Wenn aus Bewegung Kunst wird
Von Simon Kunert
Die Jogginghosen sind weit, die Turnschuhe zerschlissen. Lässig sitzen Adam und Gerald auf einem der großen Steine vor dem Zoo-Park-Café. Pause. Seit drei Stunden sind sie schon hier. Auf Geralds schwarzem T-Shirt steht in weiß die Aufschrift „Parkour Linz“. Unter Adams Trägerhemd quellen muskulöse Oberarme hervor. Ein Modellathlet. 1.88 Meter groß, blond. Auf dem Kopf ein umgedrehtes Cap: Typ Mädchenschwarm.
Für Gerald und Adam sind öffentliche Räume Spielplätze. Dort finden sie alles, was sie brauchen: Bänke, Bäume, Treppen, Steine, Wände. Ein Eldorado für Parkourläufer. Der Zoo Park ist einer ihrer Lieblingsspots. Ansonsten halten sie sich im Garten am Tintenpalast oder am Gelände des Polytechnikums auf.
Überall dort hüpfen, kraxeln, rollen sie. Kein Hindernis ist ihnen zu hoch, keine Bewegung zu kompliziert. Ihre Sprünge sind präzise, die Landungen sicher. Treppenlaufen ohne die Stufen zu benutzen? Kein Problem! Mit Katzensprüngen Distanzen von mehr als drei Metern überwinden? Ein Kinderspiel. Seit sechs Jahren trainieren sie zusammen. Unzählige Übungsstunden haben sie hinter sich. Sie sind Autodidakten. Haben mit penibler Akribie ihre Bewegungen präzisiert.
Schnörkel sind etwas für Angeber
Parkour ist eine komplexe Sportart, die auf nüchternen Grundsätzen beruht. „Im Vordergrund steht die Effizienz möglichst schnell und geschickt von A nach B zu kommen. That’s it. Schnörkel versuchen wir zu vermeiden“, erklärt Adam. Es zählt nicht der Kick, sondern die Nachhaltigkeit. Damit grenzt es sich klar vom verwandten Freerunning ab, das mit Elementen aus dem Turnen und der Gymnastik vermischt ist. Prahlerei oder Selbstdarstellung hat mit Parkour nichts zu tun. Die Einfachheit des Sports liegt in seinen Ursprüngen.
Wer denkt, Parkour sei eine Erfindung des 21. Jahrhunderts, irrt. Der Trendsport blickt auf eine über einhundertjährige Tradition zurück und beruht auf den Grundsätzen der „Methode naturelle“. Einer Trainingsmethode, die der französische Marineoffizier Georges Hébert Anfang des 20. Jahrhunderts begründete. Héberts Grundsatz lautete: „Être fort pour être utile“ – „Stark sein, um nützlich zu sein“. Er empfahl jedem Bürger ein lebenslanges Training in natürlichem Terrain. Darin sollten Lauf-, Wurf-, Sprung-, Hebe- und Schwimmelemente vermischt sein. Héberts Idee kam gut an. Auf Konkurrenzkampf und militärische Zwecke war sie nicht ausgerichtet, dennoch bediente sich schon bald die Armée française ihrer Vorteile.
Die Soldaten sollten durch sie schnellere Ruckzugsmöglichkeiten haben. So kam Raymond Belle zum ersten Mal mit dem Trainingsprinzip in Berührung. In Vietnam geboren, nutzten er und seine französischen Kameraden Héberts Methode, um das Fluchtverhalten im Dschungel des Indochinakrieges zu perfektionieren. Später ging Belle nach Paris zur Berufsfeuerwehr und gab seine Kenntnisse an seinen Sohn David weiter. Erst der führte den Begriff „Le Parkour“ ein.
Öffentliche Wahrnehmung verzerrt
Nachdem sich David zunächst in der freien Natur austobte, baute er seine Bewegungen später im Pariser Vorort Lisses weiter aus. Die städtische Beton- und Stahl-Landschaft bot eine ideale Spielfläche für Belles Bewegungsdrang. Rasch entwickelte sich eine Szene mit Gangs, deren Videos und Auftritte in Spielfilmen, wie Stirb langsam 4.0. Parkour bekannt machten.
Das Problem dabei: Medien und Filmindustrie neigen dazu, Parkour wahlweise zum Superhelden-Sport oder zum Vandalen-Treffpunkt zu diffamieren. „Meistens liest oder sieht man irgendwelche Typen, die vor der Polizei flüchten. Das hat mit dem Grundgedanken überhaupt nichts zu tun“, moniert Gerald. Parkourläufer verstehen sich selbst als eine Art Hybrid zwischen Sportler, Grenzgänger und Künstler.
