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Wo einst der Fuß des Kriegers trat, wächst heut der schönste Kopfsalat (Teil 12)

Wiebke Schmidt
Jede Gemeinschaft beginnt damit, dass der Einzelne etwas abgeben muss, damit die Allgemeinheit funktionieren kann. So ist es nicht verwunderlich, dass gleich nach Ankunft der ersten Leichter am Strand von Swakopmund ein Zollschuppen für den Import errichtet wird. Alles wandert nun zuerst über den Bürotisch des Zollvorstehers, auch eine Kiste mit unerwünschtem Inhalt.

Diese Kiste wird vom Dampfer „Hans Woermann“ am 21. November 1901 gelöscht und in den Zollschuppen getragen. Beim Kontrollieren traut der Zollvorsteher seinen Augen nicht. Im Inneren befinden sich lebende Kaninchen. Die Einfuhr dieser Tiere ist verboten, heißt es, und die Kiste wird beiseite gestellt. Doch plötzlich ist sie verschwunden. Eilig wird dem Eigentümer nachgesetzt und festgestellt, dass ein Zollarbeiter irrtümlicherweise die Ware mit auf den Wagen gepackt hat. Fast hätten diese kuscheligen Tierchen den Weg ins Inland geschafft und sich dort vermehren können. Die Kaninchen kommen zurück ins Zollamt und werden getötet. Ob der Zollvorsteher sich in seinem Wohnhaus – an dem später der Leuchtturm angebaut wird – eine Woche lang von Kaninchenbraten ernährt, ist nicht überliefert.

Kaninchen sind in Deutsch-Südwestafrika nicht erwünscht, dafür aber Katzen. Swakopmund ist schon längst nicht mehr Herr über Ratten und Mäuse. Mit jeder Schiffsladung krabbeln neue Nager an Land. Die rettende Idee hat der Kaufmann Emil Henrichsen. Er bestellt 1906 über die Firma Erhard & Schulz bei einem Geschäftsfreund in Kapstadt Katzen. Egal welche Rasse, Hauptsache, es kommen die Jäger auf sanften Pfoten. Der Geschäftsfreund schickt alles, was er auftreiben kann, von halbverhungerten Straßenkatern über kuschelige Hauslieblinge bis zu feinsten Zuchtkatzen. Noch am Ankunftstag verkauft Henrichsen alle zu zehn Mark das Stück. Ihre Nachfahren hausen heute scheu unter den Büschen in den städtischen Gärten.
Zurück zum Zoll. Obwohl privates Publikum im „Zollkral“ zwischen der Landungsbrücke und der Mole nichts zu suchen hat, zieht das Areal magisch an. Hinter dem hohen Holzzaun lagert nämlich die noch zu verzollende Ware. Als einmal der starke Ostwind einen Teil der Holzwand des Zollhofs umwirft, muss der Nachtwächter kontinuierlich diese Öffnung bewachen, um ungebetene Gäste fernzuhalten.

Nach dem 24. September 1914 gibt es vorerst nichts mehr zu verzollen. Es herrscht Krieg, eine Granate der „Kinfauns Castle“ trifft den Eingang des Zollamts. Ausgebrannt und mit einem großen Loch in der Wand bleibt das Gebäude nach dem Krieg als Kriegsruine dachlos und leer da. Bis der Zahnarzt Dr. Alfons Weber den rettenden Einfall hat.

Der leidenschaftliche Sammler von Gestein und Mineralien reist im Jahr 1949 nach 18 Jahren in die alte Heimat. „In Krefeld führten meine Verwandten mich in ein Museum, welches durch Kriegseinwirkung gelitten hatte und von seinem Gründer wieder aufgebaut wurde“, berichtet er, „Exempla Trahunt“ – Beispiele ziehen an. Das Beispiel dieses Mannes stand mir oft vor Augen.“ Zudem sei er von dem beispiellosen Aufbauwillen auf allen Gebieten so beeindruckt und aufgewühlt gewesen, dass er ganz beschämt nach Südwestafrika zurückgekehrt sei.

