Wo einst der Fuß des Kriegers trat, wächst heut der schönste Kopfsalat (Teil 1)

Es ist schon dunkel und dichter Nebel zieht ins Land. Trotz größter Anstrengung sitzt der Ochsenwagen wieder im Sand fest. Die abgemagerten Tiere brüllen vor Erschöpfung. Ausspannen ist angesagt. Doch flackert dort am Horizont zwischen dem umherziehenden Nebel nicht eine Lichtquelle? Bis dahin muss es noch gehen, notfalls zu Fuß.Am 14. September 1892 schlagen an einem großen Lagerfeuer direkt am Strand der Swakopmündung und unweit der Brandung des Atlantischen Ozeans staubige Stiefel aneinander. Der Schutztruppler Heinrich Gathemann begrüßt mit festem Händedruck Hauptmann Curt von Francois. Ein Handschlag der Swakopmunds Bestimmung besiegeln soll.Gathemann ist dem Hauptmann zur Hafensuche zugeteilt worden und aus Windhuk angereist. Viel gibt es in jener Nacht von seinem Bestimmungsziel nicht zu erkennen und Gathemanns erster Eindruck am anderen Morgen kann nur erahnt werden. Dort, wo nämlich der Schutztruppler am nächsten Morgen erwacht, ist nichts; kein Baum, kein Strauch, kein Haus. Nur die deutsche Flagge, die sich seit dem 14. August 1884 während des Tages tapfer abwechselnd gegen den Südwest-, dann gegen den Ostwind zu wehren versucht und dabei gründlich zerfetzt wird, hängt noch schlaff an der Fahnenstange herab. Dicker Morgennebel hüllt alles ein.Hier soll ein Hafen errichtet werden? Womit?Soweit das Auge reicht, sieht Gathemann Unmengen angeschwemmtes Holz vom Swakoprivier sowie massenweise Walfischrippen am Strand liegen. Eine gefährliche Küste stößt auf eine gnadenlose Einöde. Herzlich willkommen. Swakopmunds Grundstein beruht folglich auf einem festen Händedruck am Lagerfeuer.Aber warum gerade hier? Die Frage ist recht einfach zu beantworten: Die deutsche Kolonie Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) brauchte seinerzeit unbedingt einen Hafen. Die gut geschützte Bucht, nämlich Walvis Bay, hatte sich der Engländer unter den Nagel gerissen. Angra Pequena (Lüderitz) lag zu weit im Süden, und in Conception Bay, Sandwichhafen, Rock Bay, Cape Cross oder Kap Frio gab es nicht nur Wassermangel, auch die Wegverhältnisse ins Inland galten als Strapaze. Entlang des Swakoptals war wenigstens Wasser zu finden, wenn auch recht brackig und fast ungenießbar.Während von Francois die Umgebung nach einem geeigneten Landeplatz auskundschaftet, machen sich Gathemann und seine Kameraden ans Werk und bauen als erstes von dem mitgebrachten Baumaterial eine Schutzwand gegen den kalten Südwestwind. Zu mehr reicht es nicht, mehr haben sie aus dem Inland nicht mitschleppen können. „Auf dem Arbeitsplan stand für uns: in der Namib sind noch Bausteine und im Swakop (Swakoprivier) muss Maurerlehm gesucht werden; wenn die Ochsen wieder arbeitsfähig sind, muss Baumaterial herangefahren werden. Für einen einfachen Bau Fundament ausheben und das Land planieren“, zeichnet Gathemann in seinem Tagebuch die Instruktionen von Francois‘ auf. „Wir fanden weder Steine noch Lehm, die Ochsen blieben schlapp und die ausgeschachteten Gräben wehte der Wind zu.“ Mitte Oktober sei dann endlich von Nonidas ein Truppentransporter mit Verpflegung und Baumaterial, begleitet von zwei Reitern, gekommen. Das Baumaterial habe jedoch gerade für ein Rechteck von vier bei fünf Metern gereicht. Dennoch, „jetzt hatten wir Aussicht auf einen Unterkunftsraum gegen das nasskalte Wetter und die Rheumakranken erholten sich von Tag zu Tag“, berichtet der Schutztruppler. Währenddessen versucht von Francois eine gute Ausschiffung zu garantieren. Doch leider missglückt dieser Versuch. „Es fehlten Menschen mit seemännisch geschulten Erfahrungen“, räumt Gathemann ein, „das Boot, in dem der Alte (von Francois) mitfuhr, wurde sofort abgetrieben und konnte auch mit Ruderkraft nicht an den vorgesehenen Strandplatz gelangen.