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Wenn Windhoeks Kneipen langweilig werden

reitagnacht. Die Straßen in der Windhoeker Innenstadt wirken wie ausgestorben. Das Nachtleben konzentriert sich auf einige wenige Kneipen, Clubs und Restaurants. Fu3ion, Funky Lab, Luigi's, The Wine Shop, Blu Note, Dylan's Action Pub. Da hört's dann schon bald auf. Joe's Beerhouse und die Sardinia Pizzeria für diejenigen, die etwas essen möchten. Chez-n-Temba und La Dee Das für alle, die abtanzen wollen. "Immer das gleiche", jammern die Windhoeker, "und überall die gleichen Gesichter."

In den ärmeren Vororten der Hauptstadt haben die Menschen andere Probleme. Ein Mangel an Ausgehmöglichkeiten jedenfalls gehört nicht dazu. Schätzungsweise 6000 Shebeens oder Cuca-Shops - so werden die improvisierten Schenken und Kneipen genannt - soll es in Katutura, Khomasdal und den informellen Siedlungen Windhoeks geben. Bei Anbruch der Dunkelheit wuselt es in den Straßen der Townships. Kinder kicken ausgediente Fußbälle durch die Straßen. Frauen haben sich herausgeputzt und flanieren durch die Nachbarschaft. Männer lehnen in Gruppen an den Grundstückseinzäunungen. Ein Duft von offenem Feuer und gebratenem Fleisch hängt in der Luft. Aus den Wellblechhütten und Häusern dröhnen Kwassa-Kwassa-Rhythmen. Es ist Wochenende. Freitag Abend fängt die Party an, und erst mit Sonnenuntergang am Sonntag kommt langsam wieder ein wenig Ruhe in Windhoeks größtes Siedlungsgebiet.

Und wo sind die originellsten Shebeens? Israel, unser Touristenführer von Face-to-Face Tours, schaut uns mit großen Augen an. Es gibt so viele, scheint sein etwas ratlos dreinblickendes Gesicht zu sagen. Und was werden die Weißen wohl mit "originell" meinen?

Unsere Kneipentour beginnt am Rande von Katutura, wo die etliche Kilometer lange Independence Avenue einen Verkehrszirkel beschreibt, bevor sie tiefer in die Townships hineinführt. Hier stehen noch die alten Kleinfamilienhäuser, die die Stadt Windhoek zu Beginn der 60er Jahre erbaut hat, als alle Nicht-Weißen mit Einführung der Apartheidsgesetze in das neu errichtete Katutura zwangsumgesiedelt wurden, den "Platz an dem wir nicht leben wollen". Die Mietshäuser sind mit der Unabhängigkeit Namibias in Privatbesitz übergegangen. Und auf vielen der Grundstücke wird in kleinen, oft bunt bemalten Anbauten Alkohol ausgeschenkt.

Hier gibt's einen Cuca-Shop direkt neben einem Kindergarten; auf der gegenüberliegenden Straßenseite: das Altersheim. An der vergitternten Ausschenke stehen Kinder und Arbeiter in blauen Overalls Schlange. Ein handbemaltes Stück Pappe wirbt für Fetkoekies, ein Krapfen-ähnliches Gebäck, zu einem Namibia Dollar das Stück. Ein Blick ins Innere der grün gestrichenen Wellblechhütte zeigt: Dies ist mehr ein Tante-Emma-Laden denn eine Kneipe. Aber auf einer Bank hat sich schon eine Gruppe von Frauen zum Feierabend-Umtrunk zusammengefunden. "Diese Shebeens haben manchmal einwöchige Aktionen, mit denen sie die eine oder andere Familie unterstützen", erklärt Israel. "Dann kommen alle Bekannten und Freunde der Familie und kaufen hier ein oder treffen sich zum Umtrunk."

Unser nächster Stopp: Chico's Place. Chico hat in einem offenen Wellblechschuppen eine Großleinwand aufgebaut. Für andere Kneipen ist eine Telefonzelle die Kunden-Attraktion. Dutzende kleine und große Fußballfans folgen gespannt dem Spiel "der Mafia" (Italien) gegen Schweden. Unsere Ankunft allerdings lenkt die Aufmerksamkeit gehörig ab. Weiße Gesichter in einer Shebeen sind eine größere Sensation als wenn der italienische Stürmer Totti seinen schwedischen Gegenspieler anspuckt. "Hello, how are you?", werden wir überschwänglich begrüßt. Dann der übliche schnelle Wortwechsel mit unserem Tourguide Israel auf Herero, und die Neugierde ist befriedigt. Wir müssen natürlich Fotos machen, die unsere Fotomodelle nie zu sehen bekommen werden. Aber was spielt das schon für eine Rolle, alle sind glücklich wenn es Knips macht.

