Wissen ist nicht immer Macht
Patrica ist 19 Jahre alt. Sie ist groß und hat trainierte Beine. Mit wachen Augen blickt sie in die Runde. "Ich bin nicht infiziert", sagt sie. "Und wenn ihr die Infizierten brandmarken wollt wie Vieh, dann ist das schlecht", sagt sie laut. "Lasst das, so helft ihr nicht", schreit sie.
Die 19-Jährige steht vor einer Gruppe Menschen und vielen Mitschülern der Drimiopsis Oberschule in der Omaheke-Region. Mutig hat sie sich ans Mikrofon gestellt und sagt jedem ihre Meinung. Keiner müsse Aids bekommen. Die jungen Menschen hier wüssten, wie sie sich schützen könnten. Sie wüssten über das tödliche Virus Bescheid. In der Schule hätten sie alle gelernt, was Aids ist und wie es krank macht. Die älteren Leute, die Erwachsenen, wüssten vielleicht zu wenig über HIV und Aids. Das sei ja auch eine neue Krankheit und sie sei eben sehr kompliziert. Aber die jungen hier, die wüssten Bescheid. "Hört also auf uns", fordert sie energisch. "Lasst Euch sagen, wie Ihr Euch schützen könnt", will sie ihre Zuhörer beeinflussen.
In den beiden Schulen gibt es "Aids-Awareness-Clubs" - Arbeitsgemeinschaften, die sich treffen, um das Thema Aids aus dem Tabu zu lösen, darüber zu diskutieren, wie man sich und andere schützt und wie man bessere Aufklärungsarbeit leisten kann. Mit im Club ist auch Moses.
"Ich bin infiziert", sagt er. Es ist nicht so, dass jetzt alle von den langen Reden leicht eingeschläferten und deshalb zu Boden gerichteten Blicke in die Höhe schießen. Kaum jemand scheint berührt. Ein Bekenntnis, dass keine Reaktion hervorruft. Alltag? Moses sagt nichts über sein Leben. Er sagt nicht, ob er weiß, wann und wo er sich angesteckt hat. Er sagt nicht, wie es ihm geht. Aber die Trauer in seiner Stimme und seinem Gesicht macht glauben, dass er weiß, was ihm bevorsteht. "Wir müssen etwas tun. Wir können doch nicht warten, bis wir alle infiziert sind. Viele sind informiert, aber das reicht doch nicht", sagt er kampflos.
Zehn Millionen Afrikaner sollen HIV-positiv sein. In Namibia soll einer von fünf Menschen positiv sein. Zwischen 15 und 24 soll die Infektionsrate zwischen 35 und 40 Prozent liegen. 54 Prozent aller Infizierten sollen Frauen sein. Eines von drei Kindern von positiven Müttern soll selbst infiziert auf die Welt kommen. Geschätzt.
"Ich habe noch nicht mit meinem Freund geschlafen", sagt eine 16 Jahre alte Schülerin der Ojinene Oberschule. "Aber ich muss zugeben, dass ich in diesem Jahr schon mit drei oder vier Jungs von meiner Schule geschlafen habe", sagt sie dann und lacht, als sie von einem ihrer Verehrer in die schmale Taille gekniffen wird. "Ich kann doch die Jungs nicht enttäuschen, wenn sie mit mir schlafen wollen", grinst eine bildhübsche 17-Jährige und wirft ihre langen Locken keck in den Nacken. Die Offenheit der gut 20 Schüler hier ist entwaffnend. Allerdings erzählen vor allem die Mädchen. Die Jungs halten sich zurück, als ob sie das Ganze überhaupt nichts anginge.
"Wir beide benutzen Kondome", sagt ein Mädchen und nickt in Richtung ihres Freundes. Neben ihr steht eine Klassenkameradin. Die beiden teilen sich den Freund, selbstverständlich. "Hey, wir haben aber beim letzten Mal kein Kondom benutzt", gibt die Klassenkameradin ungeniert zu. "Wir haben wieder keine bekommen", setzt sie nach.
Damit spricht sie ein Problem an, dass den Jugendlichen allgegenwärtig ist: Wenn sie sich mit Kondomen schützen wollen, müssen sie sich diese im Krankenhaus besorgen. "Dort wirst du von der Schwester angeschrieen, dass du für den Sex doch viel zu jung seist und dass sie das deinen Eltern sagen würde." Für das, was aus dieser Aussage folgt, braucht es keine Worte.
Aber auch sonst sei es schwierig, Kondome zu besorgen, erklärt Patricia aus Drimiopsis. "Es gibt zwei Geschäfte hier, die sollten auch Kondome verkaufen. Oder noch besser, man sollte die Kondome von der Regierung konstenlos zur Verfügung gestellt bekommen", fordert die Sprecherin des Aids-Awareness-Clubs der Oberschule.
