Wo einst der Fuß des Kriegers trat (Teil 29)
Swakopmunds verrückter Winter
Einst hatte Swakopmund einen „verrückten Winter“. Wer glaubt, dass es sich hier um ein phänomenales Naturereignis handelt, irrt. Gemeint ist Adolf Winter (1881–1960), der Mann, den die Swakopmunder als „verrückt“ abstempelten, weil er einen Holztisch ins Meer stellte. Hier ist seine Geschichte.
Mit einem viel zu kurzen und zu eng gewordenen Konfirmationsanzug und exakt einer Mark und 50 Pfennig, die er von seiner Schwester geschenkt bekommt, geht Adolf Winter nach seiner Gesellenprüfung auf Wanderschaft. Nichts hält ihn mehr in seinem Heimatort Eschenau, wo er mit 16 Geschwistern, von denen viele im Kindesalter sterben, in bitterer Armut aufwächst. Um die Familie zu unterstützen, trägt er in der Früh barfuß Brötchen aus, dennoch landet selten einer dieser Leckerbissen in seinem hungrigen Magen. Mit Wasser müssen sich die Kinder vor dem Schlafengehen „satt trinken“.
Auch seine Lehrjahre bei einem Tischlermeister werden keine Herrenjahre. Trotz bester Leistung erhält der Tischlerlehrling kein Entgelt. Die Wanderschaft soll ihm Aufschwung bringen. Kein leichtes Unterfangen in dem damals notleidenden deutschen Kaiserreich, doch er vertraut auf Fleiß und Tüchtigkeit. Von seinem ersten hart verdienten Geld kauft sich Adolf einen neuen Anzug und eine Mundharmonika, das Musikinstrument, das ihn sein Leben lang begleitet.
Der Tischler strebt nach Freiheit und Selbständigkeit und wandert schließlich 1911 nach Südwestafrika aus. Winter ist inzwischen 30 Jahre alt, seine Frau Anna Petri und seine Tochter Edith lässt er zunächst mit seinem Ersparten in Hamburg zurück. Lediglich mit neuem Handwerkszeug und 15 Mark in der Tasche landet er in Swakopmund und steht gleich nach seiner Ankunft an einer Hobelbank. Arbeitseifer und Ausdauer zahlen sich aus. Keine zwei Jahre später kann er Frau und Kind nachkommen lassen. Er kauft sich ein Grundstück mit Haus (das heutige Winter’s Eck in der Werftstraße) und richtet sich seine eigene Tischlerwerkstatt ein.
Vaterlandstreu dient er im Ersten Weltkrieg der Schutztruppe in Deutsch-Südwestafrika. Frau und Kind werden nach Windhoek evakuiert. Am Tag der Kapitulation am 9. Juli 1915 sieht er, wie ein deutscher Offizier seine Pistole in den Busch wirft. Winter hebt sie auf und nimmt sie mit nach Hause. In Swakopmund angekommen findet er alles, was er mit Tüchtigkeit, Fleiß und Arbeitsfreude aufgebaut hatte, verwüstet und zertrümmert vor. Damit die Pistole bei ihm nicht entdeckt wird, nimmt er ein herumliegendes Stück Holzstamm, sägt es in der Mitte durch, höhlt beide Seiten aus und bettet die Waffe dort hinein. Danach leimt er die beiden Teile zusammen, wirft den Stumpen auf das übriggebliebene Holz auf dem Hof und fängt mit dem Aufräumen an. (Das wertvolle Sammelstück bleibt Jahre so auf dem Hof liegen und ist heute noch – inzwischen lizensiert – im Besitz der Familie.)
Erneut beweist der Mann, dass ihm „Anpacken“ mehr liegt, als mitleidsvoll herumzusitzen. Er fängt noch einmal von vorne an, lernt Englisch und baut sich mit Aufträgen von der Besatzungsmacht Schritt für Schritt seine Existenz wieder auf.