Zum ersten Drink ist uns erst in "Spot de Titanic" zumute. Hier wird's schnell gemütlich. In Sekundenschnelle ist der Inhaber da und kümmert sich persönlich darum, dass die seltenen weißen Gäste ein Bier bekommen. Wie er auf den merkwürdigen Namen für seine Schenke kam? Eigentlich ist er ja großer Bayern-München-Fan. Aber als er 1998 den Laden eröffnete, da waren die Franzosen Fußballweltmeister. Also musste irgendetwas Französisches in den Namen: "de". "Spot" steht für Platz, und "Titanic" ist von dem gleichnamigen Film inspiriert. Aber sein Foto sollen wir lieber nicht in die Zeitung setzen, denn tagsüber arbeitet der Titanic-Mann in der Bank.

Ein ganz alltägliches Szenario. Seit das namibische Parlament 1998 ein neues Alkoholgesetz verabschiedet hat, sind streng genommen alle Shebeen- und Cuca-Shop-Besitzer verpflichtet, Betriebslizenzen zu beantragen. Von den geschätzten 6000, größtenteils illegalen Pinten haben sich nach neuesten Informationen der Windhoeker Stadt rund 160 für Lizenzen beworben. Die Hälfte der Anträge wurde abgelehnt. Die wenigsten Shebeens entsprechen den Auflagen. Dazu gehören Baugenehmigungen, die Errichtung von mindestens zwei Toiletten mit fließend Wasser und die Einhaltung gewisser Hygienestandards. Regularien, die für das Gros der Cuca-Shops das Aus bedeuten würden, wenn die Stadt die neue Gesetzgebung wirklich durchsetzen wollte. Doch damit ist sie sowieso völlig überfordert - und will andererseits das Unternehmertum und Kleingewerbe nicht entmutigen.

So gestaltet sich selbst in manchen der professionelleren Shebeens der Gang zur Toilette als Abenteuer. Man rät uns an, nicht ohne Begleitung zu gehen. Das Bad im Wohnhaus auf dem Hinterhof ist besetzt, aber dann gibt es noch ein separates WC irgendwo im Dunkeln, nur nach einem Marsch über Stock und Stein zu erreichen. Vielleicht ist es ganz gut, dass in dem kleinen WC-Häuschen kein Licht brennt.

Inzwischen sind wir in der Okiti Bar No.1 angelangt. Sie liegt auf eine Anhöhe und von den hohen Bartischen aus haben wir einen wunderbaren Blick über das Lichtermeer von Wanaheda. Jeder zweite Gast kennt irgendjemanden, der "richtig gut Deutsch spricht", oder auch schon mal in Deutschland war. Dass wir Namibier sind, will uns Bleichgesichtern keiner so recht glauben. "Aber wir sind alle eins, we are together", beteuert ein fröhlich angetrunkener alter herero-sprachiger Mann immer wieder. Und freut sich, dass wir zu Kwassa-Kwassa die Hüften schwingen können.

An der Wand eine Jukebox, ein seltenes Relikt aus vergangenen Zeiten. "Sam Ouli Peni" (Sam, wo bist Du?) und andere Freedomsongs stehen zur Auswahl, aber auch neuere namibische Musik. Wir schmeißen eine Runde und haben viele neue Freunde.

In der Otjomuise Bar bleiben wir nicht lange. Zu viele Männer, zu viele Billiardtische. Wir sind froh um Israel und die beiden Rastamänner, die uns drei Frauen begleiten. Weiter gehts zu Difa No.1, wo die Party schon um acht Uhr in vollem Gange ist. Hier gibt's erstmals einen Türsteher, und der passt unter anderem auf, dass keine Getränke aus der Kneipe mit nach Hause genommen werden. Tafel-Lager-Bier gibt es in vielen Pinten nur in großen Ein-Liter-Flaschen, Wein ist eine Rarität. In den wohlhabenderen Shebeens steht eine gute Auswahl von Spirituosen zur Verfügung. Tombo, das selbstgebraute Bier, hätten wir gerne noch probiert. Aber das gibt es nur in den Cuca-Shops der informellen Siedlungen, wo jede zweite Hütte als Shebeen genutzt wird, und da geht selbst Israel nach Sonnenuntergang nicht gerne hin.

Ein Sicherheitsrisiko stellt unsere Shebeentour allerdings zu keinem Zeitpunkt dar. Vielleicht wäre das anders, wenn wir auf eigene Faust losgezogen wären. Mit Israel, unserem Tourguide von Face-to-Face Tours jedoch fühlen wir uns gut aufgehoben und überall willkommen. Das geht Israel nicht anders, als wir ihn am Ende in unsere Stammkneipe in Windhoek mitnehmen. "Das war ein spaßiger, interessanter Abend", meint er beim Abschied strahlend. Für uns erst recht. Und nun wissen wir endlich: Windhoeks Kneipen müssen uns nicht langweilig werden. In Katutura und Umgebung gibt es 6000 Shebeens zu entdeck.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-15

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