Auch in der Grundschule in Ojinene gibt es einen Aids-Awareness-Club. Constancia Kauntje leitet ihn als zuständige Lehrerin für Aids-Prävention und Aufklärung. Man treffe sich, spreche über das Virus und seine Folgen. Manchmal erarbeite die Gruppe auch ein Theaterstück zur Aufklärung, dass dann in einer Aids-Awareness-Woche gespielt werde, oder zum Welt-Aids-Tag am 1. Dezember. Die Schüler seien aber fast noch zu jung, um zu begreifen, was Aids und HIV bedeuten, sagt sie. "Die spielen mit Kondomen, blasen sie auf und füllen sie mit Wasser", sagt sie. Im vergangenen Jahr hatte sie vier schwangere Viertklässlerinnen im Unterricht, alle vier unter zwölf Jahren.
Als die große Versammlung unter dem Kameldornbaum in Drimiopsis zu Ende ist, steht Patricia mit ihren Freundinen zusammen. Selbstbewusst, mutig und scheinbar ohne Angst hat sie vor Erwachsenen - Frauen und Männern - ihre Meinung zum Thema Aids und HIV gesagt. Die öffentliche Patricia hat gesprochen. Die, die Sozialarbeiterin werden will, eine Ausbildung in Windhoek machen und dann zurück nach Drimiopsis kommen will. Die private spricht jetzt, unter vier Augen. Die Jungs würden einfach keine Kondome benutzen wollen. Man packe ja eine Praline erst mal aus, bevor man reinbeiße, würden die Jungs sagen, weil sie das von ihren Vätern hörten. Einer habe erzählt, dass sein Vater kein Kondom benutze, weil er glaubt, dass aus einer Ecke dieses kleinen weißen Dings etwas in sein bestes Stück beißen würde. "Du hast keine Chance", sagt sie. Wenn man als Mädchen auf ein Kondom bestehe, sei man für die Jungs der letzte Dreck. Und es ginge ja nicht nur darum, nicht mit HIV infiziert zu werden. "25 Prozent der Mädchen in meiner Klasse sind schwanger", erklärt sie. Nein, sie wisse auch nicht, was sie dagegen tun könnte. Und dann benennt sie die Gründe, die die Arbeit der vielen Aids-Koordinatoren, Gesundheitsvereine, nationalen und internationalen Gruppen so bodenlos macht. "Weil man Aids nicht sehen kann, glauben viele noch immer nicht, dass es existiert." (Die Namen der Schüler sind der Redaktion bekannt, sie sollen aber aus persönlichen Gründen geschützt werden.)
Die 19-Jährige steht vor einer Gruppe Menschen und vielen Mitschülern der Drimiopsis Oberschule in der Omaheke-Region. Mutig hat sie sich ans Mikrofon gestellt und sagt jedem ihre Meinung. Keiner müsse Aids bekommen. Die jungen Menschen hier wüssten, wie sie sich schützen könnten. Sie wüssten über das tödliche Virus Bescheid. In der Schule hätten sie alle gelernt, was Aids ist und wie es krank macht. Die älteren Leute, die Erwachsenen, wüssten vielleicht zu wenig über HIV und Aids. Das sei ja auch eine neue Krankheit und sie sei eben sehr kompliziert. Aber die jungen hier, die wüssten Bescheid. "Hört also auf uns", fordert sie energisch. "Lasst Euch sagen, wie Ihr Euch schützen könnt", will sie ihre Zuhörer beeinflussen.
In den beiden Schulen gibt es "Aids-Awareness-Clubs" - Arbeitsgemeinschaften, die sich treffen, um das Thema Aids aus dem Tabu zu lösen, darüber zu diskutieren, wie man sich und andere schützt und wie man bessere Aufklärungsarbeit leisten kann. Mit im Club ist auch Moses.
"Ich bin infiziert", sagt er. Es ist nicht so, dass jetzt alle von den langen Reden leicht eingeschläferten und deshalb zu Boden gerichteten Blicke in die Höhe schießen. Kaum jemand scheint berührt. Ein Bekenntnis, dass keine Reaktion hervorruft. Alltag? Moses sagt nichts über sein Leben. Er sagt nicht, ob er weiß, wann und wo er sich angesteckt hat. Er sagt nicht, wie es ihm geht. Aber die Trauer in seiner Stimme und seinem Gesicht macht glauben, dass er weiß, was ihm bevorsteht. "Wir müssen etwas tun. Wir können doch nicht warten, bis wir alle infiziert sind. Viele sind informiert, aber das reicht doch nicht", sagt er kampflos.
