Wo einst der Fuß des Kriegers trat, wächst heut der schönste Kopfsalat (Teil 26)
Auf dem Scheibenstand des Kriegervereins findet am Sonntag den 28. Juni 1914 ein Preisschießen zwischen Swakopmunder und Walvis Bayer Polizeibeamten statt. Den Ehrenpreis für den besten britischen Schützen stiftet Regierungsrat Wellmann und der Walvis Bayer Magistrat Richards würdigt den besten Swakopmunder Schützen. Kameradschaftlich wird noch gefeiert, einen Monat später erklärt man sich den Krieg.
Während in Europa schon der Erste Weltkrieg tobt, reibt man sich im idyllischen Swakopmund noch verschlafen die Augen. Es wird zwar erzählt, dass wohl ein Kriegsbote aus Walvis Bay die schriftliche Kriegserklärung nach Swakopmund bringen sollte, durch Krankheit jedoch verhindert war. So sei er erst ein paar Tage später losgezogen, um dann die Küstenstadt verlassen vorzufinden. Lediglich ein „Gartenjunge“ habe – laut mündlicher Überlieferung – irgendwo noch treu im Garten gewerkelt. Die Swakopmunder hätten rechtzeitig ihr wertvolles Gut vergraben und sich vom Acker gemacht, sagt man.
Fakt ist, dass die Briten am 14. September 1914 einen „eklatanten Bruch des Völkerrechts“ begangen haben. So beschreibt es die Deutsch-Südwestafrikanische Zeitung. „Nachmittags um 2 Uhr 5 Minuten – die Stadt prangte anlässlich der am Vormittag veröffentlichten Siegesbotschaft von dem neuen Erfolge des Generaloberst von Hindenburg im vollen Flaggenschmuck – schreckte das Dröhnen eines Kanonenschusses die Bevölkerung aus dem Nachmittagsschlummer.“ Erst nachdem der erste Schuss abgefeuert war, hisst die plötzlich auf Reede liegende mächtige „Armadale Castle“ der Union Castle Linie ihre Kriegsflagge. Der Passagierdampfer, der Anfang August zu einem Hilfskreuzer umgerüstet worden war, ist eigentlich von Walvis Bay nach Kapstadt zurückbeordert worden. Er legt ab, macht aber kehrt, als er Funksprüche eines fremden Schiffes empfängt. Mehr Eintragungen gibt es im Logbuch nicht. Der Hilfskreuzer nimmt Kurs auf Swakopmund und feuert noch im Fahren den ersten Schuss ab.
Die deutschen Späher sehen das Schiff zwar kommen, vermuten aber keine Feindseligkeit – da ja unbeflaggt. Sie halten es für einen nach Norden vorüberfahrenden neutralen „Kauffahrer“. Beim Näherkommen fällt auf, dass das Schiff von der Wasserlinie bis zur Schornsteinspitze schwarz gestrichen und der Name übertüncht ist. Da ist es schon zu spät.
Die erste Granate gilt dem bereits zur Hälfte abgebauten Funkturm. Sie reißt das Dach vom Stationsgebäude auf und richtet im Innern erhebliche Verwüstungen an. Die drei Besatzungsmänner können sich gerade noch rechtzeitig in Sicherheit bringen.
Der zweite Schuss trifft das Haus der Familie Wlotzka, gleich neben dem Funkturm. Er zischt durch das Fenster des Verandazimmers, durchschlägt dort das Klavier, dann die Wand zum Schlafzimmer und detoniert im Ehebett. Auch die Wlotzkas können noch rechtzeitig fliehen, bevor sich ihr Haus in einen Trümmerhaufen verwandelt. „Das ist das dritte Mal, dass die Familie Wlotzka, die früher in Südafrika ansässig war, sich englische Granaten hat um die Köpfe sausen lassen müssen“, empört sich die Zeitung. Der Luftdruck der Explosion sei so stark gewesen, dass die zum Hof gelegene Zimmerwand fortgerissen wurde; die Sprengstücke haben ihren Weg durch den Hof und abschließend durch den Pferdestall genommen, merkwürdigerweise ohne eines der Tiere zu verletzen.
