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Wilde Pferde, scheue Forscherin: Freiheit auf Hufen in Namibias Wüste

Flimmernde Hitze, sengende Sonne. Wohin das Auge schaut, türmen sich Sand, Geröll und Felsen. Kaum ein Strauch, kaum ein Baum, der Schatten spendet. Rau, lebensfeindlich und abweisend wirkt die Landschaft am Rande der Namib, der ältesten Wüste der Welt.

Mehr als 50 Millimeter Niederschlag pro Jahr sind hier selten. Gelegentlich deutet ein abgenagtes Antilopen-Skelett darauf hin, dass auch in der Todeszone einer der trockensten Regionen dieser Erde Leben existieren muss. Am Horizont tauchen plötzlich kleine Punkte auf. "Das sind sie", sagt Tilané Greyling mit Ehrfurcht in der Stimme: "Die berühmten Wildpferde von Garub".

Die Zoologin aus Südafrika ist Stammgast in dieser Ecke Namibias. Seit 1992 erforscht sie bereits die Lebensumstände der von Legenden umwobenen Tiere, die die Freiheit der kargen Wüstenwelt dem gesicherten Dasein in Gefangenschaft vorziehen. In den kriegerischen Wirren am Ende der deutschen Kolonialzeit waren mehrere von ihnen entlaufen, verwildert und zu Überlebenskünstlern in einer harschen Umwelt geworden. Seitdem faszinieren sie ähnlich wie Nordamerikas Mustangs als Symbole für ungestümen Freiheitsdrang. Die Theorien über ihre genaue Herkunft - mal als des deutschen Kaisers letzter Gruß an seine Ex-Kolonie, mal als Überlebende eines Schiffsdebakels an der nahen Atlantikküste - gaben dieser Faszination zusätzliche Nahrung.

Greyling hält nichts von Legenden. "Die Behörden benötigen wissenschaftlich exakte Daten", sagt die 33-Jährige, als sie sich der grasenden Herde nähert. Ähnlich wie ihre Schützlinge gibt auch sie sich im Umgang mit der Öffentlichkeit eher scheu. Dabei ist sie in Sachen Wildpferde auf dem besten Wege das zu werden, was die Engländerin Jane Goodall für die Schimpansen-Forschung darstellt: eine Wissenschaftlerin, die ihr Lebenswerk in Erhalt und Erforschung einer bedrohten Tierart sieht. Obwohl sie mit äußerst knappen Mitteln die bisher umfassendsten Erkenntnisse zu Namibias Wildpferden zusammentrug, meint sie bescheiden: "Ich stehe erst am Anfang meiner Arbeit".

Jedem einzelnen der auf zwei Dutzend Gruppen verteilten 135 Tiere hat sie zur besseren Unterscheidung Namen gegeben. Ihr Leben hat sie seit Ende 1993 wissenschaftlich erfasst und akribisch dokumentiert. "Baltimore" gehört dazu. Der 20-jährige Hengst grast am Rande der Gruppe. Obwohl er wachsam die Umwelt registriert, reagiert er auf Annäherung nur zögerlich mit Stellungswechsel. "Wer in der Wüste überleben will, muss Energievergeudung vermeiden - deshalb rennt er

nicht einfach panisch weg", erklärt Greyling "Baltimores" Verhalten.

Mit stoischer Ruhe zupft er die spärlichen Buschmann-Gräser, die die Ebene bedecken. Rund sieben Kilogramm der proteinreichen Halme braucht "Baltimore" pro Tag, um überleben zu können. Nach einer eher guten Regenzeit in den Jahren 2001 und 2002 sehen die Tiere zwar nicht stattlich, aber auch nicht gerade mager aus. Garant für ihr Überleben ist die Wasserstelle von Garub, rund 20 Kilometer von dem Örtchen Aus entfernt. Die Tränke war einst eine Pumpstation für die Dampflokomotiven der nahe gelegenen Eisenbahnlinie Aus-Lüderitz, die noch in deutschen Kolonialtagen errichtet worden war. Heute ist das namibische Umweltministerium dafür verantwortlich, dass das aus 120 Metern Tiefe gepumpte Wasser den Tieren zur Verfügung steht.

"In guten Regenjahren reicht der Lebensraum für bis zu 10 000 Tieren, doch in schlechten ernährt die Gräsersteppe gerade mal 50 Pferde", sagt Greyling, die von den Besitzern der nahe gelegenen Lodge "Klein Aus Vista" bei ihrer Arbeit unterstützt wird. Im Rahmen ihrer Forschungstätigkeit zerstörten Greylings Freunde bei ihren Recherchen nachhaltig den Mythos um die Herkunft der Tiere. Nachdem die Pferde der ehemals kaiserlich-deutschen Schutztruppe lange Zeit als Begründer der Wildpferde von Garub angesehen wurden, gelten heute deren damaligen Feinde als Urväter. "Wir haben im Militärarchiv von Johannesburg geforscht und sind auf interessante Zusammenhänge gestoßen", sagt der Historiker und Naturschützer Mannfred Goldbeck.

Demnach hatten sich die Deutschen im Ersten Weltkrieg vor den anrückenden südafrikanischen Soldaten an der Wasserstelle von Aus verschanzt. Der kaiserlichen Schutztruppe standen 10 000 Südafrikaner mit 6000 Pferden bei Garub gegenüber, die sich für eine später dann doch nicht stattfindende Schlacht rüsteten. Goldbeck: "Die Deutschen hatten einen Doppeldecker, mit dem sie das Lager der Südafrikaner regelmäßig bombardierten. Als die immer zielgenauer zurückschossen, warfen die Deutschen ihre Bomben schließlich in die Pferdeherden."