Der vielseitig interessierte Mann macht weiter von sich Reden. 1925 baut er zusammen mit dem Lehrer Paul Schneider eigenhändig und lediglich mit einer schriftlichen Anleitung das erste Segelflugzeug in Südwestafrika. Beide haben keinerlei Erfahrung im Flugzeugbau, und selbst fliegen kann „der verrückte Winter“, wie ihn die Swakopmunder inzwischen nennen, auch nicht. Das hält ihn aber nicht davon ab, selbst den Versuch zu wagen, der allerdings mit einer Bruchlandung endet.
Für ganz außergewöhnlichen Gesprächsstoff sorgt der Mann, als plötzlich im März 1930 auf der Klippenbank zwischen Walvis Bay und Swakopmund eine viereckige Holzinsel von vier Quadratmetern im Wasser steht: Bird Rock, der inzwischen größte Tisch der Welt. Heute misst die Plattform 17.000 Quadratmeter, steht auf 1007 Stützpfeilern und bietet unzähligen Seevögeln, hauptsächlich den Kapkormoranen, einen sicheren Nist- und Brutplatz. Einmal im Jahr werden von dort noch immer große Mengen Guano abgetragen.
Adolf ist 50 Jahre alt, als er mit diesem Lebenswerk beginnt. Die Bitte um Hilfe und Unterstützung wird von der Geschäftswelt mit Spott und Hohn abgetan. Trotzdem errichtet er in den Lagunen am Kreuzkap (117 km von Swakopmund entfernt) ebenfalls künstliche „Guano-Inseln“. In mühevoller Arbeit fährt er den getrockneten Mist der Seevögel ein und vermarktet ihn als hochwertiges organisches Düngemittel.
Während des Zweiten Weltkriegs wird der gebürtige Deutsche hausinterniert, sein Radio wird konfisziert und beim Magistratsgericht hinterlegt. Er darf Swakopmund nicht verlassen und sein Haus nur zu bestimmten Stunden. Es wird von Enteignung gesprochen, und Winter beschließt, seinen gesamten Besitz (inklusive das Radio) seinem Enkel, dem gebürtigen Südafrikaner Adolph Groenewald, zu überlassen. „Werde Bauunternehmer, mach weiter“, spornt er den zwanzigjährigen jungen Mann an. Auf Adolph Groenewald ist Verlass. Er zieht nach Swakopmund und vorerst ins Außengebäude. Zur Nachrichtenzeit stellt er das inzwischen zurückgewonnene Radio immer ans offene Fenster auf die Fensterbank und so laut, dass Winter dem Weltgeschehen im Haupthaus folgen kann.
Um bei Kreuzkap nach dem Rechten zu sehen, fährt Adolf Winter nachts heimlich mit dem Fahrrad dorthin. Auf dem Rückweg reißt ihm bei Henties Bay die Fahrradkette. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als das Rad die restlichen 70 Kilometer nach Hause zu schieben. Auch hier erfährt Winter, was es bedeutet, in Bedrängnis stehengelassen zu werden. Ein deutscher Swakopmunder, der zufällig mit dem Wagen des Weges kommt, nimmt ihn, aus Angst von den Südafrikanern entdeckt zu werden, nicht mit.
Umso beeindruckender und deshalb umso nennenswerter sind daher nicht nur sein zäher Unternehmungsgeist, sondern auch seine Selbstlosigkeit und vor allem sein aufopfernder Edelmut. „Es ist belanglos, ob man den Erben tausend Rand mehr oder weniger hinterlässt, aber es ist wichtig, notleidenden und bedürftigen Menschen zu helfen, egal ob man sie kennt oder nicht“, so sein Grundsatz.
Trotz Spott und Hohn unterstützt er Bedürftige, versorgt sie mit Lebensmittelpaketen und hilft, wo er kann. Besonders die Jugend profitiert davon, und auch im Stadtrat setzt er sich für die Swakopmunder Gemeinde ein. Er singt im Männergesangverein. Er schafft es ohne Vorkenntnisse, die Orgel der Evangelischen Kirche zu reparieren und erntet dafür eine Menge „Kopfschütteln.“
1951, als er als Siebzigjähriger zum ersten Mal wieder deutschen Boden betritt, soll er dort in einem Interview gesagt haben: „Ich, Adolf Winter, mache aus Mist Gold, während Adolf Hitler aus Gold Mist gemacht hat.“ Ein Satz, der hier einfach mal so stehen bleiben darf.
