Wissenschaft, die Wissen schafft
Persönliche Nachlese
Versetzen wir uns nun in das Südwestafrika der ersten Nachkriegsjahre zurück: Es lag in der Natur der Dinge vor 60 Jahren, dass ich von den im Vorhergehenden beschriebenen Ereignissen und Vorgängen kaum eine Vorstellung oder auch nur die geringste Ahnung haben konnte, als während der Semesterferien im Dezember 1952 ein rätselhafter, einbögiger, hellblauer Luftpostbrief bei uns hereinflatterte. Er war in einer kleinen Handschrift beiderseitig in englischer Sprache mit blauer Tinte geschrieben. Das Kuvert trug als Porto eine Shilling- und eine Drei-Penny-Marke und ist noch immer deutlich lesbar in London am 29. November 1952 um 9.45 Uhr abgestempelt. Im Vertrauen auf die Findigkeit der damaligen Post war der Brief ohne weiteren Angben an meinen Vater „RHA Schneider, Swakopmund, SWA“ adressiert, wo er ihn auch wirklich erreichte.
Der Inhalt war für mich gänzlich unverständlich. Hier schrieb ein mir vollkommen fremder, unbekannter Mann aus England an einen lieben Freund und alten Bekannten mit Grüßen von seiner Frau. Er berichtete von sich und wünscht auf Deutsch „Prosit Neujahr“ und würde gern, um sich aufzuwärmen, auf unsere Farm zu Besuch kommen, an die er und seine Frau sich so gern erinnerten. Er habe ein Buch darüber geschrieben, warum die Generäle Kesselring und Mackensen keine Kriegsverbrecher seien, und würde es statt einer Weihnachtskarte schicken, sobald die Behörden in Bonn den Druck freigäben. Außerdem bat er um leihweise Zusendung einiger Bücher über den Nama-Krieg, über den er ein Buch plane. Leider seien seine eigenen Bücher und Papiere von den südafrikanischen Invasionstruppen 1914/15 gestohlen worden. Eine in Namibia bekannte deutsche Firma würde den Buchversand kostenlos regeln. Der Name des Briefschreibers erschien nur in der Unterschrift und las sich in etwa wie Al Scotland.
Was hatte der kuriose Brief zu bedeuten? Ich konnte mir auf diesen scheinbar widersprüchlichen Briefinhalt so gut wie gar keinen Vers machen, außer vielleicht, dass wir es mit einem spleenigen Verwirrten oder einer Verwechslung zu tun hatten. Mein schwer erkrankter Vater war nicht ansprechbar. Aber in Swakopmund war Badewetter und ich hatte Ferien. Der Brief wurde vergessen und blieb, mit der Notiz „unbeantwortet“ versehen, in einem Kasten für Unerledigtes liegen, wo ich ihn Jahre später wiederfand.
Unterdessen war jedoch 1957 Scotlands autobiografisches Buch „The London Cage“ hier im Land bekanntgeworden. Bei Nachforschungen für eine Geschichte unserer Farm hatte sich die geschäfts- und persönliche Korrespondenz mit einem Vertreter der Liebig Co. namens A.P. Scotland in alten Akten aus den zwanziger Jahren gefunden! Er schrieb aus Heusis und Argentinien und ließ in den 30er Jahren aus Europa von sich hören. Regelmäßig verschickte er Weihnachtskarten. Ich konnte nur noch bedauern, die Zusammenhänge aus meiner frühesten Kindheit nicht erinnert und viel zu spät erfasst zu haben.
Noch einmal, Jahre später, tauchte Scotlands Name wie zufällig aus der Vergangenheit auf. Ich war im Britischen Nationalarchiv (Public Record Office / PRO) mit der Suche nach von mir dort vermuteten geheimen Berichten an das „War Office“ des dem Stab General von Trothas 1905 attachierten britischen Oberst Trench nicht weitergekommen. Als ich, etwas ungeduldig geworden, dann fragte, ob man wenigstens etwas über Oberst Scotland wisse, war die vorwurfsvolle und erstaunte Reaktion: „Everybody knows Col. Scotland!“ Nach meiner Erklärung, Scotland habe seine frühen Jahre in Südafrika verbracht, wo er mit meinem Vater befreundet gewesen sei, fand sich mit einem Male, wie zufällig, ein Findbuch mit der Suchnummer für die gewichtige Akte Trench, die wenig später auf dem Tisch lag. Die bisher Historikern unbekannte Akte Trench konnte einen wesentlichen Teil zu meinem Buch „Der Wahrheit eine Gasse“ über das Herero-Kriegsjahr 1904 beitragen.