Zehn Millionen Afrikaner sollen HIV-positiv sein. In Namibia soll einer von fünf Menschen positiv sein. Zwischen 15 und 24 soll die Infektionsrate zwischen 35 und 40 Prozent liegen. 54 Prozent aller Infizierten sollen Frauen sein. Eines von drei Kindern von positiven Müttern soll selbst infiziert auf die Welt kommen. Geschätzt.
"Ich habe noch nicht mit meinem Freund geschlafen", sagt eine 16 Jahre alte Schülerin der Ojinene Oberschule. "Aber ich muss zugeben, dass ich in diesem Jahr schon mit drei oder vier Jungs von meiner Schule geschlafen habe", sagt sie dann und lacht, als sie von einem ihrer Verehrer in die schmale Taille gekniffen wird. "Ich kann doch die Jungs nicht enttäuschen, wenn sie mit mir schlafen wollen", grinst eine bildhübsche 17-Jährige und wirft ihre langen Locken keck in den Nacken. Die Offenheit der gut 20 Schüler hier ist entwaffnend. Allerdings erzählen vor allem die Mädchen. Die Jungs halten sich zurück, als ob sie das Ganze überhaupt nichts anginge.
"Wir beide benutzen Kondome", sagt ein Mädchen und nickt in Richtung ihres Freundes. Neben ihr steht eine Klassenkameradin. Die beiden teilen sich den Freund, selbstverständlich. "Hey, wir haben aber beim letzten Mal kein Kondom benutzt", gibt die Klassenkameradin ungeniert zu. "Wir haben wieder keine bekommen", setzt sie nach.
Damit spricht sie ein Problem an, dass den Jugendlichen allgegenwärtig ist: Wenn sie sich mit Kondomen schützen wollen, müssen sie sich diese im Krankenhaus besorgen. "Dort wirst du von der Schwester angeschrieen, dass du für den Sex doch viel zu jung seist und dass sie das deinen Eltern sagen würde." Für das, was aus dieser Aussage folgt, braucht es keine Worte.
Aber auch sonst sei es schwierig, Kondome zu besorgen, erklärt Patricia aus Drimiopsis. "Es gibt zwei Geschäfte hier, die sollten auch Kondome verkaufen. Oder noch besser, man sollte die Kondome von der Regierung konstenlos zur Verfügung gestellt bekommen", fordert die Sprecherin des Aids-Awareness-Clubs der Oberschule.
Auch in der Grundschule in Ojinene gibt es einen Aids-Awareness-Club. Constancia Kauntje leitet ihn als zuständige Lehrerin für Aids-Prävention und Aufklärung. Man treffe sich, spreche über das Virus und seine Folgen. Manchmal erarbeite die Gruppe auch ein Theaterstück zur Aufklärung, dass dann in einer Aids-Awareness-Woche gespielt werde, oder zum Welt-Aids-Tag am 1. Dezember. Die Schüler seien aber fast noch zu jung, um zu begreifen, was Aids und HIV bedeuten, sagt sie. "Die spielen mit Kondomen, blasen sie auf und füllen sie mit Wasser", sagt sie. Im vergangenen Jahr hatte sie vier schwangere Viertklässlerinnen im Unterricht, alle vier unter zwölf Jahren.
Als die große Versammlung unter dem Kameldornbaum in Drimiopsis zu Ende ist, steht Patricia mit ihren Freundinen zusammen. Selbstbewusst, mutig und scheinbar ohne Angst hat sie vor Erwachsenen - Frauen und Männern - ihre Meinung zum Thema Aids und HIV gesagt. Die öffentliche Patricia hat gesprochen. Die, die Sozialarbeiterin werden will, eine Ausbildung in Windhoek machen und dann zurück nach Drimiopsis kommen will. Die private spricht jetzt, unter vier Augen. Die Jungs würden einfach keine Kondome benutzen wollen. Man packe ja eine Praline erst mal aus, bevor man reinbeiße, würden die Jungs sagen, weil sie das von ihren Vätern hörten. Einer habe erzählt, dass sein Vater kein Kondom benutze, weil er glaubt, dass aus einer Ecke dieses kleinen weißen Dings etwas in sein bestes Stück beißen würde. "Du hast keine Chance", sagt sie. Wenn man als Mädchen auf ein Kondom bestehe, sei man für die Jungs der letzte Dreck. Und es ginge ja nicht nur darum, nicht mit HIV infiziert zu werden. "25 Prozent der Mädchen in meiner Klasse sind schwanger", erklärt sie. Nein, sie wisse auch nicht, was sie dagegen tun könnte. Und dann benennt sie die Gründe, die die Arbeit der vielen Aids-Koordinatoren, Gesundheitsvereine, nationalen und internationalen Gruppen so bodenlos macht. "Weil man Aids nicht sehen kann, glauben viele noch immer nicht, dass es existiert." (Die Namen der Schüler sind der Redaktion bekannt, sie sollen aber aus persönlichen Gründen geschützt werden.)
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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