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Was wenn's anders wär' ...

Als die Diplomaten in Ovenduka und andere Gäste sich letzthin beim Mittagsempfang zum französischen Nationalfeiertag in der Wintersonne die Hände rieben und echten Champagner schlürften, hat der Gastgeber mos so'n biekie Nachhilfeunterricht in Geschichte, genauer gesagt französisch-englischer Geschichte gegeben. Der Gastgeber war der Gesandte Jean-Louis Zoël und sein Nachhilfeunterricht war deshalb sinnvoll, weil er mit allgemeinen Irrtümern aufgeräumt hat, die über die Geschichte seines Landes verbreitet sind. Wir hatten letzthin über Irrtum Nr. 1 berichtet, dass der Sturm auf den Pariser Stadtkerker 1789, auf die Bastille, eigentlich nicht als Gedenken zum Nationalfeiertag taugt, weil der Inhalt dieses Knasts derart kläglich war, dass der Angriff der Revoluzzer somit nicht zur Identitäts-stiftenden Großtat hochgejubelt werden kann. So oder ähnlich sagt's der Gesandte.
Weil wir in diesen Breiten am Wendekreis des Steinbocks alle erst ein paar Jahre unabhängig sind und weil die Yankees ihre Unabhängigkeitsfeier gern an die große Glocke hängen, wird fast jeder andere Nationalfeiertag der in Ovenduka vertretenen Botschaften ebenso leicht als Unabhängigkeitstag eingestuft. Aber wir sehen, bei den Europäern is das nich so einfach. Irgendwo zwischen und aus dem ost- und westfränkischen Reich ist am Ende "Frahnggreich" hervorgegangen. Als Faustregel für einen Einstieg nach Frankreich und nicht zum Unabhängigkeitsjahr nennt der Gesandte das Jahr 987 - Jong, das is wüst lange her - als der Herzog Hugo Capet von Paris zum französischen König ausgerufen wurde. "Faustregel", sagt der Botschafter, denn man könnte das Datum der Geburtsstunde Frankreichs genauso nach vorn wie nach hinten ziehen, aber gewiss nicht zum Sturm auf die Bastille.
Das is nochall kompliziert, denn die Franzosen, genauer gesagt die Normannen von der französischen Nordküste am Ärmelkanal, haben 1066 ein neues England gegründet. Die räuberischen Normannen - Ihr kennt mos Hägar den Horribalen und seine Botsotsos - hatten sich schon gute 200 Jahre in der Normandie abgesetzt und inzwischen Französisch gelernt. Die Angeln und die Sachsen auf der Insel konnten damals weder Französisch noch Englisch, sondern sie sprachen ihr Altenglisch, beziehungsweise ihre germanischen Dialekte, die sie vom Kontinent mitgebracht hatten. Also die nicht mehr ganz so räuberischen, aber immer noch kampflustigen Normannen, manchmal auch Wikinger genannt, die inzwischen ihre nordische Sprache zugunsten des Französischen gedroppt hatten, fielen 1066 als Franzosen unter Wilhelm dem Eroberer, besser William the Conqueror, auf der Insel ein. Sie gründeten einen neuen Staat, nämlich England, mit London an der Themse als Hauptsitz der Administrasie. - 1066 and all that! - klagen Engländer heute noch, die das alles sattsam lernen mussten. Aber genau hier kommt der Clou in der Anglo-Franko-Geschichte. Die französisierten Normannen führten in England Französisch als Amtssprache ein. Die Angeln und die Sachsen haben ab dann lecker Wörter aus dem Französischen übernommen, wie wir uns im Wellblechdeutschen auch anderer Vokabeln aus dem Umfeld bedienen. Dort wurde aus dem Mittelenglisch Shakespeares Englisch und schließlich Queens Englisch. Und hier liegt noch ein Clou mit "was wenn's anders wär". Die herrschende Schicht in England hat später das Französische wiederum zugunsten des neueren Englisch gedroppt. Und das zum Bedauern des französischen Gesandten Zoël in Ovenduka, denn hätten die Engländer nach 1066 Französisch beibehalten, wäre Französisch vielleicht die Sprache Britannias und seines (jetzt ehemaligen) Weltreichs geworden. Dann hätten die Südafrikaner 1915 Afrikaans/Holländisch und Französisch, bestenfalls Anglo-Normannisch, und nicht Englisch nach Deutsch-Südwestafrika eingeschleppt.
Und wir sprächen heute neben allem anderen Nämlisch-Normannisch. Was, wenn's anders wär ...

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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