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Wahlen mit Qualen - Namibia und Südafrika im Vergleich

Vor 20 Jahren fiel die Mauer und wählte Namibias Volk in einer von den Vereinten Nationen überwachten Übergangsphase zur staatlichen Unabhängigkeit die eigene künftige Regierung. Die veränderte globalpolitische Großwetterlage bescherte knapp fünf Jahre danach auch Südafrika eine demokratisch gewählte Mehrheitsregierung. Seither wird die Politik beider Länder maßgeblich von einer Befreiungsbewegung an der politischen Macht bestimmt und gestaltet. Der folgende Vergleich dient der Standortbestimmung Namibias vor den Wahlen.

In beiden Ländern transformierten sich antikoloniale Bewegungen zu politischen Parteien. Legitimiert durch die Wahlergebnisse bilden sie die Regierung und übernahmen die politische Kontrolle über den Staat. Sie haben ihre politische Vormachtstellung in darauf folgenden Wahlen ausgebaut und konsolidiert.

Sowohl die SWAPO als auch der ANC waren soziale Bewegungen, deren kleinster gemeinsamer Nenner die Erlangung des Selbstbestimmungsrechtes der Bevölkerungsmehrheit und die Abschaffung der verankerten rassischen Diskriminierung war. Beide unterteilten sich in einen Exilflügel und eine Widerstandsorganisation im Inneren. Die Umwandlung dieser Bewegungen in politische Parteien übertünchte zumindest vordergründig teilweise sehr grundsätzliche politisch-ideologische Unterschiede innerhalb derer Reihen.

In der Folge waren diese häufig Anlass interner Rivalitäten und Machtkämpfe. Deren ideologischer Gehalt trat meist (wenngleich nicht immer) hinter die jeweils persönlichen Machtinteressen der Beteiligten zurück. Die Ursachen für interne Konflikte lagen oft in individuellen Animositäten und Rangeleien um den Zugang zu Ämtern und Privilegien begründet. Frustrationen über verloren geglaubte Machtkämpfe und darauf folgende Marginalisierungsprozesse waren ebenso Anlass für die Gründung neuer Parteien wie unterschiedliche politische Auffassungen.

Parteiinterne Differenzen führten zu Abspaltungen, in Namibia im Wahljahr 1999 mit der Gründung des Congress of Democrats (CoD) und 2007 mit der Etablierung der Rally for Democracy and Progress (RDP). In Südafrika formierte sich 2008 aus den Reihen des ANC der Congress of the People (COPE). Bislang vermochte keine dieser Parteineugründungen die Vormachtstellung der etablierten Befreiungsbewegungen an der Macht zu brechen oder sich auch nur als deutliche politische Alternative zu präsentieren. Allerdings büßte im April 2009 der ANC als Ergebnis der Wahlen seine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament ein, weil er einige der Wählerstimmen an COPE verlor. In Namibia mauserten sich die Kongressdemokraten (CoD) zur größten politische Oppositionspartei, dürften diesen Status allerdings aufgrund interner Zerrüttungen mit den Wahlen in diesem Monat verlieren.

SWAPO wie ANC reklamieren für sich die eigentlichen (und im Falle Namibias auch die alleinigen) Befreier ihrer Gesellschaften vom Joch der Apartheid und Fremdbestimmung zu sein. Die Verwirklichung dieses Zieles durch den Befreiungskampf wurde auch als ein "Ende der Geschichte" wahrgenommen. Mit Erlangung der formal legitimierten politischen Macht festigten sie ihr politisches Selbstverständnis auf ähnliche Weise wie die anderen Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika in Angola (MPLA), Mosambik (Frelimo) und Simbabwe (ZANU-PF) dies taten. Sie verstehen sich als quasi natürliche Herrschaftspartei mit dem Anspruch auf ungebrochene Fortsetzung der politischen Dominanz. Jegliche politische Alternative, die nicht den eigenen Reihen entstammt, wird als illegitimer Regimewechsel begriffen, der von externen dunklen Mächten des Imperialismus ausgeheckt und betrieben wird. Dank solcher Verschwörungstheorie wird ein enger Schulterschluss betrieben, der die Sicherung der Macht im eigenen Land und in den Nachbarstaaten als Akt unverbrüchlicher Solidarität begreift.

Sowohl ANC wie SWAPO operieren auch mittels separater Einheiten wie der Frauen- und der Jugendliga. Diese spielen eine wichtige strategische Rolle in der politischen Mobilisierung und dem öffentlichen Diskurs, nicht zuletzt durch die Propagierung radikaler Positionen. Diese dienen oft der wenig verdeckten Unterstützung militanter und pseudo-radikal populistischer oder auch dogmatischer Strömungen, denen Intoleranz gegen abweichende Meinungen und ein Mangel an demokratischem Grundverständnis inne wohnt. Führungskräfte im Establishment nutzen die Zweigorganisationen zur Verbreitung ihrer eigenen extremen Meinungen, die sie als offizielle Funktionsträger nicht artikulieren sollten, da sie mit einem Amtseid an verfassungskonforme Prinzipien gebunden sind - obgleich diese von ihnen nicht immer respektiert werden.

