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Wenn die Wüste zum Pissoir wird
Wenn die Wüste zum Pissoir wird

Wenn die Wüste zum Pissoir wird

Spätestens seit der Millinium-Feier im Dünenamphitheater vor Swakopmund's Toren steht fest: Wer zu Silvester richtig loslegen und das Jahresende abtanzen will, muss zum Techno-Rave.

Dort wird alles geboten, was man so braucht, um den Ärger des Vorjahres zu vergessen und möglichst mit Stimmung ins Neue Jahr zu rutschen: Dröhnende Tanzmusik, Lasershow, zwei Bars, Platz zum Austoben und viel, viel Sand. Es ist als ob man in einem riesigen Sandkasten Topfschlagen für 5000 Gäste veranstaltet, denn spätestens nach Sonnenuntergang ist alles stockdunkel. Nur die Bühne und die Tanzfläche davor werden vom pulsierenden Buntlicht erleuchtet. Für Leute mit feinerem Geschmack, die um Mitternacht dezent mit einem Gläschen Sekt anstoßen, ist das Amphi's also nicht unbedingt das Richtige.

Doch vielleicht kann man das gar nicht so pauschal behaupten. Was vor vielen Jahren noch als Geheimtip für coole Leute und andere interessante Wesen galt, ist heute längst Alltagsrave geworden. Das Ambiente bei Amphi's ermöglicht jedem die kreative Selbstdarstellung: Man kann als lilafarbene Fee auf der Tanzfläche herumschwirren oder barfuß in Rugbyshorts Cola mit Branntwein schlürfen, oder seine 7- bis 9-jährigen Kinder in die feine Art des Partymachens einführen. Bei Amphi's' ist scheinbar alles erlaubt.

Das fängt schon beim Kartenvorverkauf an: Der Verkaufstand vorm Swakopmunder Hallenbad war tagelang umlagert wie die Umkleidekabine eines Supermodels. Und wenn man sich dann endlich bis an den Tresen durchgekämpft hatte, wurden einem unter Umständen widerprüchliche Preise, Nachrichten und Gerüchte verabreicht wie Gulaschsuppe. Eine Schaumparty solle es geben, hieß es. Der Kartenvorverkauf sei gestern abgeschlossen worden. Oder der glatzköpfige Smoothie hinterm Tresen versuchte einem 150 Lappen abzuknöpfen für Karten, die eigentlich nur 130 kosten sollten. Man könne auch VIP-Eintrittskarten für N$ 300 (der eigentliche Preis: N$ 150) kaufen, und dafür bekäme man dann saubere Toiletten (!), gratis Essen und Getränke und dürfe sich Backstage unter die Prominenz des Abends mischen - Brooklyn Bounce und New Cortex.

Die meisten hartgesottenen Partymacher ziehen dann schon am frühen Vormittag in die Wüste, um sich einen guten Stellplatz für ihr Camp zu sichern. Das gesamte Dünental, in dem das Amphitheater liegt, ist verbarrikadiert. Autoschlangen werden am Tor abgefertigt. Fahrer werden gebeten, den Kofferraum zu öffnen - man will sicher machen, dass sich kein blinder Passagier unter den vielen Coolboxen und Schlafsäcken verkrochen hat. Sicherheitsbeamte patrollieren ständig das Gebiet um das Amphis und die Dünenkämme, damit sich keine Grenzgänger einschmuggeln. Das Rauschgiftdezernat der Polizei ist auch zugegen und filzt nach Willkür verdächtig aussehende Charaktere.

Im Eingang des Amphitheaters steht eine riesige Bühne, flankiert von doppelstöckigen Lautsprechertürmen. Das VIP-Zelt direkt dahinter. Rechts davon, fast schon mitten in der Fläche, eine Batterie Plastik-Klos für die Normalsterblichen, die keinen sonderlich hygienischen Eindruck vermitteln. Hm, vielleicht wär die VIP-Karte doch keine schlechte Option gewesen?! Rings um das weitläufige Gelände am Fuße der Dünen sprießen bunte Camps aus dem Boden wie Staubpilze, und jedes nur erdenkliche Spielzeug ist im Einsatz: LED-Leuchtfrisbees, Quadbikes oder Poi-Bälle an kurzen Ketten, die in kunstvollen Kreisen um den Kopf geschwungen werden. Hier und da sieht man Waghalsige, die es mit Feuerspucken versuchen.