“Ein Boot auf Strand laufen zu lassen, erweist sich als wahrlich abenteuerliches Unterfangen. Auch später, als Swakopmund sich eine Siedlung nennen darf und „Kru-Männer“ in den Dienst genommen werden, um Mensch und Tier sicher an Land zu bringen, bleibt die Landung am Strand ein Wagnis. Die „Kru“ sind Angehörige eines Eingeborenenstammes der Westküste Afrikas (Togo, Liberia, Nigeria). Nur sie scheinen in der Lage zu sein, die Landungsboote durch die Brandung zu steuern. Zuerst gilt es, den Leichter durch den Wellengang zum Dampfer zu bringen. Ist das geschafft, beginnt auf See mit den bordeigenen Kränen der Dampfer das „Löschen der Fracht“. Eine recht wackelige Angelegenheit.Wer als Passagier reich oder bevorzugt reist, schaukelt in einem Korbsessel am Kran hängend zum Leichter hinüber. „First Class“ sozusagen. Alle anderen Reisenden müssen sich an Seilen festhalten, während sie zu mehreren, auf einer am Kran befestigten Planke balancierend ins Brandungsboot befördert werden. Klappt alles, weil Neptun an jenem Tag gnädig gestimmt ist, läuft das Boot mit der letzten Welle auf den Strandsand auf. Bis auf die Haut nass geworden ist man meist trotzdem.Mit den importierten Pferden und anderem Getier wird weniger zimperlich umgegangen. Der Kran hievt die in Holzkäfigen gehaltenen Tiere vom Dampfer aufs Landungsfloß. Kurz vor dem Strand gibt es dann kein Pardon mehr. Mit lautem Rufen und Peitschenknallen werden sie aus den Holzkäfigen vom Floß gejagt. Von Angst getrieben springen so in den Jahren 1904 bis 1906 insgesamt 11065 aus Deutschland verschiffte Pferde in die Fluten des kalten Benguelastroms und schwimmen an Land. Nicht immer glückt ein sicheres Landen. So berichtet Rechtsanwalt Georg Wasserfall, der Redakteur der Deutsch-Südwestafrikanischen Zeitung, am 6. Dezember 1905: „Am 2. Dezember hatte man wieder einen aufregenden Anblick. Ein Boot war in der Brandung gekentert; die aus sieben Krujungen bestehende Bemannung hielt sich an dem über das Wasser hervorragenden Kiel fest und beobachtete, wie man deutlich sehen konnte, aufmerksam die ankommenden Brecher, um durch rechtzeitiges Untertauchen der Gefahr, weggewaschen zu werden, vorzubeugen.“ Und weiter: „Als ein besonders starker Brecher kam, überließen die Krus sich ihm und er führte sie auch soweit dem Ufer zu, dass einige sogleich, andere nach schweren Anstrengungen festen Fuß fassen konnten. Alle sieben wurden glücklich gerettet.“ Der Berichterstatter fügt hinzu: „Es ist bewundernswert, wie diese Jungen im Wasser zu Hause sind, den Gefahren der Brandung zu begegnen und jede Chance auszunutzen verstehen. Von sieben Weißen an Stelle der sieben Kielreiter wäre aus der furchtbaren Brandung wohl kaum einer lebend ans Land gekommen.“Insgesamt 12000 Ruderer heuern die Deutschen während dieses Landungsbetriebs an. Aber das raue, nasse Klima macht sie krank, denn sie sind die warmen Äquatortemperaturen gewohnt. Viele sterben an Lungenentzündung, und einige dieser tapferen Männer liegen auf dem Pestfriedhof von Swakopmund begraben.

Wo einst der Fuß des Kriegers trat, wächst heut der schönste Kopfsalat (Teil 1)

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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Allgemeine Zeitung 2024-11-22

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