Bei einem Preisausschreiben der Stadtverwaltung zum Thema „wirkungsvolle Saisongestaltung 1950/51“ hat er den richtigen Riecher. „Dem Land fehlt eine systematische Darstellung der deutschen Zeit“, sagt Weber und schlägt vor: „Swakopmund braucht ein Heimatmuseum.“

Als erster Preis locken zehn Pfund, die er auch für seinen Vorschlag gewinnt, jedoch muss er sich den Preis mit einer Windhoekerin teilen. Von seinem Anteil kauft er Kaffee und schickt ihn an den ehemaligen Leutnant der Schutztruppe Paschasius, „der in Deutschland nach dem verlorenen Krieg in nicht gerade glänzenden Verhältnissen lebt.“ Weber habe den Leutnant zwar nicht persönlich gekannt, jedoch von ihm gehört. Dem Kaffeepaket legt er ein Schreiben bei, mit der Bitte nach alten Erinnerungsstücken. Postwendend treffen diese ein. Jetzt legt sich Weber richtig ins Zeug. Er sammelt alles, was ihm in die Finger kommt, und bringt es hinter dem Wohnhaus in einem Schuppen unter. Ermutigend ist auch die erste Sammelreise, die ihn bis nach Tsumeb führt. „Damals besuchte ich alle Orte, in denen ich in den Jahren 1932 bis 1942 als reisender Zahnarzt tätig war“, führt er an, „durch meinen Beruf kannte ich viele Leute besonders auch alte Schutztruppler.“ Sie geben für das geplante Museum ihre Waffen und sonstige Andenken aus ihrer Militärzeit. Es erscheint ein Aufruf in der Zeitung, Weber schreibt eine Menge Briefe, doch die persönlichen Kontaktaufnahmen bringen die meisten Sammelstücke. „Ich muss bekennen, die Südwester zeigten sich von einer seltenen Großzügigkeit; sie gaben ihre wertvollen Sachen, Familienandenken auf Treu und Glauben weg.“ Diese noble Geste spornt ihn an, sich des Vertrauens würdig zu erweisen und die Geschenke sachgemäß in einem übersichtlichen Museum unterzubringen.

Die Finanzierung geht anfangs aus eigener Tasche. Dann wird gesammelt. Bettelbriefe verschickt. Er spielt Theater mit der Bedingung, dass 40 Prozent des Reinerlöses seinem Museum zukommt. Firmen spenden Material und geben Rabatte, ein Tischler zimmert nach Feierabend die Vitrinen. Mit Zahnarztgips und Zahnarztklebewachs sowie Zinnfiguren aus Deutschland wird unter anderem das Gefecht bei Omaruru maßstabgetreu nachgebildet; alte Schwerter werden fachgerecht konserviert; der Mann tauscht mit Museen in Übersee und stellt fest: Sein Schuppen ist zu klein. „Mein Hinterhaus, alle Nebengebäude, die Privatwohnung, selbst mein Schlafzimmer glich zum Schrecken meiner Hausdame einem Museum.“

Die Kritik bleibt nicht aus: „Das Museum ist eine Rumpelkammer“, heißt es. Eine Alternative muss her. Anfangs fällt der Blick auf die alte Kaserne, doch dann entscheidet man sich für den alten Zollschuppen. Für eine Weile nutzt der Tennisklub noch die Gemäuer, dann wird Webers Traum Wirklichkeit.

Ein ganz besonderes Museumsobjekt erhält das Museum im Jahr 2007. Links vom Eingang entsteht eine Replika der ehemaligen Hansa-Brauerei-Hausbar inklusive der historisch wertvollen Bierbrauer-Anlage. Wie eine schützende Hand wacht der alte Kupferkessel als Erker des Museum Cafés über Swakopmunds Geschichte. Der alte Zollschuppen und sein Café sind ein Treffpunkt geworden, wo Jung und Alt zusammenkommen und sich über spannende Dinge aus der Vergangenheit oder der Gegenwart austauschen können. Ganz im Sinne eines gemeinsamen kulturellen Verständnisses.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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