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Von der Schulbank zur Artillerie bis zum Lehrstuhl

Eberhard Hofmann
Als Andreas (Andrew) Usiku Niikondo, geboren 1962, nach zehn Jahren im Exil zum Jahreswechsel 1989/90 unerwartet bei seiner Mutter auf dem Ovambo-Gehöft im Ondonga-Bezirk auftaucht, schreit sie erschrocken: „Bist Du Mensch oder Gespenst?” Das ist der Titel seiner Autobiographie, die bei seinen Großeltern beginnt und im Jahre 2009 mit akademischen Würden, mit einem Doktorat in der Verwaltung (Öffentlicher Dienst) und Politik sowie einer Anstellung als Vize-Rektor an der Universität von Namibia endet. Im Gegensatz zu den Struggle Kids, die Staat und Gesellschaft ständig mit offener Hand anbetteln, hat Niikondo nach der Devise gehandelt, in seinen eigenen Worten, „weder auf die Regierung noch auf irgendeine andere Instanz zu warten, die mir auf den Vorwand des Veteranenstatus hin Fortbildung zu bieten hätten. Zu dem Ziel habe ich meinen eigenen Weg beschritten“. Präsident Nujomas Rede an der Kriegsfront in Angola 1968 habe ihn zuerst beseelt, „im Schützengraben für die Zukunft Bücher zu lesen“.

Niikondo schildert anschaulich, sehr persönlich und entwaffnend offen, seine Herkunft, das Clan- und Totemsystem in seiner matrilinearen Verwandtschaft mit Oshivambo- und englischen Begriffen. Seine Mutter stammt aus dem Schlangen- und Mahangu-Clan. Sein Vater war ein Kontraktarbeiter bei CDM (Consolidated Diamond Mines) im Sperrgebiet. Seinen Onkel schildert er als schlechten Autofahrer, der starkem Getränk verfallen sei. Durchweg nennt er alle Verwandten, Klassenkameraden und Guerilla-Kameraden bei ihren richtigen Namen, inklusive Kampf-Pseudonym. Bei seinem getauften Vornamen nimmt er später die anglophile Form, Andrew, an, weil er nicht mit dem ausgestoßenen SWAPO-Dissidenten Andreas Shipanga assoziiert werden möchte.



Gewaltforschung aus

Erfahrung

Seine Großtante Johanna vertrümmt ihn zu seiner Zeit als Viehhirte mit einem Lederriemen, weil er ihren Ruf auf dem Mahangu-Acker, wo er Vögel verscheuchen sollte, nicht hörbar beantwortet hatte. Am Nachmittag wird er Zeuge, wie sein Onkel Lumbu selbige Großtante mit einem Knopkierie niederschlägt, mit Füßen tritt und sie ins Mahangu-Feld schleift, so dass sie die Nacht dort verbringen muss, weil er sie für eine Hexe hält, die seine Rinder zum Verrecken verhext habe. Nach Niikondos Rückkehr nach Namibia untersucht er die Wirksamkeit der „National Gender Policy“ (Geschlechterprogramm), das Frauen und Kinder vor häuslicher Gewalt schützen soll. Seine Magisterthese, die er 2002 an der Universität West-Kapland (UWC) einreicht, lautet: „Women and Child Abuse in Namibia: A Case Study of the Oshana and Oshikoto Regions.“

Niikondos Erinnerungen an sein politisches Erwachen als Teenager und die Entdeckung der Swapo-Bewegung mit nächtlichem Abmarsch im Juli 1979, ohne Rücksprache mit seinen Eltern und direkt weg von der Schulbank, lesen sich sehr spannend. Dazu gehört die Entmythologisierung der PLAN-Guerillas (Peoples Liberation Army of Namibia), der er treu bleibt. Eine Gruppe Schüler geht in die Nacht hinein, den ersten zwei Guerillas zu begegnen, die sie über die Grenze führen sollen. „Ihre Waffen waren sonderbar, ihre Uniformen dreckig und ihr Geruch war unangenehm“, erinnert sich Niikondo. „Das Radio nannte sie Terroristen, die Schwänze haben und Gras fressen“, zitiert er einen Passus aus dem Propagandakrieg im Norden.

Die Exit-Route führt von Oluno über die Grenze nach Onamakunde, Ondjiva, bis in den Busch hinter Lubango, zum Tobias Hainyeko Training Centre. Er erinnert sich an schlechte und neun Monate lang ausgefallene Verpflegung, die die Re­kruten sporadisch durch sporadische Jagd und Veldkost ergänzen. Die älteren Exilanten werden ins „Namibia Health and Training Centre” in Kwanza-Sul eingewiesen.