1960 stirbt Adolf an den Folgen eines Schlaganfalls. Bis an sein Lebensende ist der „verrückte Winter“ Swakopmund treu geblieben.
Mit einem viel zu kurzen und zu eng gewordenen Konfirmationsanzug und exakt einer Mark und 50 Pfennig, die er von seiner Schwester geschenkt bekommt, geht Adolf Winter nach seiner Gesellenprüfung auf Wanderschaft. Nichts hält ihn mehr in seinem Heimatort Eschenau, wo er mit 16 Geschwistern, von denen viele im Kindesalter sterben, in bitterer Armut aufwächst. Um die Familie zu unterstützen, trägt er in der Früh barfuß Brötchen aus, dennoch landet selten einer dieser Leckerbissen in seinem hungrigen Magen. Mit Wasser müssen sich die Kinder vor dem Schlafengehen „satt trinken“.
Auch seine Lehrjahre bei einem Tischlermeister werden keine Herrenjahre. Trotz bester Leistung erhält der Tischlerlehrling kein Entgelt. Die Wanderschaft soll ihm Aufschwung bringen. Kein leichtes Unterfangen in dem damals notleidenden deutschen Kaiserreich, doch er vertraut auf Fleiß und Tüchtigkeit. Von seinem ersten hart verdienten Geld kauft sich Adolf einen neuen Anzug und eine Mundharmonika, das Musikinstrument, das ihn sein Leben lang begleitet.
Der Tischler strebt nach Freiheit und Selbständigkeit und wandert schließlich 1911 nach Südwestafrika aus. Winter ist inzwischen 30 Jahre alt, seine Frau Anna Petri und seine Tochter Edith lässt er zunächst mit seinem Ersparten in Hamburg zurück. Lediglich mit neuem Handwerkszeug und 15 Mark in der Tasche landet er in Swakopmund und steht gleich nach seiner Ankunft an einer Hobelbank. Arbeitseifer und Ausdauer zahlen sich aus. Keine zwei Jahre später kann er Frau und Kind nachkommen lassen. Er kauft sich ein Grundstück mit Haus (das heutige Winter’s Eck in der Werftstraße) und richtet sich seine eigene Tischlerwerkstatt ein.
Vaterlandstreu dient er im Ersten Weltkrieg der Schutztruppe in Deutsch-Südwestafrika. Frau und Kind werden nach Windhoek evakuiert. Am Tag der Kapitulation am 9. Juli 1915 sieht er, wie ein deutscher Offizier seine Pistole in den Busch wirft. Winter hebt sie auf und nimmt sie mit nach Hause. In Swakopmund angekommen findet er alles, was er mit Tüchtigkeit, Fleiß und Arbeitsfreude aufgebaut hatte, verwüstet und zertrümmert vor. Damit die Pistole bei ihm nicht entdeckt wird, nimmt er ein herumliegendes Stück Holzstamm, sägt es in der Mitte durch, höhlt beide Seiten aus und bettet die Waffe dort hinein. Danach leimt er die beiden Teile zusammen, wirft den Stumpen auf das übriggebliebene Holz auf dem Hof und fängt mit dem Aufräumen an. (Das wertvolle Sammelstück bleibt Jahre so auf dem Hof liegen und ist heute noch – inzwischen lizensiert – im Besitz der Familie.)
Erneut beweist der Mann, dass ihm „Anpacken“ mehr liegt, als mitleidsvoll herumzusitzen. Er fängt noch einmal von vorne an, lernt Englisch und baut sich mit Aufträgen von der Besatzungsmacht Schritt für Schritt seine Existenz wieder auf.
Der vielseitig interessierte Mann macht weiter von sich Reden. 1925 baut er zusammen mit dem Lehrer Paul Schneider eigenhändig und lediglich mit einer schriftlichen Anleitung das erste Segelflugzeug in Südwestafrika. Beide haben keinerlei Erfahrung im Flugzeugbau, und selbst fliegen kann „der verrückte Winter“, wie ihn die Swakopmunder inzwischen nennen, auch nicht. Das hält ihn aber nicht davon ab, selbst den Versuch zu wagen, der allerdings mit einer Bruchlandung endet.