Die SWAPO war von der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit Mehrheitsbeschluss zu Mitte der 1970er Jahre zur "alleinigen authentischen Vertretung des namibischen Volkes" gekürt worden. Dies billigte der Organisation einen exklusiven Status zu, der auch von deren Aktivisten in den Führungspositionen verinnerlicht und praktiziert wurde. Damit ging das (Selbst-)Verständnis einher, die alleinige legitime Instanz für die Belange der Bevölkerung Namibias zu sein und darüber befinden zu können, was authentisch namibisch ist. Im Unterschied dazu war der ANC immer eine von mehreren offiziell anerkannten Befreiungsbewegungen, die im Kampf gegen die Apartheid in Südafrika international unterstützt wurden.

Die demographische und sozialökonomische Komplexität der industrialisierten südafrikanischen Gesellschaft hat ein differenziertes Panorama unterschiedlich organisierter Interessen hervorgebracht und verankert. Dazu gehört eine relativ lange Bildungstradition auch innerhalb der schwarzen Bevölkerungsmehrheit und die entsprechende Austragung von Differenzen durch intellektuelle Diskussionen zu politisch-ideologischen Fragen. Im Gegensatz dazu ist die Bevölkerung Namibias (deren Gesamtzahl geringer ist als das städtische Konglomerat am Witwatersrand) noch immer stark ländlich geprägt und sehr überschaubar.

Der öffentliche wie auch innerparteiliche Diskurs in Südafrika ist deshalb erheblich nuancierter und diversifizierter als in Namibia. Nichtregierungsorganisationen und andere Formen zivilgesellschaftlichen Engagements reklamieren deutlich mehr öffentlichen Raum und mischen sich auch in mobilisierender Funktion direkt in die politische Sphäre ein. Kritische Stimmen können sich Gehör verschaffen, ohne sofort grundsätzliche Konsequenzen von die Existenz bedrohendem Ausmaß befürchten zu müssen. Demgegenüber liegt das individuelle materielle Risiko für abweichendes Verhalten in Namibia deutlich höher und finden sich kaum alternative "Überlebensnischen". Eine entsprechend ausgeprägte "Kultur der Angst" mit dem Ergebnis einer "Kultur des Schweigens" ist die Folge. Auch ist aufgrund des überschaubareren sozialen Zusammenhangs die Sozialkontrolle über die Aktivitäten Anderer und die Abstrafung dessen, was als subversives Verhalten gilt, stärker ausgeprägt.

Die CoD etablierte sich kurzfristig 1999 als Alternative zur SWAPO durch die Abspaltung einiger jüngerer Parteikader, die mit der offiziellen Politik der Führung nicht konform gingen. Die zwei wesentlichen Punkte waren dabei die Verfassungsänderung zur Ermöglichung einer dritten Amtszeit des Präsidenten Nujoma sowie die Beteiligung am Krieg in der Demokratischen Republik Kongo. Doch die CoD erwies sich als keine Bedrohung der Zwei-Drittel-Mehrheit der SWAPO. Stattdessen konnte diese in den Wahlen ihre Dominanz noch ausbauen, während die Oppositionsparteien immer zersplitterter wurden und häufig nur eine ethnisch-regionale Basis hatten.

Der ANC war dagegen immer in eine Koalitions- und Allianzpolitik verstrickt, um diverse politische Kräfte einzubinden, die - wie die Kommunistische Partei und der Gewerkschaftsdachverband COSATU - als Bündnispartner gemeinsame Positionen aushandelten. SWAPO musste demgegenüber nie solchen separaten Organisationsforderungen Rechnung tragen. Die Gewerkschaft war bereits im Befreiungskampf integraler Bestandteil der Bewegung und ihre Verhandlungsmacht erwies sich als relativ bedeutungslos. Deren relativ einflussreiche und mit eigenen Vorstellungen operierenden Gewerkschaftsführer wurden meist durch die Kooptation in das Establishment der Partei oder durch eine Karriere in der Privatwirtschaft unschädlich gemacht - was letztlich zur Schwächung der organisierten Arbeiterschaft beitrug.

Die ordentliche Durchführung der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 27. und 28. November mag zwar weiterhin wahrscheinlich sein, darf aber derzeit leider nicht als abgemachte Sache gelten. Die politische Opposition - allen voran die RDP - hat erheblich weniger Organisationsfreiheit im bisherigen Wahlkampf erhalten als ihr dies verfassungsrechtlich zusteht. SWAPO-Aktivisten haben mehrfach Wahlveranstaltungen oder andere Kampagnenarbeit verhindert oder gestört. Dabei kam es zu Handgreiflichkeiten und zum Einsatz von Waffen auch durch Ordnungskräfte. Erstmals seit der Unabhängigkeit kann von einem insgesamt friedlichen Wahlkampf nicht mehr die Rede sein. Inwieweit dies auf wechselseitiger Provokation durch die Anhänger sowohl der SWAPO als auch der RDP beruht, ist hierbei ein sekundäres Element, das die Schuldzuweisung, aber nicht den Besorgnis erregenden Tatbestand betrifft. Am Ende zählt, dass Namibia auf dem Wege ist, seine relativ gute Reputation aufs Spiel zu setzen.

