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"Wir brauchen die Freiwilligen dringend"

"Die ersten Monate in Windhoek waren richtig, richtig hart." Maria Seewald sitzt auf einer Bank in der Dagbreek-Schule in Windhoek und denkt zurück an ihre Anfangszeit in Namibia. Ein Jahr ist das nun her. Kurz nach ihrem Abitur verließ sie Deutschland, um etwas von der Welt zu sehen. "Ich hatte schon lange den Drang, einmal für längere Zeit ins Ausland zu gehen. Namibia reizte mich besonders, weil ich hier als Zehnjährige mit meiner Familie Urlaub auf einer Farm gemacht habe", sagt sie. Das Weltwärts-Programm der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) schien die optimalen Bedingungen zu bieten. Eine Ausschreibung der Dagbreek-Schule, an der Schüler mit Behinderung gefördert werden, hatte es Maria besonders angetan. Sie bewarb sich für die Stelle und wurde angenommen.

Doch die neue Heimat war für sie zunächst nicht halb so idyllisch wie in ihren Urlaubserinnerungen. Auf dem Gelände der Dagbreek-Schule wurde ihr ein Heimgebäude zugeteilt, das seit rund zehn Jahren leer stand. "Das Haus war stark renovierungsbedürftig, alles war modrig und vergammelt. Es gab keine richtige Dusche, keinen Kühlschrank, keine Töpfe, Teller und auch kein Besteck", sagt Maria. Manche Fenster waren kaputt. Sie hatte keinen Herd. Durch das Haus krochen die Kakerlaken. "Eigentlich war das Haus nur als Übergangslösung gedacht - ich habe in der ersten Woche jeden Tag beim Deutschen Entwicklungsdienst angerufen und gefragt, wann ich eine andere Wohnung bekommen kann", sagt die 19-Jährige. Die tröstenden Worte einer DED-Mitarbeiterin hat sie noch heute im Ohr: "Komm schon, eine Woche hältst du das aus!" Aus der Woche wurden sieben Monate. Dann konnte Maria endlich in eine Wohngemeinschaft in Klein-Windhoek ziehen. "Wenn ich zurückschaue würde ich sagen, ich bin an dieser Erfahrung gewachsen", sagt sie heute. Sie wirkt nicht verbittert. Eher stolz, dass sie trotz widriger Bedingungen durchgehalten hat.

Auch in der Schule war anfangs nicht alles leicht. Als Klassenassistentin half sie der Lehrerin Sonia Theron mit ihrer senior 4 class. "Senior bedeutet, die Schüler sind zwischen 15 und 18. Die vier heißt, es sind die richtig schwierigen Fälle", erklärt Maria. "In ihrer Entwicklung sind die Schüler auf dem Niveau von Ein- bis Zweijährigen", ergänzt Klassenlehrerin Theron. Es dauerte seine Zeit, bis die Schüler Vertrauen zu Maria fassten. Vor allem wenn sie allein mit der Klasse war, gab es immer wieder Probleme. "Die Schüler haben sich dann gegenseitig hochgeschaukelt und waren oft nur schwer zu beruhigen", sagt Maria. Bald merkte die 19-Jährige, dass die Klassenaufstände immer auf einen bestimmten Schüler zurückzuführen waren. "Als ich den auf meine Seite gebracht hatte, ging es steil bergauf!" Wenn Maria heute in die Klasse kommt, begrüßen sie die Schüler fröhlich. Nicht immer, aber meistens, hören sie auch auf ihre Anweisungen. "Mir gefällt an dieser Arbeit, dass ich individuell helfen, das Potenzial in den Schülern entdecken und fördern kann", sagt Maria. Für Klassenlehrerin Theron ist die junge Frau aus Deutschland kaum zu ersetzen: "Sie war in diesem Jahr meine rechte Hand in der Klasse und hat mich unglaublich entlastet." Alleine könne man die Klasse nur schwer betreuen und die Regierung zahle nicht für Hilfskräfte. Auch dank der guten Teamarbeit mit Kollegin Sonia Theron blickt Maria positiv auf das Jahr zurück: "Ich hatte trotz manchen Schwierigkeiten eine wirklich schöne Zeit hier", sagt sie.
Schwierige Situationen zu meistern ist wichtiger Bestandteil des Weltwärts-Programms. "Die Jugendlichen sollen in dem Jahr nicht nur die Partnerorganisationen unterstützen, sondern auch lernen, selbstständig zu werden und sich in eine fremde Kultur zu integrieren", sagt Programmmanagerin Meike Müller. Zusammen mit zwei Kolleginnen betreut sie das Weltwärts-Programm der GIZ. Das Team führt Schulungen durch, in denen die Freiwilligen mehr über Wirtschaft, Politik und Geschichte Namibias erfahren. Alle paar Monate besuchen die Mitarbeiterinnen die Jugendlichen an ihren Arbeitsplätzen. "Der Dienst ist kein Reiseprogramm für junge Leute, die nach dem Abi Party machen wollen. Die Jugendlichen sollen hier wirklich die namibische Gesellschaft unterstützen", betont Müller. Ein wichtiger Grundsatz sei dabei, dass die Freiwilligen keine regulären Arbeitsplätze wegnehmen. "Dafür müssen die Arbeitgeber auch eine Erklärung unterschreiben", so Müller.

