Wo einst der Fuß des Kriegers trat, wächst heut der schönste Kopfsalat (Teil 24)
Der Bevölkerungsstand von Swakopmund am 31. Dezember 1910 zählt insgesamt 1129 weiße Einwohner, aufgeteilt in 686 männliche und 443 weibliche Personen. 860 der Bürger sind evangelisch, 204 katholisch. 65 Personen gehören der kleinen jüdischen Gemeinschaft an. Sie lebt nach dem jüdischem Glauben, so gut es halt geht.
Zur damaligen Zeit die besonders strikten jüdischen Speisegesetze stets zu befolgen, ist wahrlich nicht einfach. Der „Zohar“, das bedeutendste Schriftwerk der mystischen Tradition „Kabbala“ besagt: „Die Speisegesetze erziehen uns zur Herrschaft über unsere Gelüste, sie gewöhnen uns daran, aufkeimende Wünsche zu unterdrücken.“ Die Auswahl an koscheren (reinen) Lebensmitteln ist aber sehr dünn gesät.
Geräucherter Katfisch auf Toast mit Avocado, dazu vielleicht Bratkartoffeln; wie ein Hering eingelegt oder zu Sülze verarbeitet, beliebig frisch in der Pfanne gebraten, … wem läuft da nicht das Wasser im Munde zusammen? Für die meisten Küstenbewohner gibt es nichts Delikateres als frisch gefangenen Fisch. Der besagte Katfisch, der im Volksmund auch „Beamtenlachs“ (große Schnauze – nichts dahinter) genannt wird, gehört zu der Familie der Welse mit lateinischem Namen „Galeichthys feliceps“. Einst gab es ihn an Swakopmunds Küste „wie Sand am Meer“, heute ist er eine Rarität und wird in den Nobelrestaurants der Küstenstadt als exquisite Vorspeise angeboten.
Während der christliche Bürger ihn genießen darf, geht die jüdische Gemeinschaft leer aus, denn nur Fische mit Flossen und Schuppen sind ihrem Glauben nach kosher. Der Wels aber ist glatt wie ein Aal und treife (unrein) und somit verboten. Doch halt!
Es wird erzählt, dass die jüdische Gemeinschaft ebenfalls gern in den Genuss dieser Delikatesse kommen wollte. Sie wandte sich deshalb bei einem Rabbi-Besuch an den jüdischen Gesetzeslehrer und fragte ihn nach seiner Meinung. Spontan habe er darauf nicht antworten können, sich aber sofort bereit erklärt, einen dieser Welse mit nach Kapstadt zu nehmen. Angeblich sei er dort im „Ichthyologischen Institut“ der Universität untersucht worden. Und siehe da, der Katfisch habe mikroskopisch kleine Schüppchen, soll man dem Rabbi mitgeteilt haben. So sei der Fisch „rein“ gesprochen worden, und seit jenem Tag haben die Juden den Katfisch genießen dürfen.
Dichtung oder Wahrheit? „Das ist mir nicht bekannt“, gesteht der Jude Zvi Gorlik aus Windhoek auf Nachfrage, „mein jüdischer Glaube erlaubt mir den Verzehr von Katfisch nicht.“ Also doch Anglerlatein? „Der Katfisch hat keine Schuppen“, bestätigt das namibische Fischereiministerium am 17. Januar 2014 auf Nachfrage. „Also ich esse ihn trotzdem“, beichten dennoch die einen oder anderen jüdischen Nachfahren.
Eine wahre Begebenheit hingegen, allerdings ebenfalls recht abstrus, ist folgende Schilderung: Es habe da in Swakopmund einen jüdischen Rechtsanwalt gegeben, der den Wunsch nach Erbsensuppe hegte, die eine Swakopmunder Christin besonders lecker zubereitete. Auf vorsichtige Nachfrage, wann er denn mal wieder in den Genuss kommen dürfe, warnte die Hobbyköchin: „Aber da ist doch Schweinespeck drin.“ „Pst, das müssen Sie mir nicht sagen“, entgegnete er verschmitzt, „wenn ich es nicht weiß, bekommst Du die Strafe von oben, nicht ich.“ Fremde Kulturen, fremde Sitten.
Eine der ersten jüdischen Familien, die nach Deutsch-Südwestafrika auswandern, ist übrigens die Familie Kornblum. Zusammen mit ihren beiden Kindern verlassen Arthur und Freda Kornblum im Mai 1906 Dresden in Deutschland und ziehen einem neuen Abenteuer entgegen. Ihre erste Bleibe in Swakopmund ist nichts anderes als eine kleine Holzbaracke. Aber Arthur Kornblum ist ein tüchtiger Geschäftsmann, er verdient seinen Lebensunterhalt mit einer Sattlerei. Im Jahr 1911 baut ihm die Firma Woermann Brock & Co ein Haus mit Geschäftsräumen, und Kornblum eröffnet seinen ersten Interieur-Laden. Das Geschäft, genannt „A. Kornblum & Co“, importiert aus Deutschland feinste Gardinenstoffe sowie orientalische Teppiche und gilt in der Küstenstadt als erstes Fachwaren-Kaufhaus für Inneneinrichtungen.