Für ganz außergewöhnlichen Gesprächsstoff sorgt der Mann, als plötzlich im März 1930 auf der Klippenbank zwischen Walvis Bay und Swakopmund eine viereckige Holzinsel von vier Quadratmetern im Wasser steht: Bird Rock, der inzwischen größte Tisch der Welt. Heute misst die Plattform 17.000 Quadratmeter, steht auf 1007 Stützpfeilern und bietet unzähligen Seevögeln, hauptsächlich den Kapkormoranen, einen sicheren Nist- und Brutplatz. Einmal im Jahr werden von dort noch immer große Mengen Guano abgetragen.
Adolf ist 50 Jahre alt, als er mit diesem Lebenswerk beginnt. Die Bitte um Hilfe und Unterstützung wird von der Geschäftswelt mit Spott und Hohn abgetan. Trotzdem errichtet er in den Lagunen am Kreuzkap (117 km von Swakopmund entfernt) ebenfalls künstliche „Guano-Inseln“. In mühevoller Arbeit fährt er den getrockneten Mist der Seevögel ein und vermarktet ihn als hochwertiges organisches Düngemittel.
Während des Zweiten Weltkriegs wird der gebürtige Deutsche hausinterniert, sein Radio wird konfisziert und beim Magistratsgericht hinterlegt. Er darf Swakopmund nicht verlassen und sein Haus nur zu bestimmten Stunden. Es wird von Enteignung gesprochen, und Winter beschließt, seinen gesamten Besitz (inklusive das Radio) seinem Enkel, dem gebürtigen Südafrikaner Adolph Groenewald, zu überlassen. „Werde Bauunternehmer, mach weiter“, spornt er den zwanzigjährigen jungen Mann an. Auf Adolph Groenewald ist Verlass. Er zieht nach Swakopmund und vorerst ins Außengebäude. Zur Nachrichtenzeit stellt er das inzwischen zurückgewonnene Radio immer ans offene Fenster auf die Fensterbank und so laut, dass Winter dem Weltgeschehen im Haupthaus folgen kann.
Um bei Kreuzkap nach dem Rechten zu sehen, fährt Adolf Winter nachts heimlich mit dem Fahrrad dorthin. Auf dem Rückweg reißt ihm bei Henties Bay die Fahrradkette. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als das Rad die restlichen 70 Kilometer nach Hause zu schieben. Auch hier erfährt Winter, was es bedeutet, in Bedrängnis stehengelassen zu werden. Ein deutscher Swakopmunder, der zufällig mit dem Wagen des Weges kommt, nimmt ihn, aus Angst von den Südafrikanern entdeckt zu werden, nicht mit.
Umso beeindruckender und deshalb umso nennenswerter sind daher nicht nur sein zäher Unternehmungsgeist, sondern auch seine Selbstlosigkeit und vor allem sein aufopfernder Edelmut. „Es ist belanglos, ob man den Erben tausend Rand mehr oder weniger hinterlässt, aber es ist wichtig, notleidenden und bedürftigen Menschen zu helfen, egal ob man sie kennt oder nicht“, so sein Grundsatz.
Trotz Spott und Hohn unterstützt er Bedürftige, versorgt sie mit Lebensmittelpaketen und hilft, wo er kann. Besonders die Jugend profitiert davon, und auch im Stadtrat setzt er sich für die Swakopmunder Gemeinde ein. Er singt im Männergesangverein. Er schafft es ohne Vorkenntnisse, die Orgel der Evangelischen Kirche zu reparieren und erntet dafür eine Menge „Kopfschütteln.“
1951, als er als Siebzigjähriger zum ersten Mal wieder deutschen Boden betritt, soll er dort in einem Interview gesagt haben: „Ich, Adolf Winter, mache aus Mist Gold, während Adolf Hitler aus Gold Mist gemacht hat.“ Ein Satz, der hier einfach mal so stehen bleiben darf.
1960 stirbt Adolf an den Folgen eines Schlaganfalls. Bis an sein Lebensende ist der „verrückte Winter“ Swakopmund treu geblieben.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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