Wissenschaft, die Wissen schafft
Aus dem Fundus der Sam-Cohen-Bibliothek der Wissenschaftlichen Gesellschaft Swakopmund, heute: „Erinnerungen an die Strandung der ,Gertrud Woermann“, verfasst von Waldemar Kähler (1957); erschienen in „Nachrichten“ der Wissenschaftlichen Gesellschaft Swakopmund (Heft 1/10), ausgesucht von François Hartz.
Waldemar Kähler war einer der Passagiere, die am 26. Oktober 1904 in Hamburg an Bord der „Gertrud Woermann“ gingen. In der Allgemeinen Zeitung erschienen am 9. September 1957 seine Erinnerungen an die denkwürdige Nacht vom 20. zum 21. November 1904. Hier ein Auszug daraus:
„Kurz nach Mitternacht erfolgte ein Stoß, der das Schiff bei voller Fahrt erschütterte. Jeder sah erstaunt den anderen an, zum weiteren Nachdenken kam man nicht, da gleich darauf ein zweiter Stoß die Menschen durcheinanderwarf und alles, was auf dem Tisch stand, auf den Boden beförderte. Im nächsten Augenblick folgte ein dritter, unheimlicher Stoß, der wieder alles durcheinanderwarf. Das Licht erlosch, es war kein Zweifel, daß eine Katastrophe eingetreten war. Nun wurde es unheimlich still, kein Maschinengeräusch mehr. In der Dunkelheit torkelte jeder tastend nach oben.
Auf Deck fanden wir uns dicht zusammen und erfuhren, daß die ,Gertrud´ in voller Fahrt durch eine Sandbank auf einen Felsen gefahren und unten schwer beschädigt worden war. Durch die anprallenden Wogen wurde das Wrack mit einer Neigung von 45 Grad von der einen Seite auf die andere geworfen. Das schwere Schlingern dauerte wohl eine Stunde, dann trat Ruhe ein. Zu beiden Seiten des Dampfers hatte die Dünung große Sandmassen angeschwemmt, so daß die Gefahr bestand, daß der Schiffskörper in der Mitte durchbrechen könne. Trotzdem beruhigten sich die erregten Menschen, und die Pferde hörten auf zu wiehern und zu stampfen. Interessiert beobachtete jeder die weiteren Maßnahmen.
Zu Anfang der Katastrophe war eine Ablösung der Heizer und Maschinisten in den Heizraum geeilt, um alle Kesselfeuer herauszureißen und die Gefahr einer Explosion zu verhindern. Nur unter Lebensgefahr konnten sie dies durchführen, denn dort war die Hölle los! Von unten schoß durch den aufgerissenen Boden das Wasser in Strömen in das Schiff und erschwerte die so wichtige Arbeit der Heizer. Durch das steigende Wasser wurden die Feuermassen gelöscht, die einen atemberaubenden Schwefeldunst erzeugten und jede Sicht nahmen. Die Heizer hatten bis zum Hals im Wasser gestanden, ehe sie nach oben kommen konnten. Die Sicherheitsventile wurden gelöst, um den aufgespeicherten Dampf unter ohrenbetäubendem Lärm zu befreien.
Oben hatte der Truppentransportführer Hauptmann von Hahnke angeordnet, daß alle Mannschaften in ihre Schlafräume gehen sollten, und auch die Kru-Jungen mußten das Deck verlassen. Die Rettungsboote wurden ausgeschwungen, doch wurde zunächst kein Gebrauch von ihnen gemacht. Nur die Barkasse wurde in Betrieb gesetzt und herabgelassen. Der erste Offizier stieg mit zwei Mann ein und fuhr ab, um in Swakopmund die Katastrophe zu melden und um Hilfe zu holen. Vom Swakopmunder Leuchtturm drang kein Strahl durch den dicken Nebel. Die heutigen Mittel einer sofortigen Verständigung vom Schiff zum nächsten Hafen oder zu einem anderen Schiff fehlten damals, und so bemühte sich der Bootsmann, mit der alten Böllerkanone Schuß auf Schuß in die Gegend zu ballern und Leuchtraketen in den Himmel zu jagen, damit Swakopmund aufmerksam würde. Aber die Stadt schlief!
Einer spielte Klavier
Indessen setzte im Speisesaal ein Passagier eine Kerze auf das Klavier und fing an, lustige Weisen zu spielen, die dann auch alle anderen hereinlockten. Im Nu waren die Tische besetzt. Die Schiffsleitung gab Getränke und Imbiß frei, soweit diese noch erreichbar waren. Nach der Aufregung fehlte es nicht an Gesprächsstoff, zu dem die zweifelhafte Lage herhalten mußte. Dabei wurde auch der hartringenden Truppe, die mit den Herero kämpfte und dringend auf Nachschub wartete, gedacht. Im Nu verflogen die Stunden, bis das Tageslicht eindrang und wir nach oben konnten. Mit einigen Passagieren saß ich später am Bug des Schiffes, von dem aus wir Land und Meer beobachteten. Über Land schien die Sonne. Obwohl wir im dicken Nebel lagen, konnten wir die Küste gut erkennen und das Aufschlagen der Brandung hören. Stunde auf Stunde verrann im Warten auf irgendein Ereignis. Nach 10 Uhr hörten wir wiederholtes Sirenengeheul. Man suchte uns. Gespannt verfolgten wir die Laute, die immer wieder aus anderer Richtung kamen.
