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Vom Chaos zur Harmonie

Es riecht nach Bohnerwachs. Und es klingt, als wäre das Chaos ausgebrochen. Die Flure der Namib-Grundschule in Swakopmund sind wie leergefegt. Zettel hängen an den Türen. "Blech" oder "Bratschen" steht da in fett gedruckten Lettern. Es ist kurz nach 9 Uhr am Morgen, die täglichen Proben für die Musikwoche haben gerade begonnen.

"Es ist wie mit dem Urknall", sagt Werner Kühlwetter. Das endgültige Konzertprogramm der Musikwoche kristallisiere sich erst in den ersten paar Tagen heraus: "Am Anfang ist Chaos, doch mit der Zeit fügt sich alles zu einer wunderbaren Harmonie." Der hagere ältere Mann mit der Ledertasche unter dem Arm organisiert die Musikwoche seit 1988. Vor vier Jahren kam Günter Kesselmann dazu. Seitdem konzentriert sich Kühlwetter auf den künstlerischen Teil der Organisation.

Die knapp 200 Teilnehmer der diesjährigen Musikwoche proben täglich bis zur Mittagszeit in ihren jeweiligen Instrumentengruppen. Nachmittags und abends folgen dann gemeinsame Chor- und Orchesterproben. "Es ist ganz schön anstrengend", sagt Valerie Schindler. Die 17-jährige Swakopmunderin ist zum zweiten Mal dabei - und trotz aller Mühen begeistert. "Ist nur schade, dass wir außerhalb der Proben nicht so viel mit den Leuten aus Deutschland zu tun haben."

Die Kontaktaufnahme untereinander falle nicht leicht. Dabei soll gerade der kulturelle Austausch ein wichtiger Aspekt der Musikwoche sein. Doch Valerie ist trotzdem zufrieden: "Durch die Musik haben wir hier alle viel gemeinsam", sagt sie und schraubt die Einzelteile ihres Saxophons ineinander.Aus Metzingen und vom Karlsruher Helmholtz-Gymnasium sind zwei Gruppen aus Deutschland nach Namibia gereist. Die Schüler wohnen in den städtischen Bungalows. Henry Großmann ist Leiter der Metzinger Musikschule und mit 20 Jugendlichen zur Musikwoche gekommen. Er selbst leitet das Blech- und das Salonorchester.

"Ich nutze die Zeit hier, um integrativ zu arbeiten", sagt er. Nicht immer sei es einfach, die verschiedenen Spiel-Niveaus der Teilnehmer unter einen Hut zu bringen. "Aber ich habe gelernt",
sagt Großmann und fügt lachend an: "Improvisation ist alles."

Schwierige Stücke schreibt er kurzerhand in einfachere Versionen um. Das ist "völlig in Ordnung", wie er findet: "In Deutschland sehen wir so was viel zu verbissen".

Und Werner Kühlwetter wirft ein: "Wir profitieren hier sehr von dem hohen Standard unserer Gäste."Nebenan in der Aula der Grundschule steht Hans-Jochen Stiefel mit krausem dunklem Haar auf dem Dirigentenpodest. Seine Arme fliegen im Takt der Musik durch die Luft, dann stoppt er die Musiker des großen Orchesters. Einige kommen noch nicht mit, hier und da schleichen sich schiefe Töne ein. "Once again", sagt Großmann und hebt den Taktstock erneut.

Stiefel ist zum dritten Mal für die Musikwoche in Swakopmund. In Deutschland leitet er die Musikabteilung des Karlsruher Helmholtz-Gymnasiums, eine der größten musischen Schulen Deutschlands. "Die Reise hierhin ist immer eine Fahrt ins Ungewisse", sagt Stiefel. Vorher wisse er nie genau, wer sich alles zur Musikwoche anmeldet und wie sein Orchester letztendlich zusammengesetzt ist. Also packe er einen Sack voller Noten ein und "schaut, was kommt".

Diesmal etwa ist die Gruppe aus dem Ovamboland besonders groß. Mit 13 Schülern ist Lis Hidber angereist. Die Schweizerin, die auch schon Kunst- und Kulturzentren in Oshikuku und Omagalanga gründete, arbeitet heute am Arts Performance Centre (APC) Tsumeb. 1992 eröffnete das erste ACP in Oshikuku mit Unterstützung der Schweizer Firma Omicron. Über 300 Kinder und Jugendliche im Ovamboland haben so die Chance, Musikinstrumente zu erlernen. Unterrichtet wird neben europäischer auch traditionelle Musik.

Pro Jahr zahlen die Schüler eine Gebühr von N$ 10 bis 15. "Wir holen die Kinder von der Straße und wecken so versteckte Talente", sagt Hidber.Raimi Gabriel ist so ein Talent. Erst im Mai dieses Jahres hat die 15-Jährige ihren ersten Unterricht auf der Oboe bekommen. Jetzt spielt sie im großen Orchester der Musikwoche mit. "Musikerin ist mein Traumberuf", sagt Raimi. Täglich übt sie zwei Stunden am Tag. Ihre Familie kann noch nicht viel mit der neuen Leidenschaft des Mädchens anfangen.

"Manchmal sagen sie, ich soll leiser spielen", erzählt Raimi und kann sich ein Lachen nicht verkneifen. Mozart müsse sie einfach laut spielen. Dann nimmt sie ihre Oboe aus dem Rucksack und läuft los - die Proben der Big Band fangen gleich an.

Werner Kühlwetter hält die Hand vor den Mund und schaut den Mann, der ihm gegenüber steht, mit großen Augen an. Bei einem Kontrabass ist der Hals abgebrochen. Ein Drama, für dessen Lösung es in ganz Namibia keinen Instrumentenbauer gibt, der es beheben könnte. "Ich klebe das mit weißem Leim und bringe eine Metallverstärkung an", sagt Kühlwetters Gegenüber. Der Schreiner habe ihm das empfohlen. Kühlwetter zögert zunächst, entgegnet aber dann: "Ok, mach das - aber pass auf den Klang auf!"

Der Klang der Musikwoche steigert sich mit jedem Tag, den die Gruppen miteinander proben. Das Chaos wird zu Harmonie.Berliner EinflüsseDie Swakopmunder Musikwoche feiert dieses Jahr ihren 41. Geburtstag. Paul Bahlsen war es, der die musikalischen Tage an der Küste startete. Die Bundesregierung hatte ihn 1963 als deutschen Lehrer für eine Assistenzstelle nach Berlin eingeladen. Dort schloss er sich einer Orchester-AG an, mit der er den nationalen Wettbewerb "Jugend musiziert" gewann.

Geprobt hatten die Musiker dafür in einem Landschulheim in Frohnau im Norden Berlins. Gemeinsam mit dem deutschen Schulinspektor Erich Wöhler startete er nach seiner Rückkehr nach Südwest in Erinnerung an seine Erlebnisse in Frohnau die erste "Musikwoche" in Swakopmund.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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