Sein Geschäftsglück soll vorerst nicht von Dauer sein. Während des Ersten Weltkriegs verliert Kornblum alles, was er aufgebaut hat. Zusammen mit seiner Familie flieht er nach Omaruru. Doch der Mann – wie so viele andere Swakopmunder – lässt sich nicht unterkriegen. Nach Kriegsende kommt er zurück und findet im geplünderten Swakopmund zwischen dem ganzen Durcheinander ein paar Ballen Koir (Kokosnusshaar), die er zu Matratzen verarbeitet. Eine Mangelware, die ihm einen Neuanfang ermöglicht. Doch unter neuer Mandatsherrschaft will ihm nichts richtig gelingen. Kornblum beschließt 1919, nach Windhoek zu ziehen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg eröffnet der geschäftstüchtige Mann eine Filiale in Swakopmund. Die Verantwortung überlässt er seinem Schwiegersohn, Herbert Simonson, der nicht nur ein extrem erfolgreiches Importgeschäft für Gardinenstoffe, Teppiche und Möbel daraus macht, sondern sich in den Jahren 1954 bis 1956 auch als Bürgermeister für Swakopmund einsetzt. Simonson hat nebenbei den Vorsitz des Roten Kreuzes und des Kunstvereins inne. „Er brachte es damals fertig, für eine ganze Saison die Scherergruppe aus Deutschland zu engagieren“, weiß die Swakopmunder Bewohnerin Irmela Erlank-Rethemeyer zu berichten, „diese hochbegabte Gruppe unterhielt Swakopmund mit Opern, Pianokonzerten und vielen weiteren kulturellen Veranstaltungen.“
Als sich Franz Ziegler, Rotarier und Geschäftsführer des Ausstattungsgeschäfts „von Tippelskirch”, für den Bau einer Friedhofskapelle für alle Bürger Swakopmunds einsetzt, setzt Simonson sich durch und fordert, dass das Kreuz auf dem Altar abnehmbar wird, damit es bei jüdischen Beisetzungen mit dem David-Stern ausgetauscht werden kann. „Das gehört zur Demokratie dazu“, macht Simonson seinen Wunsch geltend. Als er am 9. Mai 1985 stirbt, gibt es keinen Rabbi für seine Beerdigung, doch zwei Soldaten der südafrikanischen Streitmacht mit jüdischer Herkunft, die in Walvis Bay stationiert sind, springen ein. Sie halten sich an alle vorgeschriebenen Regeln. Ehre wem Ehre gebührt.
Zur damaligen Zeit die besonders strikten jüdischen Speisegesetze stets zu befolgen, ist wahrlich nicht einfach. Der „Zohar“, das bedeutendste Schriftwerk der mystischen Tradition „Kabbala“ besagt: „Die Speisegesetze erziehen uns zur Herrschaft über unsere Gelüste, sie gewöhnen uns daran, aufkeimende Wünsche zu unterdrücken.“ Die Auswahl an koscheren (reinen) Lebensmitteln ist aber sehr dünn gesät.
Geräucherter Katfisch auf Toast mit Avocado, dazu vielleicht Bratkartoffeln; wie ein Hering eingelegt oder zu Sülze verarbeitet, beliebig frisch in der Pfanne gebraten, … wem läuft da nicht das Wasser im Munde zusammen? Für die meisten Küstenbewohner gibt es nichts Delikateres als frisch gefangenen Fisch. Der besagte Katfisch, der im Volksmund auch „Beamtenlachs“ (große Schnauze – nichts dahinter) genannt wird, gehört zu der Familie der Welse mit lateinischem Namen „Galeichthys feliceps“. Einst gab es ihn an Swakopmunds Küste „wie Sand am Meer“, heute ist er eine Rarität und wird in den Nobelrestaurants der Küstenstadt als exquisite Vorspeise angeboten.
Während der christliche Bürger ihn genießen darf, geht die jüdische Gemeinschaft leer aus, denn nur Fische mit Flossen und Schuppen sind ihrem Glauben nach kosher. Der Wels aber ist glatt wie ein Aal und treife (unrein) und somit verboten. Doch halt!
Es wird erzählt, dass die jüdische Gemeinschaft ebenfalls gern in den Genuss dieser Delikatesse kommen wollte. Sie wandte sich deshalb bei einem Rabbi-Besuch an den jüdischen Gesetzeslehrer und fragte ihn nach seiner Meinung. Spontan habe er darauf nicht antworten können, sich aber sofort bereit erklärt, einen dieser Welse mit nach Kapstadt zu nehmen. Angeblich sei er dort im „Ichthyologischen Institut“ der Universität untersucht worden. Und siehe da, der Katfisch habe mikroskopisch kleine Schüppchen, soll man dem Rabbi mitgeteilt haben. So sei der Fisch „rein“ gesprochen worden, und seit jenem Tag haben die Juden den Katfisch genießen dürfen.