Kurz vor 11 Uhr drang die Sonne durch, der Nebel löste sich, wir sahen den schmucken deutschen Kreuzer ,Vineta´ in langsamer Fahrt. Auf etwa 2 km Entfernung warf er Anker. Dann wurden Boote ins Wasser gelassen, und wie im Manöver waren diese schnell besetzt und näherten sich uns in gerader Linie unter dem gleichmäßigen Klappen der Riemen. Wir sandten ihnen ein dreifaches freudiges Hurra entgegen. Längsseits machten die Boote fest, die Abordnung der ,Vineta´ stieg an Bord. Inzwischen ankerten noch zwei Frachtdampfer in der Nähe der ,Vineta´ und zwei Schlepper mit Brandungsbooten.
Nun kam Leben an Bord. Überall wurde angepackt. Die Truppe wurde mit Brandungsbooten an Land gesetzt, dann wurden die Pferde unter ungeheurer Anstrengung von Menschenkräften heruntergelassen, da Dampf für die Kräne nicht mehr zur Verfügung stand.
Ankunft an Land
Von Swakopmund war schon früh die Baukompagnie im Anmarsch, um beim Einfangen der Pferde zu helfen. Wir Passagiere und die Post wurden zur ,Vineta´ befördert, die dann Anker lichtete und Fahrt nach Swakopmund aufnahm. Der Aufenthalt auf dem stolzen deutschen Kreuzer war ein Erlebnis. Elegant durchschnitt er mit seinem schmalen Bug die Fluten, kein Schlingern war zu spüren, und wir bedauerten nur, daß das Ziel so nah war. Während eines festlichen Essens langten wir auf der Reede von Swakopmund an, und mit herzlichem Dank verabschiedeten wir uns von der überaus freundlichen Besatzung. Durch Boote wurden wir zur Mole gefahren und betraten den Boden Südwests.
Der Truppentransport von 400 Mann und die 375 Pferde kamen abends ohne jeden Verlust, müde von dem weiten Marsch, in Swakopmund an.
Die ,Getrud Woermann´ war ein Totalverlust. Jahrelang konnte man bei klarem Wetter das große Wrack deutlich von Swakopmund aus sehen, bis eines Tages eine Sturmflut das Schiff zerschlug und nichts mehr übriglieb. An der Küste wurde zum Andenken der ,Gertrudbaken´ gesetzt.“
Waldemar Kähler war einer der Passagiere, die am 26. Oktober 1904 in Hamburg an Bord der „Gertrud Woermann“ gingen. In der Allgemeinen Zeitung erschienen am 9. September 1957 seine Erinnerungen an die denkwürdige Nacht vom 20. zum 21. November 1904. Hier ein Auszug daraus:
„Kurz nach Mitternacht erfolgte ein Stoß, der das Schiff bei voller Fahrt erschütterte. Jeder sah erstaunt den anderen an, zum weiteren Nachdenken kam man nicht, da gleich darauf ein zweiter Stoß die Menschen durcheinanderwarf und alles, was auf dem Tisch stand, auf den Boden beförderte. Im nächsten Augenblick folgte ein dritter, unheimlicher Stoß, der wieder alles durcheinanderwarf. Das Licht erlosch, es war kein Zweifel, daß eine Katastrophe eingetreten war. Nun wurde es unheimlich still, kein Maschinengeräusch mehr. In der Dunkelheit torkelte jeder tastend nach oben.
Auf Deck fanden wir uns dicht zusammen und erfuhren, daß die ,Gertrud´ in voller Fahrt durch eine Sandbank auf einen Felsen gefahren und unten schwer beschädigt worden war. Durch die anprallenden Wogen wurde das Wrack mit einer Neigung von 45 Grad von der einen Seite auf die andere geworfen. Das schwere Schlingern dauerte wohl eine Stunde, dann trat Ruhe ein. Zu beiden Seiten des Dampfers hatte die Dünung große Sandmassen angeschwemmt, so daß die Gefahr bestand, daß der Schiffskörper in der Mitte durchbrechen könne. Trotzdem beruhigten sich die erregten Menschen, und die Pferde hörten auf zu wiehern und zu stampfen. Interessiert beobachtete jeder die weiteren Maßnahmen.
Zu Anfang der Katastrophe war eine Ablösung der Heizer und Maschinisten in den Heizraum geeilt, um alle Kesselfeuer herauszureißen und die Gefahr einer Explosion zu verhindern. Nur unter Lebensgefahr konnten sie dies durchführen, denn dort war die Hölle los! Von unten schoß durch den aufgerissenen Boden das Wasser in Strömen in das Schiff und erschwerte die so wichtige Arbeit der Heizer. Durch das steigende Wasser wurden die Feuermassen gelöscht, die einen atemberaubenden Schwefeldunst erzeugten und jede Sicht nahmen. Die Heizer hatten bis zum Hals im Wasser gestanden, ehe sie nach oben kommen konnten. Die Sicherheitsventile wurden gelöst, um den aufgespeicherten Dampf unter ohrenbetäubendem Lärm zu befreien.