Eine weitere Granate schlägt auf dem Hof der Familie Kaiser ein. Eine Kuh wird dabei verletzt, „die erste und glücklicherweise einzige Verwundete bei dieser Britenschießerei“, wird berichtet.
Ruckzuck werden nun überall in der angegriffenen Küstenstadt die bunten Flaggen und die Reichsfahnen eingeholt, nur die Post lässt sie trotzig weiter im Wind flattern. Das Antonius Hospital und das Erholungsheim ziehen die Genfer Rote Kreuzflagge hoch.
Nach siebzehn Schuss hisst die „Armadale Castle“ die weiße Parlamentärflagge und signalisiert damit eine Feuerpause. Hauptmann Oskar Scultetus lässt sich zwecks Verhandlungen mit dem Schlepper „Hamburg“ zum Feind bringen, er nimmt den Offizier des Landungsbetriebes Theodor Woker als Dolmetscher mit. Die Unterredung ist kurz, vollzieht sich aber in verhältnismäßig höflicher Form.
„Wir haben lediglich den Auftrag erhalten, den Funkturm niederzulegen“, rechtfertigt die „Armadale Castle“ den Angriff. „Der ist doch schon längst außer Betrieb. Ich selbst hatte den Befehl erhalten, den Turm bei Annäherung des Feindes abzubrechen“, gibt Scultetus zu verstehen. „Ach so?“, erwidert darauf der Brite perplex. „Sie haben mit Ihren Granaten ohne Grund das Leben friedlicher Bürger gefährdet“, wirft Scultetus ihm vor. „So sorry! Ich wusste nicht, dass in der Nähe vom Funkturm Privathäuser stehen. Irgendjemand verletzt?“
Scultetus lässt den Briten im Ungewissen. Beim Abschied verlangt der Engländer die Herausgabe des Schleppers „Hamburg“. Er soll gebracht werden, sobald Scultetus wieder an Land ist. Doch kaum hat der Hauptmann wieder Sand unter den Füßen, lässt er der „Armadale Castle“ signalisieren: „Wenn ihr den Schlepper haben wollt, holt ihn Euch selbst.“ Nach längerem Hin und Her verzichten die Briten und dampfen ab.
Diese Schießerei führt dazu, dass eine Anzahl Frauen und Kinder Swakopmund sofort verlassen. Der Schlepper „Hamburg“ wird vorsichtshalber demontiert und auf den Strand gezogen. Doch auf die Nachricht von der russischen Niederlage in Ostpreußen hin strotzt am nächsten Tag wieder ganz Swakopmund von bunten Fahnen und Reichsflaggen. Vom Funkturm bleiben nach dem Angriff nur die drei Sockel rechts der Swakopmündung übrig. Der Rest wird abgebaut.
Erst sehr viel später kreiert die Stadtverwaltung daraus Türme, ohne Tür und ohne Fenster. Sie werden noch heute oft mit Elektrizitätshäuschen oder Wasserpumphäusern verwechselt, aber sie dienten einst als Verankerung einer Funkstation mit einem 86 Meter hohen Gitterturm, errichtet von der Deutschen Gesellschaft für drahtlose Telegraphie m.b.H..
Am 4. Februar 1912 funkte sie zum ersten Mal, ihr Ebenbild in Lüderitzbucht am 3. Juni 1912. Nachts schaffte Swakopmund in der Regel Entfernungen von 2200 km, ab und zu sogar 3600 km im Kontakt mit Schiffen. Einseitiger Verkehr mit Schiffen war sogar bis 3800 km möglich. Die Funkverbindung mit Kapstadt klappte ausgezeichnet in beide Richtungen über 1190 km. Der Funkverkehr zwischen Swakopmund und Lüderitzbucht war ohne große Mühe in Deutsch-Ostafrika von der Küstenstation Duala zu verfolgen. Dieser Funkturm von Swakopmund hätte im Ersten Weltkrieg von strategischer Bedeutung sein können. Seine Vernichtung war der Anfang vom Lied und von Leid.