Sein Bekannter Sven-Eric Kanzler stieß auf einen Kriegsbericht aus der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika, in dem es heißt: "Am Morgen des 27.3. (1915) flog der unermüdliche Fliegerleutnant Fiedler nach Garub und warf mit gutem Erfolg Bomben in das feindliche Lager und unter etwa 1700 weidende Pferde der Kavallerie und richtet eine große Verwirrung an." Goldbeck geht davon aus, dass die Tiere ins Diamanten-Sperrgebiet flohen, das selbst für Pferdefänger tabu war.

Er stützt seine Erkenntnisse auch auf Greylings Analysen. Sie wies im Erbgut der Tiere den Einfluss britischer Hackney- und Araberpferde nach. Die Tatsache, dass es daneben aber auch Hinweise auf Vollblüter und Trakehner gibt lässt sie vermuten, dass zumindest einige der deutschen Pferde mit dem damaligen Gegner "fraternisierten". Goldbeck träumt davon, mit Freunden zusammen eine Stiftung ins Leben zu rufen, die benachbartes Farmgelände aufkauft und umwidmet und so Namibias Wildpferden das Überleben sichert. "Die Stiftung sollte mit dem Staat zusammen arbeiten und neben der ökologischen auch eine soziale Komponente haben, die die Bevölkerung vor Ort einbindet", so der mediengewandte Ex-Lehrer, der schon über eine Machbarkeitsstudie nachdenkt. Er erwägt ein Modell, bei dem Spender Patenschaften für bestimmte Pferde übernehmen könnten: das Modell "Adopt-a-horse".

Greylings Forschungsberichte könnten im Internet veröffentlicht und den Spendern zugänglich gemacht werden. Die Zoologin jedoch will zunächst Ende kommenden Jahres ihre Doktorarbeit über den Einfluss der Pferde aufs sensible Ökosystem bei Südafrikas Nord-West-Universität einreichen. Seit Monaten ist sie dabei, den Bestand an Reptilien, Insekten und kleineren Säugetieren um Garub zu ermitteln, Daten über Artenbestände zu sammeln und mit einem Kontrollgebiet zu vergleichen.

Ihre Forschungen haben bisher ergeben, dass die Pferde die seltenen Sukkulenten-Arten in ihrem rund 35 000 Quadratkilometer großen Weidegebiet weitgehend verschmähen. Auch für die seltenen Erdwölfe oder Schildkröten der Gegend sieht sie keine Gefahr. "Ich persönlich hätte keine Probleme, eine Umsiedlung der Pferde zu befürworten, wenn sie wirklich einen negativen Einfluss auf die Umwelt hätten", sagt die Zoologin. Den aber sieht sie bisher nicht: "Sie sind Teil des Systems und in ihrer ökologischen Nische so etwas ähnliches wie die Zebras - nur dass sie keine Streifen haben."

Im Juni knüpfte sie in den USA Kontakte zu Mustang-Experten. Sie wollte dabei auch für ihre Idee eines "Internationalen Wildpferde-Verbands" werben - einem weltweiten Netzwerk, das internationale Forschungsergebnisse bündeln könnte. Mit ihrer Untersuchung will sie dazu beitragen, den Mythos der wilden Pferde in Namibias Südwesten auf eine wissenschaftlich solide Basis zu stellen und ihren Lebensraum dauerhaft zu sichern. Denn der ist auch nach rund 90 Jahren alles andere als gefestigt. Die Gefahr kommt von verschiedenen Seiten. Zum einen durch die klimatischen Schwankungen der Umgebung, zum anderen durch übereifrige Umweltschützer. Sie sehen verwilderte Pferde als potenzielle Störfaktoren in einem sensiblen Naturraum und befürchten, sie könnten das natürliche Gleichgewicht der Region schädigen.

Die zur Zeit weitgehend wieder verstummte Debatte weist Parallelen zu einem öffentlich ausgetragenen Streit im Nachbarland Südafrika auf, wo 1930 mehrere vom Aussterben bedrohte Himalaja-Bergziegen aus einem Kapstädter Zoo den Weg in die Freiheit fanden. Auch sie vermehrten sich prächtig, drohten aber die ökologisch wertvolle Fynbos-Vegetation zu zerstören. Gegen den Protest aufgebrachter Tierschützer wurden sie daher im Juni bei Treibjagden zu Dutzenden abgeschossen. "Wo immer es Wildpferde gibt, gibt es Kontroversen", sagt Greyling, die auf ähnliche Debatten in den USA oder Australien hinweist. Auf dem Höhepunkt des Disputs 1992 in Namibia wurden 104 Wildpferde eingefangen und an verschiedene Interessenten verkauft. Viele starben wenig später in Gefangenschaft, vor allem die Jüngeren überlebten. Der Südafrikaner Dusan Vasiljevic, auf dessen Traubenfarm in Außenkehr am Orange-River gerade das Norotshama River Resort entstand, kaufte 15 Tiere. Er ließ sie auf dem ausgedehnten Gelände seiner Farm wieder frei. Seitdem gibt es in den dortigen Trockenfluss-Canyons des namibisch-südafrikanischen Grenzgebiet einen zweiten Wildpferde-Bestand, der heute 54 Tiere zählt.

Ralf E. Krüger, dpa

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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