Dichtung oder Wahrheit? „Das ist mir nicht bekannt“, gesteht der Jude Zvi Gorlik aus Windhoek auf Nachfrage, „mein jüdischer Glaube erlaubt mir den Verzehr von Katfisch nicht.“ Also doch Anglerlatein? „Der Katfisch hat keine Schuppen“, bestätigt das namibische Fischereiministerium am 17. Januar 2014 auf Nachfrage. „Also ich esse ihn trotzdem“, beichten dennoch die einen oder anderen jüdischen Nachfahren.
Eine wahre Begebenheit hingegen, allerdings ebenfalls recht abstrus, ist folgende Schilderung: Es habe da in Swakopmund einen jüdischen Rechtsanwalt gegeben, der den Wunsch nach Erbsensuppe hegte, die eine Swakopmunder Christin besonders lecker zubereitete. Auf vorsichtige Nachfrage, wann er denn mal wieder in den Genuss kommen dürfe, warnte die Hobbyköchin: „Aber da ist doch Schweinespeck drin.“ „Pst, das müssen Sie mir nicht sagen“, entgegnete er verschmitzt, „wenn ich es nicht weiß, bekommst Du die Strafe von oben, nicht ich.“ Fremde Kulturen, fremde Sitten.
Eine der ersten jüdischen Familien, die nach Deutsch-Südwestafrika auswandern, ist übrigens die Familie Kornblum. Zusammen mit ihren beiden Kindern verlassen Arthur und Freda Kornblum im Mai 1906 Dresden in Deutschland und ziehen einem neuen Abenteuer entgegen. Ihre erste Bleibe in Swakopmund ist nichts anderes als eine kleine Holzbaracke. Aber Arthur Kornblum ist ein tüchtiger Geschäftsmann, er verdient seinen Lebensunterhalt mit einer Sattlerei. Im Jahr 1911 baut ihm die Firma Woermann Brock & Co ein Haus mit Geschäftsräumen, und Kornblum eröffnet seinen ersten Interieur-Laden. Das Geschäft, genannt „A. Kornblum & Co“, importiert aus Deutschland feinste Gardinenstoffe sowie orientalische Teppiche und gilt in der Küstenstadt als erstes Fachwaren-Kaufhaus für Inneneinrichtungen.
Sein Geschäftsglück soll vorerst nicht von Dauer sein. Während des Ersten Weltkriegs verliert Kornblum alles, was er aufgebaut hat. Zusammen mit seiner Familie flieht er nach Omaruru. Doch der Mann – wie so viele andere Swakopmunder – lässt sich nicht unterkriegen. Nach Kriegsende kommt er zurück und findet im geplünderten Swakopmund zwischen dem ganzen Durcheinander ein paar Ballen Koir (Kokosnusshaar), die er zu Matratzen verarbeitet. Eine Mangelware, die ihm einen Neuanfang ermöglicht. Doch unter neuer Mandatsherrschaft will ihm nichts richtig gelingen. Kornblum beschließt 1919, nach Windhoek zu ziehen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg eröffnet der geschäftstüchtige Mann eine Filiale in Swakopmund. Die Verantwortung überlässt er seinem Schwiegersohn, Herbert Simonson, der nicht nur ein extrem erfolgreiches Importgeschäft für Gardinenstoffe, Teppiche und Möbel daraus macht, sondern sich in den Jahren 1954 bis 1956 auch als Bürgermeister für Swakopmund einsetzt. Simonson hat nebenbei den Vorsitz des Roten Kreuzes und des Kunstvereins inne. „Er brachte es damals fertig, für eine ganze Saison die Scherergruppe aus Deutschland zu engagieren“, weiß die Swakopmunder Bewohnerin Irmela Erlank-Rethemeyer zu berichten, „diese hochbegabte Gruppe unterhielt Swakopmund mit Opern, Pianokonzerten und vielen weiteren kulturellen Veranstaltungen.“
Als sich Franz Ziegler, Rotarier und Geschäftsführer des Ausstattungsgeschäfts „von Tippelskirch”, für den Bau einer Friedhofskapelle für alle Bürger Swakopmunds einsetzt, setzt Simonson sich durch und fordert, dass das Kreuz auf dem Altar abnehmbar wird, damit es bei jüdischen Beisetzungen mit dem David-Stern ausgetauscht werden kann. „Das gehört zur Demokratie dazu“, macht Simonson seinen Wunsch geltend. Als er am 9. Mai 1985 stirbt, gibt es keinen Rabbi für seine Beerdigung, doch zwei Soldaten der südafrikanischen Streitmacht mit jüdischer Herkunft, die in Walvis Bay stationiert sind, springen ein. Sie halten sich an alle vorgeschriebenen Regeln. Ehre wem Ehre gebührt.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen