehen hohe Zölle.“ Nach dem Kaffee wird Stephan unruhig. „Ludwig, lass uns fahren, ich muss Karios sehen.“
Mit der Eselskarre brechen sie auf. Auf dem Weg zur Farm werden alte Bilder in seinem Kopf lebendig. Er sieht den Ochsenwagen vor sich, vollgepackt mit ihren Möbeln, gelenkt von seinem Bruder, auf dem Weg zur Bahnstation; fühlt die Stöße der Steine unter seinem Ochsenwagen; sieht die Rinder, die von ihren Angestellten neben ihnen her getrieben werden; hört ihr Muhen und schmeckt den aufgewirbelten Staub. Die Einfahrt der Farm holt ihn in die Gegenwart zurück. Je mehr sie sich dem Farmhaus nähern, desto unruhiger wird er. Ob es ihn willkommen heißt?
Sein Freund Ludwig hat ihn vorbereitet: Die Farm sei in trostlosem Zustand, das Haus verfallen. Trotzdem versetzt ihm der Anblick einen Schock: Die Dämme haben Risse und liegen trocken, die Tränken sind kaputt, die Wasserleitungen herausgerissen, die Gemüsebeete unterscheiden sich in nichts von der steinigen Wildnis ihrer Umgebung, und die Dattelpalmen tragen nur noch ein paar sonnengebleichte, graue Blätter, die langsam hin und her schwingen im Wind, als würden sie ihm mit letzter Kraft trauernd zuwinken. Das Haus, das er und Alfons mit eigenen Händen Stein für Stein errichtet hatten, ist jenseits aller Trauer. Leblos starren ihn die glaslosen Fenster an, die Tür ächzt lose in den Angeln, und der Wind pfeift klagend durch die Löcher im Dach. Wieder erscheinen diese Bilder von vor sieben Jahren, als er ein letztes Mal durch das Haus gegangen ist und von jedem Zimmer Abschied genommen hat.
Der Kontrast zwischen Erinnerung und Gegenwart wirft ihn um. Müde setzt er sich auf die Treppe vor dem Haus. Schüttelt langsam den Kopf, sieht Ludwig an. „Kannst Du mir verraten, was unsere Ausweisung für einen Sinn hatte? Und dass man uns jahrelang partout nicht zurück kehren ließ? Wenn doch wenigstens ein Südafrikaner den Betrieb übernommen hätte, den Bäumen Wasser gegeben, den Gemüsegarten gepflegt, das Haus instand gehalten hätte... Statt dessen hat man alles verfallen lassen. Um das wieder aufzubauen, bräuchten wir Jahre.“ Ludwig weicht seinem Blick aus, sieht erst auf seine Schuhe und dann in die Ferne. Und nickt stumm.
Schweigend besteigen beide Farmer die Eselskarre. Als sie abfahren, dreht Stephan sich nicht mehr um. Sie wenden sich nordwärts, Ziel ist Eppenau, Ludwigs Farm bei Seeheim. Als sie am Abend bei Holoog ihr Nachtlager aufschlagen, bricht Stephan das Schweigen. „Ich danke Dir und allen hier, die sich für unsere Rückkehr eingesetzt haben. Jahrelang haben Alfons und ich keinen anderen Gedanken im Kopf gehabt als unsere Farm. Aber nun, nachdem ich gesehen habe, wie sie aussieht, bin ich nicht mehr sicher, dass wir hier wirklich noch einmal ganz von vorne anfangen wollen... Es wäre schließlich das vierte Mal für uns – erst 1908, der Anfang auf Karios; dann 1915, der Wiederaufbau während des Krieges; dann 1921, der Neubeginn in Argentinien; und schließlich jetzt noch einmal hier... Wir sind nicht jünger geworden. Ich bin jetzt 42 und Alfons ist 49.“ Ludwig stimmt ihm zu: „Und vergiss nicht, dass alles vom Regen abhängt. 1919 bis 21 hatten wir eine große Dürre, nur 50 mm Regen pro Jahr. Mir blieb nichts anderes übrig, als meine Rinder zu verkaufen und nach Pomona zu gehen, um dort auf den Diamantenfeldern mein Brot zu verdienen. Ich sage Dir, ständig dieser Wind, die feuchtkalte Meeresluft – es war die Hölle...“
Erst am 6. Juni 1926, also fast ein Jahr nach Erhalt der Einreiseerlaubnis, betritt Stephan in Kapstadt wieder afrikanischen Boden. Von dort aus reist er mit dem Zug weiter, über die Stationen De Aar und Upington in Südafrika bis zum Grenzposten Nakop/Ariamsvlei, über Kalkfontein-Süd und Kanus nach Grünau... Und schließlich erreicht er Klein Karas, die Station, von der aus Alfons und er sieben Jahre zuvor die traurige Reise nach Deutschland hatten antreten müssen. Damit schließt sich für Stephan ein riesiger Kreis, der ihn über drei Kontinente geführt hat. Kaum mag er glauben, dass er wieder daheim ist. Tief bewegt steigt er aus dem Zug.
