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Von der Versöhnung zur Spaltung - Spuren der Entfremdung

Trotz des Krieges von 1904 war anschließend das Verhältnis zwischen den Herero und den deutschstämmigen Einwohnern Südwestafrikas/Namibias über Jahrzehnte hinweg nahezu ungetrübt. Ältere Herero begründeten dies in Gesprächen sinngemäß damit, die Deutschen hätten in der Auseinandersetzung zwischen beiden Völkern nun einmal den Sieg davongetragen, und so gebühre ihnen auch die Ehre des Stärkeren und Überlegeneren. Als sich mit der Einberufung der Turnhallenkonferenz im Jahre 1975 das Klima zwischen Schwarzen und Weißen insgesamt verbesserte und Kontakte jenseits der Rassengrenzen entstanden, kamen sich auch die Herero und die deutschsprachige Volksgruppe Namibias näher. Geradezu freundschaftlich wurden die Beziehungen zwischen den beiden ethnischen Gruppierungen des Landes, als nach der Ermordung von Clemens Kapuuo 1978 der neugewählte Hereroführer Kuaima Riruako auf die einstigen Gegner zuging und ihnen ausdrücklich Versöhnung anbot. So lud er die Südwester Deutschen zur Teilnahme am Hererotag in Okahandja ein, und im Gegenzug beschloss die Kameradschaft ehemaliger deutscher Soldaten, die Waterbergfeier in Zukunft gemeinsam mit einer Abordnung des Hererovolkes zu begehen, was 1981 erstmals in die Tat umgesetzt und dann in den folgenden Jahren immer wieder erfolgreich praktiziert wurde. Wer, wie der Verfasser dieser Zeilen, die Gelegenheit hatte, das mitzuerleben, war beeindruckt von der harmonischen Atmosphäre, die bei den Veranstaltungen herrschte. Von "Völkermord" oder gar "Reparationen" war da nie die Rede.
Bis 2000 nahezu spannungsfrei
Noch bis zum Beginn dieses Jahrhunderts blieb das Verhältnis zwischen Herero und deutschstämmigen Namibiern nahezu spannungsfrei, dann - mit dem Herannahen des Jahres 2004 und damit der 100. Wiederkehr des Krieges - begannen sich Eintrübungen abzuzeichnen, die von Hereroseite bald in Schuldzuweisungen mündeten und schließlich Entschädigungsforderungen nach sich zogen, wobei sich diese - und das war neu - nicht so sehr an die Namibia-Deutschen richteten, sondern vielmehr an die Regierung der Bundesrepublik Deutschland als der Rechtsnachfolgerin des ehemaligen Deutschen Kaiserreiches. Ein erstes diesbezügliches Plakat, das nationale und internationale Beachtung hervorrief, tauchte beim Hererotag 2003 auf.

Wie aber konnten aus einer jahrelangen Versöhnungshaltung solch spalterische Tendenzen erwachsen, die die Grundlage einer Zusammenarbeit bedrohen? Vier gesellschaftliche Gruppierungen in Deutschland waren maßgeblich für diese Entwicklung verantwortlich:

1. Professoren und Wissenschaftler - hier sei insbesondere die Universität Bremen genannt - arbeiteten die deutsche Kolonialgeschichte nach den Grundsätzen des gegenwärtig herrschenden Zeitgeistes auf und kamen zu der "Erkenntnis", dass die damaligen "Verbrechen" bisher noch nicht durch "Reparationszahlungen" gesühnt worden seien.

2. Im Rahmen der Anti-Apartheid-Bewegung hatten sich seit den 1960er Jahren deutsche Pfarrer, vor allem der Evangelischen Kirche, immer wieder nicht nur mit der südafrikanischen Politik der getrennten Entwicklung, sondern auch ihrem "Vorläufer", dem Kolonialismus, beschäftigt und dabei nachhaltig einen Schuldkult gepflegt, der bislang schon in Bezug auf den Nationalsozialismus existierte, der dann aber auf die einstige Kolonialpolitik - und hier natürlich insbesondere auf die deutsche - ausgedehnt wurde und der in der Welt seinesgleichen sucht, ja einmalig sein dürfte. Dem EKD-Vorsitzenden, Präses Schneider, blieb es bei seiner jüngsten Predigt in Namibia leider vorbehalten, einmal mehr unnötiges Öl in dieses Feuer zu gießen!


3. Seit 2004 nahmen sich in vermehrtem Maße deutsche Politiker - vor allem der Partei "Die Linke" (umgewidmete frühere SED der DDR), aber auch der SPD und von "Bündnis 90/Die Grünen" - der Thematik an, um damit auf den Zug der "politischen Korrektheit" aufzuspringen und sich so zu profilieren.


4. Schließlich gesellten sich zum Teil namhafte Rechtsanwälte aus Deutschland, aber auch aus den USA dazu, um aus der Angelegenheit Kapital zu schlagen.