Dennoch ist die Arbeit im Weltwärts-Programm oft mehr als eine unterstützende Tätigkeit: Über ein halbes Jahr lang war Justin Jaensch Klassenlehrer. An der Brückenschule der Organisation Hope Initiatives South Africa. In Katutura unterrichtete er zeitweilig 25 Schüler zwischen neun und 16 Jahren. "Englisch, Mathe, Sport, ich habe alle Fächer übernommen", erzählt Justin. Zunächst war er ein halbes Jahr als Hilfslehrer eingesetzt. Als die Klassenlehrerin die Schule verließ, übernahm er. Der 19-Jährige Hamburger suchte das Abenteuer: "Ich wollte sehen, wie das andere Leben aussieht, einmal in informellen Siedlungen arbeiten." In der Schule habe er im Geographie-Leistungskurs viel über Entwicklungsländer gelernt - in Katutura wollte er erfahren, was Armut bedeutet.

An seine ersten Tage denkt er gerne zurück: "Es war alles unglaublich interessant, einfach eine komplett andere Welt." Wie eine große Abenteuerreise sei ihm sein Einsatz zu Beginn vorgekommen. "Die ganzen Eindrücke haben es mir sehr leicht gemacht, über manche Probleme hinwegzusehen", sagt Justin. Schwer sei es ihm zunächst gefallen, herauszufinden, wie er sich in der Organisation am besten einbringen konnte. Spätestens mit der Übernahme der eigenen Klasse im Januar fand er seinen Platz. Hilia Nambinga, Leiterin des Hope-Initiative-Zentrums, ist begeistert von seiner Arbeit: "Justin hat hier einen unglaublich wichtigen Beitrag geleistet", sagt sie. Neben den Fächern, die er unterrichte, sei es wertvoll gewesen, einen weißen Mitarbeiter zu haben. "So gewöhnen sich die Kinder besser an Weiße", sagt Nambinga.
"Oshilumbu" (Weißer), nannten ihn viele Menschen in Katutura. Nach einer Weile habe ihn das genervt. "Alles in allem war es für mich aber eine schöne Erfahrung, einer der wenigen Weißen zu sein, die hier leben und arbeiten", so Justin. Die Frage, was von seiner Arbeit bleibt, wenn er am Samstag seinen Dienst beendet und nach Hause fliegt, bewegt ihn. "Ich konnte den Schülern Hoffnung geben und ihre Situation mit Sicherheit verbessern, aber natürlich frage ich mich, ob sich das nicht alles wieder verläuft." Nächste Woche startet seine Nachfolgerin: "Ich habe die Hoffnung, dass sie den Job genauso gut macht wie Justin. Wir brauchen die Freiwilligen hier wirklich dringend", sagt Hilia Nambinga.

Matthias Mockler

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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