Eine Reihe ungeschriebener Gesetze gibt Parkour strenge Richtlinien, derer sich die Traceure – so werden die Parkourläufer auch genannt – quasi per Ausübung verpflichten. Oberste Prämisse dabei: Nichts darf beschädigt oder arrangiert werden. Eingeschlossen sind auch die Persönlichkeits- und Eigentumsrechte von Anwohnern und Passanten. „Wir wollen niemanden stören oder belästigen. Unser Ziel ist es, uns bestmöglich an die Umwelt anzupassen“, erklärt Adam.
Die Bedeutung der eigenen Sportart mag übertrieben, gar beweihräuchernd sein, doch für Traceure ist Parkour eben mehr als ein Trendsport. „Es ist vielmehr eine Lebenseinstellung. Parkour ist meine Passion geworden“, erklärt Adam. Eine Woche ohne will er sich nicht mehr vorstellen. „Früher hing ich viel mit Freunden ab, ging aus, feierte und trank. Jedes Wochenende das gleiche Spiel. Doch es gibt nur 52 Wochenenden im Jahr. Irgendwann waren sie mir zu schade, um sie zu mit saufen zu verbringen. Wann immer ich Zeit habe, trainiere ich“, erklärt Adam.
Das ist in der Regel jeden Tag. Nach Geralds Feierabend treffen sie sich um 17 Uhr in der Stadt und trainieren zwei Stunden. Danach macht jeder für sich noch Kraft- und Stabilisationsübungen. „Zum Parkour gehört mehr als nur ein wenig rumzuhüpfen. Da steckt viel Erfahrung und verborgene Arbeit drin. Ansonsten wären unsere Übungen auch zu riskant“, sagt Gerald, der in Villingen-Schwenningen in Deutschland geboren wurde.
Blaue Flecken, Schürfwunden oder Prellungen gehören dazu. Einen Knochenbruch hatte noch keiner von ihnen. „Wir sehen uns die Spots genau an und tasten uns langsam heran. Es geht um die Perfektion, nicht um das Risiko“, sagt Adam und lässt ein leises „jedenfalls nicht immer“ folgen. Natürlich testen sie manchmal ihre Grenzen aus. Leichtsinnig werden sie nie. „Parkour spielt sich im Kopf ab. Der menschliche Körper kann viele Bewegungen. Der Großteil von uns ruft sie nur viel zu selten ab. Wir versuchen Hindernisse zu erkennen und sie bestmöglich zu überwinden. Dabei nutzen wir möglichst das ganze Bewegungsspektrum“, erklärt Adam. Er verdient sein Geld als selbstständiger IT-Fachmann und Personalcoach und kam, ähnlich wie Gerald, schon in jungen Jahren aus Polen nach Namibia.
Um Problemen im Vorhinein aus dem Weg zu vermeiden, gehen sie auf Wachpersonal oder besorgte Passanten zu und erklären, was sie tun. „Die meisten haben kein Problem damit. Mit der Polizei hatten wir beispielsweise noch nie Schwierigkeiten.“ Warum auch? Adam und Gerald hinterlassen alle Plätze so, wie sie sie vorgefunden haben. Gestellte Situationen sind nicht ihr Ding. „Es ist witzig, wenn sich doch einmal jemand aufregt, denn es ist ja unser ureigenes Interesse, dass die Plätze erhalten bleiben. Schließlich ist es unser Spielzimmer. Meistens hinterlassen wir die Plätze sauberer als vorher. Schon allein wegen der Verletzungsgefahr“, sagt Gerald, der im Elektronik- und Sicherheitsladen seiner Eltern tätig ist.
Die Szene hier in Namibia wächst – wenn auch langsam. Von ihrem Sport soll eine Message ausgehen. „Wir wollen Jugendlichen zeigen, dass es sich auszahlt hinter dem PC hervorzukommen und sich in der Natur zu bewegen“, betont Adam. Deshalb habe er Gerald nach der Anfrage auch zu dem Artikel überredet. „Ich muss mein Gesicht nicht unbedingt in der Zeitung sehen. Aber Adam hat Recht, wenn er sagt, dass man andere durch Engagement motivieren und anschieben kann“, erklärt Gerald. Dann steht er auf und überwindet mit einem Katzensprung zwei Steinklötze. Umgeben von Hindernissen ist es eben schwer, die Beine still zu halten.