Es bleibt abzuwarten, ob sich letztlich doch noch die moderaten Kräfte durchsetzen und in der Lage sind, die zu militanten Aktionen bereiten Teile der jeweiligen Führung und Basis im Zaume zu halten. Das würde das bereits angeschlagene Image der namibischen Demokratie wenigstens halbwegs vor der Blamage und der internationalen Diskreditierung retten.

Es bleibt ungewiss, ob die RDP genug Wählerstimmen aus den Reihen der SWAPO erhält, um sich als ernsthafte politische Alternative zu etablieren. Die ersten, quantitativ irrelevanten aber als Indikator höchst interessanten Ergebnisse der in den namibischen Auslandsvertretungen abgegebenen Stimmen verleihen der RDP ein Gewicht, das die Zwei-Drittel-Mehrheit der SWAPO gefährden könnte, so diese Proportionen auch für den nationalen Rahmen repräsentativ wären. Die RDP wird allen Voraussagen zufolge die CoD als offizielle Opposition ablösen, was allerdings noch keinen Rückschluss auf die Zahl der Stimmen erlaubt.

Die namibische Wählerschaft hat bislang für die SWAPO wegen ihrer Rolle im Befreiungskampf gestimmt. Das politische Programm scheint deutlich weniger ein Kriterium gewesen zu sein. Davon abgesehen unterscheiden sich die politischen Programme der meisten Parteien so wenig, dass dies kaum eine Präferenz für eine der Alternativen nahelegt. Es mag eine neue Ära anbrechen, in der die Parteien (und insbesondere die regierende Partei) auch daran gemessen werden, inwieweit sie das Interesse der Bevölkerungsmehrheit tatsächlich auch in messbare Politik zu deren Gunsten umsetzen. Das könnte insbesondere unter der Jungwählerschaft, der sogenannten "born frees", zu einer anderen Stimmverteilung führen. Da die Alternativen zur SWAPO nicht sonderlich attraktiv scheinen, wäre dies wohl eher eine Form von Protestwahl, sozusagen als Denkzettel für ausbleibende Änderungen und die Abzocke der politischen Elite.

SWAPO-interne Differenzen und Rivalitäten haben sich mit der Abspaltung der RDP keinesfalls ganz gelegt. Die vom Parteikongress festgelegte Wahlliste bietet keine verlässlichen Anzeichen für eine genaue Einschätzung der parteiinternen Machtverhältnisse. Es bleibt abzuwarten, welche der Fraktionen bei der Neubesetzung des am 21. März 2010 für die nächste fünfjährige Amtszeit vereidigten Kabinetts am einflussreichsten ist. Bisher wurde die namibische Politik und insbesondere die der SWAPO noch immer von der ersten Generation der Befreiungsbewegung dominiert. Viele unter diesen repräsentierten die Organisation schon vor der Unabhängigkeit im Exil. Deren biologisches Verfallsdatum nähert sich. Ein Generationswechsel steht an und lässt sich bereits anhand der neuen Wahlliste erkennen. Es ist interessant, ob und wie sich dies auch in der Zusammensetzung des neuen Kabinetts dokumentiert. SWAPOs und Namibias erster Präsident Sam Nujoma ist weiterhin deutlich hör- und sichtbar politisch aktiv geblieben. Die Liste der nominierten Parteikandidaten für die Parlamentswahlen lässt aber keine Rückschlüsse zu, inwieweit sein Einfluss noch reicht.

Die Printmedien im Lande hatten bislang eine weitgehend autonome und unabhängige Rolle. Sie glichen darin den privaten Medien in Südafrika, die sich die Kritik an den bestehenden Verhältnissen nicht verbieten lassen. Es bleibt auch hier abzuwarten, inwieweit die mittlerweile deutlich härtere Gangart und schwindende Toleranz durch die staatlichen Funktionsträger dem einen Riegel vorschieben wird. Das neu verabschiedete Kommunikationsgesetz sowie die Sicherheitsgesetzgebung lassen einen weiten Handlungsraum zur Intervention zu und könnten die Freiheit der Presse durch neue Medienkontrollmaßnahmen und Einschüchterungen unterminieren.

Erstmals nach fast zwei Jahrzehnten Unabhängigkeit wird die namibische Zivilgesellschaft in unterschiedlich organisierten Formen ihrer Verantwortung durch eine aktive Beteiligung an der Wahlüberwachung gerecht. Es ist abzuwarten, inwiefern diese wichtigen Akteure ihrer Aufgabe entsprechen können und dürfen. Letztlich bleibt auch die Frage offen, ob das offizielle Wahlergebnis der Überprüfung durch die unabhängigen Beobachterteams standhält und die davon betroffenen Parteien (insbesondere der Opposition) dieses auch anerkennen und respektieren.

(Der Autor ist Geschäftsführender Direktor der Dag-Hammarskjöld-Stiftung in Uppsala/Schweden. Dieser Artikel basiert auf einem Referat, das er am 16. Juli 2009 anlässlich eines Seminars an der Universität Pretoria hielt.)

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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