Oben hatte der Truppentransportführer Hauptmann von Hahnke angeordnet, daß alle Mannschaften in ihre Schlafräume gehen sollten, und auch die Kru-Jungen mußten das Deck verlassen. Die Rettungsboote wurden ausgeschwungen, doch wurde zunächst kein Gebrauch von ihnen gemacht. Nur die Barkasse wurde in Betrieb gesetzt und herabgelassen. Der erste Offizier stieg mit zwei Mann ein und fuhr ab, um in Swakopmund die Katastrophe zu melden und um Hilfe zu holen. Vom Swakopmunder Leuchtturm drang kein Strahl durch den dicken Nebel. Die heutigen Mittel einer sofortigen Verständigung vom Schiff zum nächsten Hafen oder zu einem anderen Schiff fehlten damals, und so bemühte sich der Bootsmann, mit der alten Böllerkanone Schuß auf Schuß in die Gegend zu ballern und Leuchtraketen in den Himmel zu jagen, damit Swakopmund aufmerksam würde. Aber die Stadt schlief!
Einer spielte Klavier
Indessen setzte im Speisesaal ein Passagier eine Kerze auf das Klavier und fing an, lustige Weisen zu spielen, die dann auch alle anderen hereinlockten. Im Nu waren die Tische besetzt. Die Schiffsleitung gab Getränke und Imbiß frei, soweit diese noch erreichbar waren. Nach der Aufregung fehlte es nicht an Gesprächsstoff, zu dem die zweifelhafte Lage herhalten mußte. Dabei wurde auch der hartringenden Truppe, die mit den Herero kämpfte und dringend auf Nachschub wartete, gedacht. Im Nu verflogen die Stunden, bis das Tageslicht eindrang und wir nach oben konnten. Mit einigen Passagieren saß ich später am Bug des Schiffes, von dem aus wir Land und Meer beobachteten. Über Land schien die Sonne. Obwohl wir im dicken Nebel lagen, konnten wir die Küste gut erkennen und das Aufschlagen der Brandung hören. Stunde auf Stunde verrann im Warten auf irgendein Ereignis. Nach 10 Uhr hörten wir wiederholtes Sirenengeheul. Man suchte uns. Gespannt verfolgten wir die Laute, die immer wieder aus anderer Richtung kamen.
Kurz vor 11 Uhr drang die Sonne durch, der Nebel löste sich, wir sahen den schmucken deutschen Kreuzer ,Vineta´ in langsamer Fahrt. Auf etwa 2 km Entfernung warf er Anker. Dann wurden Boote ins Wasser gelassen, und wie im Manöver waren diese schnell besetzt und näherten sich uns in gerader Linie unter dem gleichmäßigen Klappen der Riemen. Wir sandten ihnen ein dreifaches freudiges Hurra entgegen. Längsseits machten die Boote fest, die Abordnung der ,Vineta´ stieg an Bord. Inzwischen ankerten noch zwei Frachtdampfer in der Nähe der ,Vineta´ und zwei Schlepper mit Brandungsbooten.
Nun kam Leben an Bord. Überall wurde angepackt. Die Truppe wurde mit Brandungsbooten an Land gesetzt, dann wurden die Pferde unter ungeheurer Anstrengung von Menschenkräften heruntergelassen, da Dampf für die Kräne nicht mehr zur Verfügung stand.
Ankunft an Land
Von Swakopmund war schon früh die Baukompagnie im Anmarsch, um beim Einfangen der Pferde zu helfen. Wir Passagiere und die Post wurden zur ,Vineta´ befördert, die dann Anker lichtete und Fahrt nach Swakopmund aufnahm. Der Aufenthalt auf dem stolzen deutschen Kreuzer war ein Erlebnis. Elegant durchschnitt er mit seinem schmalen Bug die Fluten, kein Schlingern war zu spüren, und wir bedauerten nur, daß das Ziel so nah war. Während eines festlichen Essens langten wir auf der Reede von Swakopmund an, und mit herzlichem Dank verabschiedeten wir uns von der überaus freundlichen Besatzung. Durch Boote wurden wir zur Mole gefahren und betraten den Boden Südwests.
Der Truppentransport von 400 Mann und die 375 Pferde kamen abends ohne jeden Verlust, müde von dem weiten Marsch, in Swakopmund an.
Die ,Getrud Woermann´ war ein Totalverlust. Jahrelang konnte man bei klarem Wetter das große Wrack deutlich von Swakopmund aus sehen, bis eines Tages eine Sturmflut das Schiff zerschlug und nichts mehr übriglieb. An der Küste wurde zum Andenken der ,Gertrudbaken´ gesetzt.“
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Allgemeine Zeitung
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