Genährte Hoffnung
All diesen Interessengruppen gemeinsam war und ist die Argumentation, die da lautet: Wenn die Juden für den Holocaust entschädigt wurden, dann haben die Herero ebenso ein Anrecht darauf, wobei vorher jedoch aus dem Krieg zwischen beiden Völkern ein "Völkermord" durch die eine, nämlich die deutsche Seite, werden muss. Bei solcherlei Thesen werden unter den Herero natürlich große Hoffnungen genährt, und wer kann es ihnen da verdenken, dass sie in diesem Zusammenhang dann sogar willig und bereit sind, sich etwa vor den Karren deutscher Kommunisten spannen zu lassen. Tatsächlich aber ist dadurch in den letzten rund zehn Jahren ein Keil zwischen Herero und Deutsche (und damit auch deutschstämmige Namibier) getrieben worden, der zur allmählichen Entfremdung geführt hat und die Gefahr birgt, eine Spaltung voranzutreiben, die jegliche Versöhnung wieder zunichte macht.
Die Hand gereicht
Bischof Erich Hertel hat in seinem Beitrag in dieser Zeitung am 6. März 2012 geschrieben: "Wie viel besser wäre es, wenn man sich einmal ohne Furcht mit den Nachkommen der betroffenen Herero, Nama und Damara zusammensetzte und sich ihre Version der Geschichte erzählen ließ. Dann würde man spüren, dass es auch noch eine andere Seite gibt und dass 'unsere' Deutung der Ereignisse nicht den Rang 'allein gültig und objektiv' erheben kann." Genau das aber hat der Autor dieses Beitrages schon vor Jahren und Jahrzehnten getan, indem er auf Einladung der Hereroführung, die er persönlich kennengelernt hatte, an den Feierlichkeiten dieses großartigen und beeindruckenden Volkes teilnahm und dabei ins Gespräch mit Alten und Jungen kam. Auch mit den Mbanderu verbrachte er einige Nächte zusammen am Lagerfeuer und lauschte dabei gebannt ihren Geschichten. Alle diese Zusammenkünfte waren stets getragen von herzlichem und harmonischem Einvernehmen. Als Teilnehmer der Waterbergfeiern 1981 und 1982 lernte ich zudem einige betagte Herero kennen, deren Väter noch den Krieg von 1904 miterlebt hatten; und als sie erfuhren, dass zwei Großonkels von mir damals in der Schutztruppe gekämpft hatten, da war keine Feindschaft zu verspüren, vielmehr reichte mir einer die Hand und sagte: "Unsere Ahnen haben gegeneinander gekämpft, und wir Nachkommen sitzen hier zusammen und üben Versöhnung an den Gräbern der Gefallenen. Das ist doch eine schöne Wendung der Geschichte!"

Mich haben diese Worte seinerzeit sehr ergriffen, und ich denke heute mit Wehmut daran zurück, wenn ich sehe, was aus dem langjährigen freundschaftlichen Miteinander zwischen den Gegnern von einst (leider!) geworden ist. Ich habe deshalb die - bislang unveröffentlichten - Impressionen von der Waterbergfeier, die ich 1982 zu Papier brachte, noch einmal herausgesucht und möchte mit ihnen genau 30 Jahre später daran erinnern, wie es war und wie es wieder sein könnte und sollte - im Geiste der Versöhnung...


Die Waterbergfeier - ein Akt der Völkerverständigung

Am Sonntag, dem 8. August 1982 fand am Waterberg wieder die alljährliche Gedenkfeier zu Ehren der dort am 11. August 1904 in den Entscheidungsgefechten zwischen der Kaiserlichen Schutztruppe und den Herero Gefallenen beider Seiten statt. Während die Feierlichkeiten in früheren Jahren ausschließlich von Weißen begangen wurden, nimmt seit 1978 auch eine Abordnung des Hererovolkes unter der Führung ihres Oberhäuptlings daran teil. Die Idee dazu kam dem damals nach der Ermordung von Clemens Kapuuo gerade neugewählten Oberhäuptling Kuaima Riruako, der durch diese Geste dem Waterbergtag den äußerlich auch sichtbaren Charakter einer Versöhnungsfeier zwischen den ehemaligen Gegnern und darüber hinaus zwischen Schwarzen und Weißen schlechthin verleihen wollte. Die Gedenkfeier steht deshalb seither unter dem Motto "Über den Gräbern der Gefallenen reichen wir uns die Hände."