Gerührt fällt er seinem Freund Ludwig Eppenauer in die Arme, der von seiner Farm bei Seeheim per Eselskarre hierher gekommen ist, um ihn abzuholen. Gemeinsam wollen sie nach Karios fahren und die Farm besichtigen. Auch der Inhaber des Ladens von Klein Karas, Curt Sagner, heißt ihn willkommen und lädt sie ein zu einer Tasse Kaffee. Sagners Tochter Käthe erinnert sich noch im hohen Alter an den Besuch Stephans und daran, wie er sie als kleines Mädchen zum Spaß auf einen Schrank gehoben hat, um sie da zappeln zu lassen. Stephan sieht sich im Laden um. Konservendosen und Eisenwaren aus Südafrika, wo damals, vor dem Krieg, deutsche Produkte standen. „Ganz schön teuer geworden“, stellt er fest. Sagner zuckt die Schultern. „Was können wir tun? Alles kommt aus Südafrika, selbst das Gemüse. Die südafrikanischen Händler schlagen gehörig auf. Und auf Waren aus Europa stehen hohe Zölle.“ Nach dem Kaffee wird Stephan unruhig. „Ludwig, lass uns fahren, ich muss Karios sehen.“
Mit der Eselskarre brechen sie auf. Auf dem Weg zur Farm werden alte Bilder in seinem Kopf lebendig. Er sieht den Ochsenwagen vor sich, vollgepackt mit ihren Möbeln, gelenkt von seinem Bruder, auf dem Weg zur Bahnstation; fühlt die Stöße der Steine unter seinem Ochsenwagen; sieht die Rinder, die von ihren Angestellten neben ihnen her getrieben werden; hört ihr Muhen und schmeckt den aufgewirbelten Staub. Die Einfahrt der Farm holt ihn in die Gegenwart zurück. Je mehr sie sich dem Farmhaus nähern, desto unruhiger wird er. Ob es ihn willkommen heißt?
Sein Freund Ludwig hat ihn vorbereitet: Die Farm sei in trostlosem Zustand, das Haus verfallen. Trotzdem versetzt ihm der Anblick einen Schock: Die Dämme haben Risse und liegen trocken, die Tränken sind kaputt, die Wasserleitungen herausgerissen, die Gemüsebeete unterscheiden sich in nichts von der steinigen Wildnis ihrer Umgebung, und die Dattelpalmen tragen nur noch ein paar sonnengebleichte, graue Blätter, die langsam hin und her schwingen im Wind, als würden sie ihm mit letzter Kraft trauernd zuwinken. Das Haus, das er und Alfons mit eigenen Händen Stein für Stein errichtet hatten, ist jenseits aller Trauer. Leblos starren ihn die glaslosen Fenster an, die Tür ächzt lose in den Angeln, und der Wind pfeift klagend durch die Löcher im Dach. Wieder erscheinen diese Bilder von vor sieben Jahren, als er ein letztes Mal durch das Haus gegangen ist und von jedem Zimmer Abschied genommen hat.
Der Kontrast zwischen Erinnerung und Gegenwart wirft ihn um. Müde setzt er sich auf die Treppe vor dem Haus. Schüttelt langsam den Kopf, sieht Ludwig an. „Kannst Du mir verraten, was unsere Ausweisung für einen Sinn hatte? Und dass man uns jahrelang partout nicht zurück kehren ließ? Wenn doch wenigstens ein Südafrikaner den Betrieb übernommen hätte, den Bäumen Wasser gegeben, den Gemüsegarten gepflegt, das Haus instand gehalten hätte... Statt dessen hat man alles verfallen lassen. Um das wieder aufzubauen, bräuchten wir Jahre.“ Ludwig weicht seinem Blick aus, sieht erst auf seine Schuhe und dann in die Ferne. Und nickt stumm.
Schweigend besteigen beide Farmer die Eselskarre. Als sie abfahren, dreht Stephan sich nicht mehr um. Sie wenden sich nordwärts, Ziel ist Eppenau, Ludwigs Farm bei Seeheim. Als sie am Abend bei Holoog ihr Nachtlager aufschlagen, bricht Stephan das Schweigen. „Ich danke Dir und allen hier, die sich für unsere Rückkehr eingesetzt haben. Jahrelang haben Alfons und ich keinen anderen Gedanken im Kopf gehabt als unsere Farm. Aber nun, nachdem ich gesehen habe, wie sie aussieht, bin ich nicht mehr sicher, dass wir hier wirklich noch einmal ganz von vorne anfangen wollen... Es wäre schließlich das vierte Mal für uns – erst 1908, der Anfang auf Karios; dann 1915, der Wiederaufbau während des Krieges; dann 1921, der Neubeginn in Argentinien; und schließlich jetzt noch einmal hier... Wir sind nicht jünger geworden. Ich bin jetzt 42 und Alfons ist 49.“ Ludwig stimmt ihm zu: „Und vergiss nicht, dass alles vom Regen abhängt. 1919 bis 21 hatten wir eine große Dürre, nur 50 mm Regen pro Jahr. Mir blieb nichts anderes übrig, als meine Rinder zu verkaufen und nach Pomona zu gehen, um dort auf den Diamantenfeldern mein Brot zu verdienen. Ich sage Dir, ständig dieser Wind, die feuchtkalte Meeresluft – es war die Hölle...“
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Allgemeine Zeitung
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