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Vom Urknall über Nano-Partikel bis zur Synapse

Eberhard Hofmann
Bevor das akademische Jahr an der Universität von Kapstadt (UCT) beginnt, bietet die Hochschule seit sieben Jahrzehnten über drei Wochen im Januar eine Riesenauswahl an Vorlesungen und Vorträgen über lokale und universelle Fachbereiche, ergänzt durch Dokumentarfilme sowie Malkurse und Anfängerübungen in den Sprachen IsiXhosa, Portugiesisch, Italienisch und Französisch. Dazu noch ein Ausflug zu archäologischen Ausgrabungen. In diesem Jahr handelte es sich um 124 verschiedene Lehrveranstaltungen, so dass der Interessent der Qual der Wahl ausgeliefert war.

Die drei Wochen dauernde Summer School findet vor dem regulären akademischen Jahr statt, wenn die Hörsäle noch nicht von registrierten Studenten belegt werden. Das Publikum der „Bildungswochen“ setzt sich fast ausschließlich aus Senioren zusammen, darunter sehr viele UCT-Altstudenten sowie pensionierte Dozenten. Die Zahl der Teilnehmer an Vorträgen variiert je nach Themenbeliebtheit zwischen ca. 20 und 300. Da man sich vorher anmelden - und zahlen! - muss, können die Veranstalter dafür sorgen, dass der Zutritt abgeschnitten wird, sobald alle Sitze komplett belegt sind. So gibt es keinen überfüllten Hörsaal.

Kaum zu glauben, aber wahr: die Existenz der beliebten „Volkshochschule“ stand letzthin kurz vor ihrem 70-jährigen Bestehen auf der Kippe! Weil organisatorisch aufwendig und kostspielig, erwog die Universitätsleitung die Lehrveranstaltung zu streichen. Dabei haben eventuell noch ein Faktor und eine Erwägung mitgespielt. Die Hundertschaften an Teilnehmern der Summer School sind zu rund 95 Prozent Weiße. Die regulären Studenten sind mittlerweile überwiegend Schwarze und Braune. In diesem Jahr musste die UCT aus einem Ansturm von 70000 Antragstellern auf ca. 10000 Anfänger-Studienplätze auswählen.

Bei der Anmeldung zur Teilnahme an der Summer School wird der Interessent übrigens - und für einen Namibier sehr erstaunlich - gefragt, zu welcher Gruppe er/sie gehört: White, coloured, black! Und das im Jahre 2019 in der Regenbogen-Nation am Kap, 26 Jahre nach der Apartheid und nach dem Machtwechsel zur ANC-Mehrheitsregierung! Die Erwägung, dass die Summer School fast ausschließlich von hellhäutigem Publikum - hier und da ein Farbiger oder Inder - besucht wird, könnte dem Stellenwert der Volkshochschul-Wochen geschadet haben, was sich aber nicht durchgesetzt hat. Die Gründe für das einseitige Hautfarbenbild der zahlenden Teilnehmer dürften im politisch-historischen Hergang und in der ethnisch-kulturellen Ausrichtung südafrikanischer Volksgruppen zu finden sein. Ein Thema, das die Veranstalter bei der nächsten Summer School 2021 ausdreschen könnten. Bei der Auswahl der Themen und Dozenten zeigen die Veranstalter keinerlei Scheu vor selbstkritischen sozialen und politischen Themen. Mit dem bereits vollzogenen Paradigmenwechsel auf dem Kampus - Entfernung kolonialer Namen und Statuen wie Jameson und Rhodes - dürften in naher Zukunft allmählich auch dunkelhäutige Senioren unter dem Publikum der Summer School zu finden sein.

Gewaltiges Angebot

Das Angebot an Vorträgen und Vorlesungen - mit brillanten, mittelmäßigen und hier und da auch langweiligen Spezialisten und Akademikern - ist schier überwältigend. Es gliedert sich in folgende Bereiche: Kunst und Humanstudien; Geschichte, Philosophie, Studien der Gegenwart, darunter Reizthemen wie „The Stellenbosch Mafia“, „Inside the Eskom Crisis“ oder „Reading: the SA cognitive catastrophe (katastrophale Leseschwächen), oder „Who`s language is Khoekhoegowab?“ mit Prof. Wilfrid Haacke, vormals in Namiba. Ferner der Bereich „Science, Conservation and Medicine“, darunter eine fünfteilige Serie „The evolution of consciousness“, die mit rund 200 Zuhörern fast ausgebucht war und sich mit Entwicklung und Funktion des menschlichen Hirns befasste. Der Student kann sich vom Makrokosmos über Astrophysik bis in die Nanowissenschaft mit Stammzellen und Nervensynapsen orientieren und stößt so - wie die Fachkräfte immer wieder selbst einräumen - ebenso an die Grenzen des Wissens und der Erkenntnis.

Die „Volkshochschule ohne Examina“ wird hauptsächlich von Dozenten der UCT, aber auch von Wissenschaftlern aus Stellenbosch, Pretoria und den USA gestaltet, darunter emeritierte Professoren. Ein Thema war schon vor Beginn der Summer School ausgebucht: „The elusive Phoenecians“ (Phönizier). Unter den Schriftstellern, die behandelt wurden, befinden sich südafrikanische Nobelpreisträger wie J. M. Coetzee und Nadine Gordimer. Besonderer Beliebtheit erfreute sich die fünfteilige Serie „South Africa’s Desert War“ in Nordafrika, die von über 250 Zuhörern besucht wurde, in der ein Dozent der südafrikanischen Militärakademie von Saldanha, George Brock Katz, in einer kritisch-nüchternen Analyse die Gefechtstaktik der Südafrikaner und Engländer mit der von General Rommel verglich. In einemanderen Hörsaal trauerten ein Dokumentarfilm sowie Vorträge der schwindenden Anerkennung des früheren südafrikanischen Premiers Jan Smuts nach, unter Anderem Mitbegründer des Völkerbunds und der Vereinten Nationen.

Eine besondere Serie erfreute sich großen Zuspruchs: „Early Cape, people, places and inside stories“. Verschiedene Dozenten zitierten aufgearbeitete Abschnitte aus den Annalen der Holländisch-Ost-Indischen-Compagnie (VOC), die sie über die Anfangsjahre am Kap für vollständiger halten als Archivmaterial der Niederlande. Sie bemühten sich um einen reellen Einblick in den Alltag am Kap unter anderem mit Sklaven, Krankheiten, Versteigerungen, deutschen VOC-Angestellten, Hugenottenflüchtlingen, Rechtsprechung und Existenzfragen.

Der Zuspruch der Summer School dürfte auch künftig stark genug sein, dass die „Bildungswochen“ zu Jahresbeginn weiterhin für ein breites Publikum bestehen.

Eberhard Hofmann

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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