Wer wird vom Phosphat aus Namibia profitieren?
Ein schwarzer Junge sitzt mit offenen Händen am Straßenrand in Nigeria. Er hat Hunger, großen Hunger. Wenn eine Person auch nur ein Stück Brot in seine kleine Hand drückt, strahlen die Augen. So traurig das Szenario eines bettelnden Jungen auch sein mag, ist es eine einmalige Gelegenheit für so manchen Wirtschaftsmagnat, ein großes Geschäft zu machen.
Der Mensch muss essen und das täglich – die Zukunft liegt in der Lebensmittelindustrie. Dieses Potenzial hat auch die Firma Namibia Marine Phosphate (NMP) erkannt, die sich selbst als namibische Firma bezeichnet – und das, obwohl der Großteil der Anteilseigner australische Firmen sind. Das Ziel: NMP will das namibische Phosphatvorkommen, das auf dem Meeresboden vor Namibias Küste liegt, ausbeuten und in die ganze Welt liefern. Das Phosphat soll in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Mit mehr Dünger können noch mehr Lebensmittel produziert werden. Auf dem Papier klingt das großartig. Es klingt nach viel Geld. Doch die große Frage lautet: Um welchen Preis?
„Entweder wird die Fischindustrie oder die Phosphatindustrie gedeihen – aber nicht Beide“, meint die Umweltlobbygruppe Swakopmund Matters. Die Gruppe wurde im Jahr 2011 gegründet, Anlass war die Ankündigung für Pläne zum Bau eines gigantischen Industrieparks nördlich von Swakopmund. Die Küstenbewohner waren sofort in Aufruhr und haben die Gemeinschaft mobilisiert. Übrigens: Der Bau des „Vision-Industrieparks“ sollte laut urspünglichen Planungen schon Ende 2012 beginnen – was ist eigentlich daraus geworden?
Swakopmund Matters hat seither auch andere Umweltbelange unter die Lupe genommen, darunter den geplanten Phosphatabbau. „Der Einfluss dieser Bergbauaktivitäten auf dem Meeresgrund wird beachtlich sein“, meint Swakopmund Matters in dem jüngsten Rundschreiben. Ob dies aber wirklich der Fall sein wird, kann kein Umweltexperte mit Sicherheit sagen. Wird die wirtschaftlich nachhaltige Fischindustrie zusammenbrechen, sobald der Phosphatabbau beginnt? Auch diese Frage kann bis dato kein Experte mit absoluter Sicherheit beantworten, weil noch nie zuvor der Rohstoff im großen Stil vom Meeresboden abgebaut wurde. Für die Fischindustrie ist es nicht eine eventuelle Katastrophe, sondern die Unsicherheit über die Zukunft, die diese in Atem hält.
Namibia kämpft wie viele andere Länder weltweit mit der Geldgier. „Die Regierung will das Brot auf beiden Seiten buttern. Wir haben das Dilemma, dass die Regierung Bergbauaktivitäten in dem gleichen Ort zulässt, wo der Tourismus floriert“, sagte Peter Tarr von der Umweltorganisation SAIEA (Southern African Institute for Environment Assessment) bei einem öffentlichen Treffen in Swakopmund vor genau zwei Jahren. Tarr hat mit dieser Aussage mehr als Recht. Wenn Uranminen in Naturparks entstehen, sollen auch Fischerei und Bergbau zusammenleben können. Dies sorgt jedoch für Stirnrunzeln sorgen, weil eine Synergie unmöglich scheint. Zumindest Fischereiminister Bernhard beschäftigt der Phosphatabbau schon seit längerem. In der Nationalversammlung hatte er sich unlängst dazu geäußert und seinen Standpunkt deutlich gemacht: „Ich bin über den Einfluss des Phosphatabbaus besorgt“, sagte er vor allen anderen Politikern. Seine Meinung wurde von Parlamentspräsident Theo-Ben Gurirab unterstützt: „Ich bin gegen die Idee (…)“, sagte Gurirab.
Hinsichtlich des Phosphatabbaus in Namibia befürchten Experten ein ähnliches Szenario wie beim Inselstaat Nauru im Pazifischen Ozean – von Fläche und Einwohnerzahl her der drittkleinste Staat der Erde. Nauru konnte lange Zeit vom Abbau reicher Phosphatbestände leben. Doch alles hat irgendwann ein Ende. Das Vorkommen ist zur Neige gegangen und der Inselstaat, der zur Zeit des Phosphatabbaus noch das höchste Pro-Kopf-Einkommen weltweit vorweisen konnte, verarmte drastisch. Die Staatsfinanzen bewegen sich nun am Rande des Bankrotts. Von 2005 bis 2006 war die Insel nur noch per Seeweg erreichbar, da mit der Air Nauru die einzige Fluggesellschaft ihren Betrieb eingestellt hatte.
Ein solches Schicksal wird Namibia wohl kaum treffen. Dennoch sollte Namibia von diesem Beispiel lernen. Derzeit profitiert der Staat ordentlich von den verschiedenen Bergbauaktivitäten. Sei es der Diamantabbau bei Oranjemund, der Uranabbau im zentralen Küstenbereich, die Goldmine Navachab bei Karibib oder der künftige Phosphatabbau. Doch diese Aktivitäten sind nicht nachhaltig und irgendwann wird jeder Rohstoff ausgehen oder dessen Abbau zu teuer. Es kann morgen sein oder erst in 30 Jahren, dass die Uranmine Rössing, die bis zu 1500 Menschen beschäftigt, ihre Türen für immer schließen wird. Was passiert dann aus dem gigantischen Tagebau und den Familien, die ihr Einkommen verlieren?
„In den vergangenen Jahren war Namibias Meeresumwelt mehrfach bedroht, zum Beispiel durch Umweltverschmutzung. Doch der Abbau von Phosphat ist weitaus gravierender und stellt eine neue Herausforderung dar“, meint Swakopmund Matters. Die Gruppe beruft sich dabei auf die Bedenken von „vielen Meeresbiologen“, die sich der potenziellen Folgeschäden bewusst sind. Besonders besorgt ist Marica Stanton, Direktorin von Earth Organisation Namibia, die befürchtet, dass Namibia zum Testgelände wird. Aus diesem Grund ist die Meinung der beiden Politiker, die sich in der Nationalversammlung dazu geäußert haben, ein gutes Signal. Esau und Gurirab haben sich zumindest skeptisch gezeigt. Das ist ein Zeichen, dass sie nicht nur das Einkommen sehen, das Namibia Marine Phosphate generieren könnte. Sie haben potenzielle Folgen in Betracht gezogen.
Gesetzt den Fall, dass Namibia Marine Phsophate das lang ersehnte grüne Licht bekommt. Dann wird die Sandpiper-Mine schon bald mit dem Phosphatabbau beginnen. Am Stadtrand von Walvis Bay wirdleine gigantische Verarbeitungsanlage entstehen und knapp 100 Menschen werden einen Job bekommen. Der Rohstoff wird in die ganze Welt geschifft und der Geschäftsführer von Namibia Marine Phosphate lächelt. Seine Pension ist gesichert, die finanzielle Zukunft seiner Nachfahren auch. Gesetzt sogar den Fall, dass die Fischindustrie weiterhin floriert und der Einfluss von NMP kaum spürbar ist. Alle sind glücklich. Der Dünger hilft dabei, mehr Lebensmittel zu erwirtschaften. Doch wird der Hunger des kleinen schwarzen Jungen in Nigeria gestillt?
Erwin Leuschner
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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