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Weitere Aspekte zur Hereroklage

Die Reparationsklage der Herero gegen Deutschland ist in den Ausgaben des 11. bis 13. März 2002 der Allgemeinen Zeitung in einem Interview erneut zur Sprache gekommen. Heiner R. Schneider-Waterberg, Farmer im Bezirk Otjiwarongo, hat dazu folgende Fragen und Ergänzungen nachgereicht:

Besten Dank Ihnen und Prof. Manfred O. Hinz für die veröffentlichten drei Folgen "Deutschland vor Gericht in den USA - die Hereroklage". Ihr Interview gab einen fesselnden Einblick in die verwickelte Sachlage einer Reparationsklage als Folge einer bewaffneten Auseinandersetzung der Kolonialzeit vor hundert Jahren, während der das kaiserliche Deutschland kurz, und als letzte, in die Reihe imperialistischer Großmächte eintrat.


Obwohl Prof. Hinz bereits auf die Fülle von schwierigen rechtlichen Fragen hinwies, hätte ich als historisch interessierter Laie gern einige hinzugefügt:


War der Überfall ohne Kriegserklärung der Herero mit Besetzung großer Teile des Landes im Januar 1904 nach dem Sicherheitsrecht der UN ein Angriffskrieg? Hätten sich aus "Kriegsschuld" und Völkerrechtsverletzung Konsequenzen für eine Schuldzuweisung bei einem Reparationsanspruch ergeben? Oder wurde der Angriff nur zur Wiederherstellung eines dem Recht entsprechenden Zustandes, und gegen das bloße Unrecht des imperialistischen Kolonialismus geführt, und gab daher den Herero ein "jus ad bellum", ein Recht auf einen "gerechten" Angriffskrieg?


Der Ausgang und Verlauf des "Krieges" sind nämlich von seinem einseitig herbeigeführten Ausbruch im Januar 1904 nur schwer zu trennen, denn die Herero behielten während seines Verlaufs bis zum bitteren Ende durchweg die Initiative. Daraus ergibt sich die Frage nach alternativen Möglichkeiten und Konsequenzen der Kriegsführung, die der kaiserlich-deutschen "Schutzherrschaft" verblieben - ein Thema, dem bisher erstaunlich wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Sollte sie das Land kampflos aufgeben, um Umrecht gut zu machen? Sollte sie den Krieg unbestimmt zwecks Unterhandlungen mit einem unbesiegten Gegner in die Länge ziehen, um Blutvergießen zu reduzieren, aber damit Chaos in Kauf nehmen mit noch größerem Blutzoll später usw?


Kann man überhaupt vom Zeitgeist des "Scramble for Africa" 1876 - 1912 ausgehend, den Krieg in "Deutsch" Südwestafrika anders bewerten als die unzähligen Kolonialkriege dieser Jahre in den belgischen, englischen, französischen, italienischen und türkischen Kolonien in Afrika, die Hunderttausenden das Leben kosteten, und in denen nach der UN Definition von 1948 sicher ein Dutzend oder mehr "Völkermorde" vorkamen, die auch ungesühnte Präsidenz-Fälle sind?


Soweit die juristischen Aspekte, nun einige politisch aktuelle:


Kann man bei der modernen außenpolitischen Rolle Namibias in Afrika und zwölf Jahre nach der Unabhängigkeit Namibias, als Namibier, ob deutschstämmig oder nicht, überhaupt noch die kleinlich, besserwisserische wirklichkeitsferne deutsche Nabelschau der namibischen Kolonialzeit, die hundert Jahre und fünf Deutschlands zurückliegt, ernst nehmen? Ist sie nicht zu sehr eine Folge der innerdeutschen Parteipolitik, der DDR Propagada, der unbewältigten deutschen Vergangenheit und der sozialpolitisch engagierten Doktoranden an überfüllten deutschen Universitäten auf Suche nach einem Thema, also ein deutsches Problem und kein namibisches Anliegen? Hat sie nicht schon genug Schaden angerichtet mit einer Reparationsklage in Washington komplett mit einer Entschuldigung für deutsche Kolonialvergehen des deutschen Außenministers?


Sollten etwa auch deutschstämmige Namibier sich in diese Sippenhaft nehmen lassen?


Nun noch ein historischer Kommentar zur Bemerkung "dass das, was nach der Schlacht am Waterberg geschah, Völkermord war".