Die Jogginghosen sind weit, die Turnschuhe zerschlissen. Lässig sitzen Adam und Gerald auf einem der großen Steine vor dem Zoo-Park-Café. Pause. Seit drei Stunden sind sie schon hier. Auf Geralds schwarzem T-Shirt steht in weiß die Aufschrift „Parkour Linz“. Unter Adams Trägerhemd quellen muskulöse Oberarme hervor. Ein Modellathlet. 1.88 Meter groß, blond. Auf dem Kopf ein umgedrehtes Cap: Typ Mädchenschwarm.
Für Gerald und Adam sind öffentliche Räume Spielplätze. Dort finden sie alles, was sie brauchen: Bänke, Bäume, Treppen, Steine, Wände. Ein Eldorado für Parkourläufer. Der Zoo Park ist einer ihrer Lieblingsspots. Ansonsten halten sie sich im Garten am Tintenpalast oder am Gelände des Polytechnikums auf.
Überall dort hüpfen, kraxeln, rollen sie. Kein Hindernis ist ihnen zu hoch, keine Bewegung zu kompliziert. Ihre Sprünge sind präzise, die Landungen sicher. Treppenlaufen ohne die Stufen zu benutzen? Kein Problem! Mit Katzensprüngen Distanzen von mehr als drei Metern überwinden? Ein Kinderspiel. Seit sechs Jahren trainieren sie zusammen. Unzählige Übungsstunden haben sie hinter sich. Sie sind Autodidakten. Haben mit penibler Akribie ihre Bewegungen präzisiert.
Schnörkel sind etwas für Angeber
Parkour ist eine komplexe Sportart, die auf nüchternen Grundsätzen beruht. „Im Vordergrund steht die Effizienz möglichst schnell und geschickt von A nach B zu kommen. That’s it. Schnörkel versuchen wir zu vermeiden“, erklärt Adam. Es zählt nicht der Kick, sondern die Nachhaltigkeit. Damit grenzt es sich klar vom verwandten Freerunning ab, das mit Elementen aus dem Turnen und der Gymnastik vermischt ist. Prahlerei oder Selbstdarstellung hat mit Parkour nichts zu tun. Die Einfachheit des Sports liegt in seinen Ursprüngen.
Wer denkt, Parkour sei eine Erfindung des 21. Jahrhunderts, irrt. Der Trendsport blickt auf eine über einhundertjährige Tradition zurück und beruht auf den Grundsätzen der „Methode naturelle“. Einer Trainingsmethode, die der französische Marineoffizier Georges Hébert Anfang des 20. Jahrhunderts begründete. Héberts Grundsatz lautete: „Être fort pour être utile“ – „Stark sein, um nützlich zu sein“. Er empfahl jedem Bürger ein lebenslanges Training in natürlichem Terrain. Darin sollten Lauf-, Wurf-, Sprung-, Hebe- und Schwimmelemente vermischt sein. Héberts Idee kam gut an. Auf Konkurrenzkampf und militärische Zwecke war sie nicht ausgerichtet, dennoch bediente sich schon bald die Armée française ihrer Vorteile.
Die Soldaten sollten durch sie schnellere Ruckzugsmöglichkeiten haben. So kam Raymond Belle zum ersten Mal mit dem Trainingsprinzip in Berührung. In Vietnam geboren, nutzten er und seine französischen Kameraden Héberts Methode, um das Fluchtverhalten im Dschungel des Indochinakrieges zu perfektionieren. Später ging Belle nach Paris zur Berufsfeuerwehr und gab seine Kenntnisse an seinen Sohn David weiter. Erst der führte den Begriff „Le Parkour“ ein.
Öffentliche Wahrnehmung verzerrt
Nachdem sich David zunächst in der freien Natur austobte, baute er seine Bewegungen später im Pariser Vorort Lisses weiter aus. Die städtische Beton- und Stahl-Landschaft bot eine ideale Spielfläche für Belles Bewegungsdrang. Rasch entwickelte sich eine Szene mit Gangs, deren Videos und Auftritte in Spielfilmen, wie Stirb langsam 4.0. Parkour bekannt machten.
Das Problem dabei: Medien und Filmindustrie neigen dazu, Parkour wahlweise zum Superhelden-Sport oder zum Vandalen-Treffpunkt zu diffamieren. „Meistens liest oder sieht man irgendwelche Typen, die vor der Polizei flüchten. Das hat mit dem Grundgedanken überhaupt nichts zu tun“, moniert Gerald. Parkourläufer verstehen sich selbst als eine Art Hybrid zwischen Sportler, Grenzgänger und Künstler.