Niikondo kommt in die Artillerieausbildung. Ihm bleiben ausmergelnde und verlustreiche Infiltrationsmärsche der PLAN nach Namibia erspart. In der Befehlsstruktur der 1. Mechanisierten Infanteriebrigade (FMIB), in der er zum Artillerist ausgebildet wird, gibt er alle Namen an, darunter etliche, die im späteren zivilen Leben in Namibia auch eine große Rolle spielen. Der Brigade-Kommandeur ist Niilo Taapopi, später Stadtdirektor von Windhoek. Sein Assistent (Instrukteur) ist der sowjetisch-russische Oberst Alexan­der Vladimirov. Der spätere Gewerkschaftsführer in Namibia, Risto Kapenda, jetzt Bürgermeister von Arandis, trägt zu der Zeit den Titel: Chef der Luftabwehr. Wie in der SWA Gebietsmacht (SWAGM), so erinnert sich ein anderer Autor an die Ausbildung im Buschkrieg, Andreas Vogt, so wollen auch Instrukteure an manchen lernunfähigen PLAN-Rekruten verzweifeln. Niikondo zitiert einen Russen: „In Eurem Land könnt Ihr nicht einmal ein Fahrrad herstellen!“



Dos Santos verlangt

gemeinsamen Waffendienst

Präsident Eduardo dos Santos von Angola erklärt den Exilanten aus Namibia und Südafrika Anfang der 80-iger Jahre, dass sie als Waffenbrüder an der Seite der angolanischen Armee und der Kubaner gegen alle Staatsfeinde des Landes, also UNITA und Südafrika, zu kämpfen hätten. Nach Niikondos Erfahrung ist die Swapo-Arillerie zwar vereinzelt mit aufgerufen, kommt aber neben der FAPLA (der angolanischen Streitmacht) nicht direkt zum Gefechtseinsatz. Aber er freut sich, dass sie als PLAN-Kräfte wenigstens ein paar FAPLA-Rationen „mausen“ können. Den Feind in Angola definiert Niikondo niemals näher, es kann sich daher um UNITA oder SA handeln.

Während der Autor Niikondo in seinen Erinnerungen bis ins feine persönliche Detail geht – so schildert er als Kämpfer seine ersten, sehr seltenen, amourösen Erfahrungen – klammert er als loyaler Parteigänger spürbar die Reizthemen der Swapo aus, bzw. gibt die partei-konforme Lesart wieder: die Straflager und Erdkerker für vermeintliche Dissidenten und Spione sowie das Fiasko der ersten neun Tage im April 1989, als der Swapo-Befehl in völliger Verkennung des vereinbarten Waffenstillstands und des UN-Lösungsplanes für Namibia PLAN-Kämpfer in voller Kampfmontur über die Grenze schickt, wo ca 1500 Kämpfer im Mündungsfeuer der remobilisierten Abwehrkräfte fallen. Die Verluste rechnet Niikondo dem Versagen der UN-Friedenstruppe UNTAG an. Ansonsten gebraucht der Autor einen eher sachlichen Ton.



Einstieg in die Hochschule

Niikondo schildert mit Freude das Ende seiner Militärlaufbahn im Rang eines Warrant Officer Class 2 (Stabsfeldwebel): „ Der Wechsel vom militärischen zum zivilen Status war ein gewaltiger Übergang. Das trifft wahrscheinlich auf alle zu, die im Militär gedient haben.“ Er erwähnt, dass er als Getaufter der Luth. Kirche nach der Unabhängigkeit Wert darauf gelegt hat, konfirmiert zu werden, auch weil er heiraten wollte. Unter den PLAN-Truppen war Marxismus eher als Religion an der Tagesordnung. Aber er erinnert sich, dass ansonsten atheistische Kameraden bei drohender Feindberührung plötzlich ins Gebet verfielen. Im Zivilleben ist Niikondo nun verheiratet, in christlicher Ehe, wie er betont. Er nennt fünf Kinder seine eigenen, davon zwei aus vorigen Verbindungen.

Als Akademiker ist er an Austausch- und Besucherprogrammen an ausländischen Universitäten beteiligt: Oslo, Kapstadt, Pretoria und in den Niederlanden. Niikondo kann als Vorbild für vergrämte Struggle Kids und Kriegsveteranen dienen. Die Autobiographien der namibischen Kriegsteilnehmer Andreas Niikondo, ehemaliges PLAN-Mitglied, sowie die seines Gegenparts Andreas Vogt, ehemaliger Soldat der SWA Gebietsmacht, sind Zeugnisse ehemaliger Gegner. Sie können kaum unterschiedlicher ausfallen und doch gehören sie in das Gesamtbild Namibias, worauf stabile Zukunft gestaltet werden muss.



Eberhard Hofmann

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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