Wie schon in der Vergangenheit, so hatte auch diesmal wieder der Horst Otjiwarongo der "Deutschen Pfadfinder von Südwestafrika" einen Tag zuvor den Soldatenfriedhof am Waterberg in Ordnung gebracht, Unkraut beseitigt, die Gräber geschmückt und die Wege dazwischen säuberlich geharkt. Die Organisation der Veranstaltung lag zum letzten Mal in den Händen von Kamerad Gerhardt von der Farm Claussen bei Otjiwarongo - in Südwest allgemein unter dem Namen "Der Dampfschuster" bekannt -, der nach dem Einmarsch in den Friedhof alle Teilnehmer begrüßte, darunter ganz besonders den ältesten anwesenden ehemaligen Schutztruppenangehörigen, Wilhelm Diekmann, Senior dieser weitverzweigten Südwester Familie von der Farm Hamakari in der Nähe des Waterbergs. In einer kurzen Ansprache ging Gerhardt sodann auf die Bedeutung des Tages ein. Er verabschiedete sich zugleich mit dem Hinweis, daß er die Ausrichtung der Feierlichkeiten künftig jüngeren Kameraden überlasse.

Pfarrer Seemüller von der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde in Otjiwarongo versuchte in seiner dem Anlass des Tages angemessenen und sinnvollen Predigt eine Verbindung von der Vergangenheit über die Gegenwart zur Zukunft herzustellen, indem er unter anderem darauf verwies, dass Tradition auch Verpflichtung bedeute.

In ähnlichem Sinne äußerte sich in seiner anschließenden auf Englisch gehaltenen Ansprache Herero-Oberhäuptling Riruako, der die Anwesenden dazu aufrief, in gemeinsamer Verantwortung am Aufbau eines unabhängigen demokratischen Namibia mitzuwirken. Besondere Bedeutung erhielt die Rede Riruakos, der auch Mitglied des Ministerrates von Südwestafrika/Namibia ist, dadurch, dass er wenige Wochen vorher außerdem zum Präsidenten der gemischtrassigen DTA (Demokratische Turnhallen-Allianz) gewählt worden war, jener Parteienkoalition aller ethnischen Gruppen, die seit 1978 die Regierung in Windhoek stellt.

Die Tatsache, dass aus früheren Feinden nunmehr Freunde geworden seien, die heute gemeinsam die Gedenkfeier am Waterberg begingen, hat nach Ansicht des Hererochefs einen deutlichen Akzent im friedlichen Miteinander der verschiedenen Rassen des Landes gesetzt und dokumentiere damit zugleich den Anbruch einer neuen Ära. Riruako, der - wie bei feierlichen Anlässen üblich - seine blaue Phantasie-Uniform trug, lud alle Versammelten herzlich ein, als Gäste am Maharerotag, dem Nationalfeiertag des Hererovolkes, der jedes Jahr Ende August in Okahandja abgehalten wird, teilzunehmen.

Nachdem auch der Herero-Häuptling Tjamuaha gesprochen hatte, wurden unter dem Trommelwirbel der Pfadfinder die kaiserliche Reichskriegsflagge sowie die südafrikanische Flagge auf Halbmast gezogen, und nach Abspielen des Liedes "Ich hatt' einen Kameraden" erfolgte die Kranzniederlegung durch Vertreter der Kameradschaft ehemaliger deutscher Soldaten und der Interessengemeinschaft deutschsprachiger Südwester (IG), der Deutschen Pfadfinder von Südwestafrika und der Boy Scouts, der Wehrmacht und der Polizei. Auch der fast 92jährige alte Schutztruppler Diekmann legte einen Kranz nieder. Bereits zu Beginn der Feierstunde hatten die Herero auf den Gräbern der in den Reihen der Kaiserlichen Schutztruppe gefallenen Eingeborenensoldaten, welche sich außerhalb der Mauern des eigentlichen Soldatenfriedhofs befinden und ebenfalls von den Deutschen Pfadfindern gepflegt werden, einen Kranz niedergelegt. Erstmalig war bei dieser Waterbergfeier auch ein Kameramann des noch jungen Südwester Fernsehens anwesend. Daneben wurde das Geschehen von zahlreichen Amateurfilmern und -photographen im Bild festgehalten.

Einige Meter vom Eingang des Soldatenfriedhofs entfernt waren zwei Zelte aufgebaut, wo man sich nach Abschluß der offiziellen Feierlichkeiten bei einem Imbiß und Getränken zum zwanglosen Beisammensein traf. Neben Gesprächen zwischen alten Bekannten, die sich wegen der weiten Entfernungen im Land zum Teil längere Zeit nicht gesehen hatten und daher das Treffen nutzten, um gemeinsame Erlebnisse in Erinnerung zu rufen, kam es am Rande auch zu einem gelegentlichen Gedankenaustausch zwischen deutschsprachigen Südwestern und Herero, deren Väter vor nun fast achtzig Jahren noch Krieg gegeneinander geführt hatten. So darf man denn diese Gedenkfeier im Nachhinein mit Recht als einen Beitrag zur Verständigung zwischen den Völkern bezeichnen.

Wolfgang Reith

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-25

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