Eine Reihe ungeschriebener Gesetze gibt Parkour strenge Richtlinien, derer sich die Traceure – so werden die Parkourläufer auch genannt – quasi per Ausübung verpflichten. Oberste Prämisse dabei: Nichts darf beschädigt oder arrangiert werden. Eingeschlossen sind auch die Persönlichkeits- und Eigentumsrechte von Anwohnern und Passanten. „Wir wollen niemanden stören oder belästigen. Unser Ziel ist es, uns bestmöglich an die Umwelt anzupassen“, erklärt Adam.
Die Bedeutung der eigenen Sportart mag übertrieben, gar beweihräuchernd sein, doch für Traceure ist Parkour eben mehr als ein Trendsport. „Es ist vielmehr eine Lebenseinstellung. Parkour ist meine Passion geworden“, erklärt Adam. Eine Woche ohne will er sich nicht mehr vorstellen. „Früher hing ich viel mit Freunden ab, ging aus, feierte und trank. Jedes Wochenende das gleiche Spiel. Doch es gibt nur 52 Wochenenden im Jahr. Irgendwann waren sie mir zu schade, um sie zu mit saufen zu verbringen. Wann immer ich Zeit habe, trainiere ich“, erklärt Adam.
Das ist in der Regel jeden Tag. Nach Geralds Feierabend treffen sie sich um 17 Uhr in der Stadt und trainieren zwei Stunden. Danach macht jeder für sich noch Kraft- und Stabilisationsübungen. „Zum Parkour gehört mehr als nur ein wenig rumzuhüpfen. Da steckt viel Erfahrung und verborgene Arbeit drin. Ansonsten wären unsere Übungen auch zu riskant“, sagt Gerald, der in Villingen-Schwenningen in Deutschland geboren wurde.
Blaue Flecken, Schürfwunden oder Prellungen gehören dazu. Einen Knochenbruch hatte noch keiner von ihnen. „Wir sehen uns die Spots genau an und tasten uns langsam heran. Es geht um die Perfektion, nicht um das Risiko“, sagt Adam und lässt ein leises „jedenfalls nicht immer“ folgen. Natürlich testen sie manchmal ihre Grenzen aus. Leichtsinnig werden sie nie. „Parkour spielt sich im Kopf ab. Der menschliche Körper kann viele Bewegungen. Der Großteil von uns ruft sie nur viel zu selten ab. Wir versuchen Hindernisse zu erkennen und sie bestmöglich zu überwinden. Dabei nutzen wir möglichst das ganze Bewegungsspektrum“, erklärt Adam. Er verdient sein Geld als selbstständiger IT-Fachmann und Personalcoach und kam, ähnlich wie Gerald, schon in jungen Jahren aus Polen nach Namibia.
Um Problemen im Vorhinein aus dem Weg zu vermeiden, gehen sie auf Wachpersonal oder besorgte Passanten zu und erklären, was sie tun. „Die meisten haben kein Problem damit. Mit der Polizei hatten wir beispielsweise noch nie Schwierigkeiten.“ Warum auch? Adam und Gerald hinterlassen alle Plätze so, wie sie sie vorgefunden haben. Gestellte Situationen sind nicht ihr Ding. „Es ist witzig, wenn sich doch einmal jemand aufregt, denn es ist ja unser ureigenes Interesse, dass die Plätze erhalten bleiben. Schließlich ist es unser Spielzimmer. Meistens hinterlassen wir die Plätze sauberer als vorher. Schon allein wegen der Verletzungsgefahr“, sagt Gerald, der im Elektronik- und Sicherheitsladen seiner Eltern tätig ist.
Die Szene hier in Namibia wächst – wenn auch langsam. Von ihrem Sport soll eine Message ausgehen. „Wir wollen Jugendlichen zeigen, dass es sich auszahlt hinter dem PC hervorzukommen und sich in der Natur zu bewegen“, betont Adam. Deshalb habe er Gerald nach der Anfrage auch zu dem Artikel überredet. „Ich muss mein Gesicht nicht unbedingt in der Zeitung sehen. Aber Adam hat Recht, wenn er sagt, dass man andere durch Engagement motivieren und anschieben kann“, erklärt Gerald. Dann steht er auf und überwindet mit einem Katzensprung zwei Steinklötze. Umgeben von Hindernissen ist es eben schwer, die Beine still zu halten.
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Allgemeine Zeitung
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