Im Nachhinein kam es mir vor, als habe Herr Schottland wieder einmal die Spur des Oberst Scotland verwischt und zugleich die Suche auf die Fährte von Trench gelenkt. Scotland hätte dies sicherlich gefallen, ist doch das Fazit seiner Erinnerungen: „Einmal im Geheimdienst, immer...“
Versetzen wir uns nun in das Südwestafrika der ersten Nachkriegsjahre zurück: Es lag in der Natur der Dinge vor 60 Jahren, dass ich von den im Vorhergehenden beschriebenen Ereignissen und Vorgängen kaum eine Vorstellung oder auch nur die geringste Ahnung haben konnte, als während der Semesterferien im Dezember 1952 ein rätselhafter, einbögiger, hellblauer Luftpostbrief bei uns hereinflatterte. Er war in einer kleinen Handschrift beiderseitig in englischer Sprache mit blauer Tinte geschrieben. Das Kuvert trug als Porto eine Shilling- und eine Drei-Penny-Marke und ist noch immer deutlich lesbar in London am 29. November 1952 um 9.45 Uhr abgestempelt. Im Vertrauen auf die Findigkeit der damaligen Post war der Brief ohne weiteren Angben an meinen Vater „RHA Schneider, Swakopmund, SWA“ adressiert, wo er ihn auch wirklich erreichte.
Der Inhalt war für mich gänzlich unverständlich. Hier schrieb ein mir vollkommen fremder, unbekannter Mann aus England an einen lieben Freund und alten Bekannten mit Grüßen von seiner Frau. Er berichtete von sich und wünscht auf Deutsch „Prosit Neujahr“ und würde gern, um sich aufzuwärmen, auf unsere Farm zu Besuch kommen, an die er und seine Frau sich so gern erinnerten. Er habe ein Buch darüber geschrieben, warum die Generäle Kesselring und Mackensen keine Kriegsverbrecher seien, und würde es statt einer Weihnachtskarte schicken, sobald die Behörden in Bonn den Druck freigäben. Außerdem bat er um leihweise Zusendung einiger Bücher über den Nama-Krieg, über den er ein Buch plane. Leider seien seine eigenen Bücher und Papiere von den südafrikanischen Invasionstruppen 1914/15 gestohlen worden. Eine in Namibia bekannte deutsche Firma würde den Buchversand kostenlos regeln. Der Name des Briefschreibers erschien nur in der Unterschrift und las sich in etwa wie Al Scotland.
Was hatte der kuriose Brief zu bedeuten? Ich konnte mir auf diesen scheinbar widersprüchlichen Briefinhalt so gut wie gar keinen Vers machen, außer vielleicht, dass wir es mit einem spleenigen Verwirrten oder einer Verwechslung zu tun hatten. Mein schwer erkrankter Vater war nicht ansprechbar. Aber in Swakopmund war Badewetter und ich hatte Ferien. Der Brief wurde vergessen und blieb, mit der Notiz „unbeantwortet“ versehen, in einem Kasten für Unerledigtes liegen, wo ich ihn Jahre später wiederfand.
Unterdessen war jedoch 1957 Scotlands autobiografisches Buch „The London Cage“ hier im Land bekanntgeworden. Bei Nachforschungen für eine Geschichte unserer Farm hatte sich die geschäfts- und persönliche Korrespondenz mit einem Vertreter der Liebig Co. namens A.P. Scotland in alten Akten aus den zwanziger Jahren gefunden! Er schrieb aus Heusis und Argentinien und ließ in den 30er Jahren aus Europa von sich hören. Regelmäßig verschickte er Weihnachtskarten. Ich konnte nur noch bedauern, die Zusammenhänge aus meiner frühesten Kindheit nicht erinnert und viel zu spät erfasst zu haben.
Noch einmal, Jahre später, tauchte Scotlands Name wie zufällig aus der Vergangenheit auf. Ich war im Britischen Nationalarchiv (Public Record Office / PRO) mit der Suche nach von mir dort vermuteten geheimen Berichten an das „War Office“ des dem Stab General von Trothas 1905 attachierten britischen Oberst Trench nicht weitergekommen. Als ich, etwas ungeduldig geworden, dann fragte, ob man wenigstens etwas über Oberst Scotland wisse, war die vorwurfsvolle und erstaunte Reaktion: „Everybody knows Col. Scotland!“ Nach meiner Erklärung, Scotland habe seine frühen Jahre in Südafrika verbracht, wo er mit meinem Vater befreundet gewesen sei, fand sich mit einem Male, wie zufällig, ein Findbuch mit der Suchnummer für die gewichtige Akte Trench, die wenig später auf dem Tisch lag. Die bisher Historikern unbekannte Akte Trench konnte einen wesentlichen Teil zu meinem Buch „Der Wahrheit eine Gasse“ über das Herero-Kriegsjahr 1904 beitragen.
Im Nachhinein kam es mir vor, als habe Herr Schottland wieder einmal die Spur des Oberst Scotland verwischt und zugleich die Suche auf die Fährte von Trench gelenkt. Scotland hätte dies sicherlich gefallen, ist doch das Fazit seiner Erinnerungen: „Einmal im Geheimdienst, immer...“
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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