Während in Europa schon der Erste Weltkrieg tobt, reibt man sich im idyllischen Swakopmund noch verschlafen die Augen. Es wird zwar erzählt, dass wohl ein Kriegsbote aus Walvis Bay die schriftliche Kriegserklärung nach Swakopmund bringen sollte, durch Krankheit jedoch verhindert war. So sei er erst ein paar Tage später losgezogen, um dann die Küstenstadt verlassen vorzufinden. Lediglich ein „Gartenjunge“ habe – laut mündlicher Überlieferung – irgendwo noch treu im Garten gewerkelt. Die Swakopmunder hätten rechtzeitig ihr wertvolles Gut vergraben und sich vom Acker gemacht, sagt man.
Fakt ist, dass die Briten am 14. September 1914 einen „eklatanten Bruch des Völkerrechts“ begangen haben. So beschreibt es die Deutsch-Südwestafrikanische Zeitung. „Nachmittags um 2 Uhr 5 Minuten – die Stadt prangte anlässlich der am Vormittag veröffentlichten Siegesbotschaft von dem neuen Erfolge des Generaloberst von Hindenburg im vollen Flaggenschmuck – schreckte das Dröhnen eines Kanonenschusses die Bevölkerung aus dem Nachmittagsschlummer.“ Erst nachdem der erste Schuss abgefeuert war, hisst die plötzlich auf Reede liegende mächtige „Armadale Castle“ der Union Castle Linie ihre Kriegsflagge. Der Passagierdampfer, der Anfang August zu einem Hilfskreuzer umgerüstet worden war, ist eigentlich von Walvis Bay nach Kapstadt zurückbeordert worden. Er legt ab, macht aber kehrt, als er Funksprüche eines fremden Schiffes empfängt. Mehr Eintragungen gibt es im Logbuch nicht. Der Hilfskreuzer nimmt Kurs auf Swakopmund und feuert noch im Fahren den ersten Schuss ab.
Die deutschen Späher sehen das Schiff zwar kommen, vermuten aber keine Feindseligkeit – da ja unbeflaggt. Sie halten es für einen nach Norden vorüberfahrenden neutralen „Kauffahrer“. Beim Näherkommen fällt auf, dass das Schiff von der Wasserlinie bis zur Schornsteinspitze schwarz gestrichen und der Name übertüncht ist. Da ist es schon zu spät.
Die erste Granate gilt dem bereits zur Hälfte abgebauten Funkturm. Sie reißt das Dach vom Stationsgebäude auf und richtet im Innern erhebliche Verwüstungen an. Die drei Besatzungsmänner können sich gerade noch rechtzeitig in Sicherheit bringen.
Der zweite Schuss trifft das Haus der Familie Wlotzka, gleich neben dem Funkturm. Er zischt durch das Fenster des Verandazimmers, durchschlägt dort das Klavier, dann die Wand zum Schlafzimmer und detoniert im Ehebett. Auch die Wlotzkas können noch rechtzeitig fliehen, bevor sich ihr Haus in einen Trümmerhaufen verwandelt. „Das ist das dritte Mal, dass die Familie Wlotzka, die früher in Südafrika ansässig war, sich englische Granaten hat um die Köpfe sausen lassen müssen“, empört sich die Zeitung. Der Luftdruck der Explosion sei so stark gewesen, dass die zum Hof gelegene Zimmerwand fortgerissen wurde; die Sprengstücke haben ihren Weg durch den Hof und abschließend durch den Pferdestall genommen, merkwürdigerweise ohne eines der Tiere zu verletzen.