Die Herero, die im August 1904 am Waterberg saßen, und das ist unbestritten, waren weder geschlagen noch übergabebereit. Am Waterberg gab es dann keine "Schlacht", es gab isolierte, viele Kilometer auseinanderliegende Gefechte mit unterschiedlichem Erfolg, die bei Hamakari fast in eine Katastrophe für die Schutztruppe ausgelaufen wären. Auch hier gaben die Herero das Gesetz des Handelns nicht aus der Hand. Unbesiegt und ohne Not und bis heute für manchen schwer erklärlich, brachen sie auf, und zogen in einer der katastrophalsten Entscheidungen in der Geschichte eines Volkes nach allen Seiten ab. Die kaiserlichen Truppen waren nicht in der Lage sie aufzuhalten, oder zu verfolgen, weil ihr größter Teil seine Pferde verloren hatte, und erschöpft oder erkrankt war. Von Trotha gibt dies später selber zu; und Von Estorff, der der erfolgreichste Komapieführer am Waterberg war, spricht in seinen Erinnerungen für viele Zeitgenossen, wenn er von "Unzulänglichkeiten der des Landes ungewohnten neuen Truppen ..." schreibt. "Diese hatten ihre äußersten Kräfte angespannt ... aber die Natur des Landes stellt dem Unerfahrenen zu schwere Aufgaben ..." und "Hunderte von guten edlen Truppenpferden sind zu Grunde gegangen, und mancher Truppenteil ward unbeweglich."


Das Gros der Herero am Waterberg, und das waren längst nicht alle, wollte ins britische Bechuanaland und zog in Etappen und in Gruppen getrennt nach Süden und Südosten. Nach Wochen erst folgte ihnen die Truppe. Es gab keine "Verfolgung", man blieb "auf den Spuren der Herero". Es gab auch keine "Abdrängung ins Sandfeld": -


Von Waterberg bis Ozombo ja Windimba (verballhornt zu Osombo Windimbe), wo Von Trotha seine heute ebenso berücksichtigte wie in Wahrheit damals belanglose Proklamation an einige unentschlossene Nachzügler, die er noch vorfand, verteilte, sind es etwa 220 km. Zu Fuß sind diese in etwa sieben Tagen zurückzulegen; zu Pferd in 30 "Reitstunden" oder mit guten Pferden im Gewaltmarsch in zwei bis drei Tagen zu erreichen. Als Von Trotha fast zwei Monate nach Waterberg in Ozombo ja Windimba ankam, saßen Hereros bereits versprengt von östlich der britischen Grenze bis an den Omuramba ua Matako in einer 400 km breiten Front an den Rändern der Omaheke und war Samuel Maharero mit seiner Gruppe bereits seit einer Woche 300 km weiter nordöstlich im britischen Gebiet. Es ist Unsinn, wenn der Generalstab annahm, dass Herero in der Omaheke standen; sie konnten daher auch nicht "zurückfluten".


Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass Herero in dieser Zeit ein schlimmes Schicksal erlitten, und sie in der Überwindung langer Durststrecken fast alles Vieh verloren, und viele Menschen zu beklagen hatten. Offenes Wasser gab es auf den Fluchtrouten im August/September im Sandfeld kaum, und wo gegraben werden musste, reichten Menge, Zeit und Kräfte nicht aus, um auch noch das Vieh zu tränken. Es besteht auch kein Zweifel, dass Von Trotha - vorübergehend auch mit der Billigung Berlins - die Herero zumindest militärisch vernichten und des Landes verweisen wollte. Der Vorsatz des Völkermords lässt sich daraus beweisen, nicht aber der Mord, denn wie der Chef des Generalstabes der Armee in Berlin, Von Schlieffen, in seinem entscheidenden Schreiben an den Reichskanzler Von Bülow feststellt, und hier zitiere ich den Erfinder der Völkermordlegende, Drechsler selbst: "Er (Von Trotha) hat nur nicht die Macht, sie (die Vernichtung) durchzuführen".


Wann und ob jemals der Tatbestand des Völkermords an Herero nach der ausdrücklichen Rücknahme der Von Trothaschen Proklamation und Einrichtung der "Auffanglager" erfüllt wurde, muss noch entschieden werden. Dies bringt uns zur Hereroklage vor Gericht in den USA zurück. Es ist faszinierend und durchaus möglich, anhand zeitgenössischer Berichte, in- und ausländischer Archive, moderner Karten und mit Landes- und Sprachkenntnissen die Ereignisse vom 1904 und 1905 zu entschleiern. Sie gleichen dem "modernen" Geschichtsbild in vielen Hinsichten nicht.


Eine landeskundige Geschichte des "Hererokriegs" ist noch nicht geschrieben. Brigitte Laus guter Anfang dazu wurde vom Schicksal abgebrochen. Ob das Gericht in Washington oder das Jahr 2004 zu einer Versachlichung der Warheitsfindung führt, werden wir erleben.


(Red. : Brigitte Lau war vor ihrem Tode Archivarin in Windhoek)

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-01

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