Zum Sonnenuntergang stürmen mehr und mehr Leute auf die Dünenkämme, um noch einen letzten Blick auf die sich verabschiedende Sonne von 2005 zu werfen. Kurz nach dem Sundowner geht es auch schon los: Ein dumpfes Grollen bebt aus den Lautsprechern und die Party kann anfangen.

Techno-Tanzmusik ist vielleicht nicht jedermanns Sache, aber über kurz oder lang tobt alles vor der Bühne, egal ob in Bell-Bottoms oder Rugby Shorts. Wer grad nicht tanzen mag, gibt seine zuvor geprobten Kunststücke im Feuerspucken und Poi-Bälle-Schleudern zum Besten. Andere, die sich noch auf Sparflamme vergnügen, bleiben einfach in ihren Camps und versuchen ihren Poitjies den letzten Ravebeat beizubringen. In den meisten Camps, egal ob sie gerade besetzt sind oder nicht, läuft Mucke - von Boere-Techno über Vastrap bis Reggae.

Bis Mitternacht legte die Jungs auf der Bühne selbst für hiesige Verhältnisse ziemlich zahme Sachen auf. Die anspruchslosen Tanzbeats erinnerten einen bisschen an die Discomusik der 80er. Vielleicht wollten die DJs den Live-Acts nicht die Show stehlen, vielleicht aber versuchten sie, das Publikum auf das richtige Niveau abzustufen. Denn als oberste Sahne konnte man den Auftritt von New Cortex nicht gerade bezeichnen. Eine aufgedonnerte, Barbie-ähnliche Blondine in Stilettos und mit viel Holz vor der Hütt'n, die einen Backtrack mimte, brachte einfach keine tänzerischen Hochleistung, auch wenn ihr muskelstrotzender Begleiter seine Bizeps flexte, bis sie wie Ochsenfrösche hüpften. Wen erstaunt's, dass das Publikum keine Zulage verlangte? Die DJs versuchten die Sache krampfhaft gerade zu biegen und machten Dampf bis Mitternacht. Der Jahreswechsel wurde - das war vorhersehbar - zu früh eingeläutet und brachte einen klebrigen Sekt- und stinkenden Feuerwerksregen mit sich.

Dann aber folgte der vielversprechende zweite Akt von Brooklyn Bounce mit DJ "Bonebreaker" aus Berlin. Frontman Diablo heizte dem Publikum mit heiseren Sprechgesängen ein, während seine zwei spärlich gekleideten Tänzerin einen Pseudo-Striptease abzogen. Eine Kamera auf der Bühne bannte das Ganze unscharf auf zwei Leinwände links und rechts von der Bühne, während sich die Lasershow durch wallende Rauchschwaden aus einer Maschine tastete. Der Mob tobte und verlangte Zulagen, die das Trio mit seinen zwei DJs auch breitwillig zugestand.

DJ Bonebreaker blieb dann auch dran und legte weiterhin auf, doch das Publikum verlief sich nach und nach. Vielleicht waren seine Beats doch nicht so knochenbrechend. Erst als die einheimischen Jungs Eddy, Jarred und Flippie ihre House- und Trancescheiben auflegten, belebte die Tanzfläche sich wieder und blieb lebhaft bis zum Sonnenaufgang.

Und welch ein Morgen'grauen' - ähnlich wie auf einem Schlachtfeld. Flaschenberge wo man schaute, Schnapsleichen und ein paar Nimmersatte, die noch nicht mitbekommen hatten, dass die Party vorbei war.

Hut ab vor den armen Reinemachemännern - das war bestimmt eine Herkulesarbeit. Die Organisatoren hatten sich aber auch ins eigene Fleisch geschnitten, denn es gab keine Mülltonnen. Auch glänzte das Notarzt-Zelt durch Abwesenheit. Und die feinen VIP-Toiletten? Na ja, die blieben größten Teils unbenutzt, denn in dieser Nacht wurde die Wüste zum Pissoir.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-15

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