Eine weitere Granate schlägt auf dem Hof der Familie Kaiser ein. Eine Kuh wird dabei verletzt, „die erste und glücklicherweise einzige Verwundete bei dieser Britenschießerei“, wird berichtet.
Ruckzuck werden nun überall in der angegriffenen Küstenstadt die bunten Flaggen und die Reichsfahnen eingeholt, nur die Post lässt sie trotzig weiter im Wind flattern. Das Antonius Hospital und das Erholungsheim ziehen die Genfer Rote Kreuzflagge hoch.
Nach siebzehn Schuss hisst die „Armadale Castle“ die weiße Parlamentärflagge und signalisiert damit eine Feuerpause. Hauptmann Oskar Scultetus lässt sich zwecks Verhandlungen mit dem Schlepper „Hamburg“ zum Feind bringen, er nimmt den Offizier des Landungsbetriebes Theodor Woker als Dolmetscher mit. Die Unterredung ist kurz, vollzieht sich aber in verhältnismäßig höflicher Form.
„Wir haben lediglich den Auftrag erhalten, den Funkturm niederzulegen“, rechtfertigt die „Armadale Castle“ den Angriff. „Der ist doch schon längst außer Betrieb. Ich selbst hatte den Befehl erhalten, den Turm bei Annäherung des Feindes abzubrechen“, gibt Scultetus zu verstehen. „Ach so?“, erwidert darauf der Brite perplex. „Sie haben mit Ihren Granaten ohne Grund das Leben friedlicher Bürger gefährdet“, wirft Scultetus ihm vor. „So sorry! Ich wusste nicht, dass in der Nähe vom Funkturm Privathäuser stehen. Irgendjemand verletzt?“
Scultetus lässt den Briten im Ungewissen. Beim Abschied verlangt der Engländer die Herausgabe des Schleppers „Hamburg“. Er soll gebracht werden, sobald Scultetus wieder an Land ist. Doch kaum hat der Hauptmann wieder Sand unter den Füßen, lässt er der „Armadale Castle“ signalisieren: „Wenn ihr den Schlepper haben wollt, holt ihn Euch selbst.“ Nach längerem Hin und Her verzichten die Briten und dampfen ab.
Diese Schießerei führt dazu, dass eine Anzahl Frauen und Kinder Swakopmund sofort verlassen. Der Schlepper „Hamburg“ wird vorsichtshalber demontiert und auf den Strand gezogen. Doch auf die Nachricht von der russischen Niederlage in Ostpreußen hin strotzt am nächsten Tag wieder ganz Swakopmund von bunten Fahnen und Reichsflaggen. Vom Funkturm bleiben nach dem Angriff nur die drei Sockel rechts der Swakopmündung übrig. Der Rest wird abgebaut.
Erst sehr viel später kreiert die Stadtverwaltung daraus Türme, ohne Tür und ohne Fenster. Sie werden noch heute oft mit Elektrizitätshäuschen oder Wasserpumphäusern verwechselt, aber sie dienten einst als Verankerung einer Funkstation mit einem 86 Meter hohen Gitterturm, errichtet von der Deutschen Gesellschaft für drahtlose Telegraphie m.b.H..
Am 4. Februar 1912 funkte sie zum ersten Mal, ihr Ebenbild in Lüderitzbucht am 3. Juni 1912. Nachts schaffte Swakopmund in der Regel Entfernungen von 2200 km, ab und zu sogar 3600 km im Kontakt mit Schiffen. Einseitiger Verkehr mit Schiffen war sogar bis 3800 km möglich. Die Funkverbindung mit Kapstadt klappte ausgezeichnet in beide Richtungen über 1190 km. Der Funkverkehr zwischen Swakopmund und Lüderitzbucht war ohne große Mühe in Deutsch-Ostafrika von der Küstenstation Duala zu verfolgen. Dieser Funkturm von Swakopmund hätte im Ersten Weltkrieg von strategischer Bedeutung sein können. Seine Vernichtung war der Anfang vom Lied und von Leid.
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Allgemeine Zeitung
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