Vertrieben von geliebter Erde (Teil 2)
In den folgenden Wochen wird die Allgemeine Zeitung mit freundlicher Genehmigung der Gondwana Collection, im Besonderen Mannfred Goldbeck und Sven-Eric Stender, das Büchlein "Vertrieben von geliebter Erde" veröff. Es geht dabei um die Geschichte Deutscher Siedler im Süden Namibias zwischen Kolonialkrieg und dem Erstem Weltkrieg. Dabei steht das Leben der Brüder Alfons und Stephan Schanderl im Hintergrund, die die Farm Karios am Fischfluss Canyon gründeten.
Am 5. August 1877 erblickt Alfons das Licht der Welt. Sein Vater, Franz Xaver Schanderl, ist Lehrer, wie schon dessen Vater und Großvater zuvor; seine Mutter Anna, geborene Aigner, ist Tochter eines Gutsbesitzers. Zwei Jahre vor Alfons Geburt sind die Eltern in den kleinen Ort Margarethenberg gezogen, der auf einem kleinen Hügel liegt und im Wesentlichen aus einer Schule, einem Lehrerhaus und einer Kirche besteht. Der Vater arbeitet dort als Lehrer und Gemeindeschreiber, die Mutter hilft neben ihrer Arbeit im Haushalt in der Schule und in der Kirche. Das Einkommen des Vaters und vielleicht auch das Vermögen der Mutter erlauben eine kinderreiche Familie: Alfons ist das siebte Kind und er bekommt noch drei jüngere Geschwister. Seine Eltern adoptieren sogar zusätzlich einen 10-jährigen Jungen, dessen Mutter gestorben ist. Stephan wird als letztes Kind am 27. August 1884 geboren und ist das so genannte Nesthäkchen.
Alfons versteht sich sehr gut mit seiner jüngeren Schwester Elisabeth, die beiden sind ein Herz und eine Seele. Sie schreibt später in ihren Erinnerungen, ihr Bruder sei „reich talentiert“ und es „hätte Papa gerne gesehen, daß er studiere.“ Deshalb schickt Franz Xaver ihn zu seinem Bruder Adolf Schanderl, der im nahe gelegenen Röhrmoos Pfarrer ist. Doch der junge Alfons hat mit Studieren nicht viel im Sinn. Er geht daraufhin bei Schlosser „Fix“ in Mühldorf in die Lehre. „Das waren eiserne Lehrjahre!“, kommentiert seine Schwester Elisabeth. Danach wechselt er in einen anderen Betrieb. Es folgt ein kurzer Abschnitt als Soldat im 3. Feld Artillerie Regiment, 6. Batterie, einer Einheit, die in München stationiert ist. Doch schon bald arbeitet er wieder als Schlosser, in einer Werkstätte und bei einem Hofschlosser in München, später in „äußerst gut bezahlter Stellung“ in Würzburg.
Glücklich ist Alfons offenbar nicht. Es ist die Zeit der Industrialisierung, in der das Handwerk nicht mehr ohne weiteres goldenen Boden hatte, weil Maschinen mehr und mehr Arbeitsschritte übernehmen. Sich ständig als Angestellter unterzuordnen, fällt Alfons offenbar schwer. Doch wenn er sich selbstständig machen will, muss er teure Maschinen kaufen und sich dann gegen die schon bestehende Konkurrenz durchsetzen. Als eines von elf Kindern hat er auch kein großes Erbe zu erwarten. Was für eine Perspektive also bietet sich ihm hier?
Alfons spielt schon länger mit dem Gedanken auszuwandern. Wie sein älterer Bruder Clemens, der später als Schiffskoch in Amerika arbeitet. Das Kaiserreich sucht Siedler für seine junge Kolonie Südwestafrika. Ein Stück Land besitzen, etwas Eigenes aufbauen – der Gedanke lässt Alfons nicht los. Doch die Überfahrt kostet viel Geld und das Land wird einem auch nicht geschenkt. Außerdem würde es wohl bedeuten, seine Heimat nie wiederzusehen, seinen Geschwistern und seiner Mutter für immer Lebewohl zu sagen. Vor allem um seine Mutter ist er besorgt, die doch gerade erst seinen Vater verloren hat, der Ende Januar 1903 kurz nach seinem 64. Geburtstag an einem Herzinfarkt gestorben ist.
Da bietet sich plötzlich eine günstige Gelegenheit: Im Januar 1904 erhebt sich das Volk der Herero gegen die deutsche Kolonialverwaltung. Tausende Soldaten werden in die Kolonie entsandt, um den Aufstand nieder zu kämpfen. Wenn er sich nun zur Schutztruppe melden würde – käme er dann nicht umsonst nach Afrika? Und wenn die Aufständischen bezwungen werden, woran ja niemand zweifelt – gäbe es dann nicht viel Land zu günstigen Preisen? Er ist eigentlich kein Soldat, das weiß Alfons seit seiner Militärzeit in München. Außerdem ist der Einsatz riskant: Die Zeitungen veröffentlichen immer wieder Listen der Gefallenen. Soll er es trotzdem wagen?
Den letzten Anstoß zum Entschluss gibt offenbar ein heftiger Streit mit dem Chef oder den anderen Schlossergesellen: „Kleine Raufdechtelmechtel – glaub ich – bestimmten ihn, zur Schutztruppe nach Südwestafrika zu gehen“, erinnert sich seine Schwester Elisabeth später. Und fügt hinzu: „Die Mutter grämte sich sehr“. Auch ihm fällt der Abschied von ihr schwer. Beide ahnen, dass sie sich nicht wiedersehen. Anfang Oktober 1904 muss Alfons seine oberbayrische Heimat verlassen haben, um sich bei der Truppe einzufinden. In Munster-Lager werden die Soldaten nur wenige Wochen auf ihren Einsatz vorbereitet, dann geht es per Schiff nach Afrika. Am 26. Oktober 1904 legt der stolze Dampfer „Gertrud Woermann II“ vom Kai im Hamburger Hafen ab.
Alfons steht an der Reling. Als sich die gewaltige Metallmasse des 13 m breiten und 127 m langen Schiffes langsam in Bewegung setzt, klopft ihm das Herz im Hals. War sein Entschluss richtig? Würde er in Afrika sein Glück finden? Oder würde er dort, fern der Heimat sterben? Der Kampf gegen die Herero war zwar so gut wie gewonnen, aber wie die Zeitungen berichten, hat sich nach der Kriegserklärung von Kapitän Hendrik Witbooi nun auch das Volk der Nama im Süden der Kolonie erhoben: Am 4. Oktober, vor drei Wochen also, ist der Bezirksamtmann von Gibeon, Hauptmann Henning von Burgsdorff, bei Mariental erschossen worden. Als der Dampfer unter den Klängen von „Muss i denn, muss i denn, zum Städtele hinaus...“ die Elbe hinab gleitet, kann Alfons seine Tränen nicht zurück halten...
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Allgemeine Zeitung
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