Wo einst der Fuß des Kriegers trat, wächst heut der schönste Kopfsalat (Teil 7)
Swakopmund trauert. Die Fahnen stehen auf Halbmast. Am 25. April 1908 widmet die Deutsch-Südwestafrikanische Zeitung eine ganze Seite einem einzigen Mann. Ein Nachruf, der den Verstorbenen als „begeisterten Freund und wachsamen, selbstlosen Berater des Schutzgebiets“ hervorhebt, der „sein ganzes Herz einem schönen Land verschrieben hat“: Justizrat und Redakteur Georg Eugen Wasserfall.
Als Sohn des Garnisons- und Verwaltungs-Oberinspektors Emil August Wasserfall und seiner Gattin Johanna Dorothea Körner erblickt Georg am 18. November 1858 das Licht der Welt. Kaum hat er das Abitur in der Tasche, bestimmt die Suche nach dem für ihn idealen Zustand des sozialen Miteinanders seinen Lebensweg. 1894 reift in dem 36-jährigen Juristen auf einer Erholungsreise der Entschluss, nach Deutsch-Südwestafrika auszuwandern. „Es fehlt dem jungen Land eine Zeitung, die ein Mittel sein kann, das Interesse für das Schutzgebiet in der Heimat zu erwecken und zu erhalten“, so sein Anlass. Hierfür will er seine ganze Kraft einsetzen. Die Tätigkeit als Anwalt soll ihm einstweilen die Mittel liefern, seinem Zeitungsunternehmen über die ersten Jahre ohne nennenswerte Einnahmen hinwegzuhelfen.
Am 12. Oktober 1898 erscheint in Windhuk die erste Ausgabe des „Windhuker Anzeigers“. Mühselig setzt er Wort für Wort mit der Hand. Im Gegensatz zu den offiziellen Amtsblättern will der Rechtsanwalt unabhängig vom Regierungseinfluss berichten. Dafür siedelt er im Jahr 1901 nach Swakopmund um. „Das Gefühl, dort in Windhuk in nächster Nähe des Gouverneurs nicht ganz unbeeinflusst, nicht ganz mit dem nötigen Nachdruck schreiben zu können, hatte ihn vertrieben“, rechtfertigt der Verfasser des Nachrufs den Umzug an die Küste. Frisch, fromm, fröhlich, frei und ungebunden kann er sich nun in seinem neuen Blatt „Deutsch-Südwestafrikanische Zeitung“ auslassen. Neben Informationen, politischer Orientierung und Unterhaltung deckt der Redakteur die wichtigsten kommunikativen Funktionen ab. Freilich bringt er auch ungekürzt stenografische Berichte aus dem Reichstag, aber hauptsächlich verbringt er seine Zeit damit, dem Leser seine Meinung aufzubürden – oft gespickt mit wohlformulierten, bündigen Seufzern und Klagen. Der Justizrat (ihm wird der Titel 1905 verliehen) bezieht eine klare Stellung zu bestimmten Themen, seine Berichterstattung ist meinungsgefärbt. So beeinflusst er die politische Urteilsbildung sowie die gesellschaftliche Kommunikation seiner Abonnenten.
Hier konnte er freier für das eintreten, was er nach reiflicher Erwägung als notwendig für die Entwicklung des Landes erkannte, konnte gegen irrige Anschauungen seine geläuterte Erfahrung geltend machen.“ Sorgfältig gewählte Worte im Nachruf. „Dass er manchmal oft anderer Ansicht war als die Regierung und dies in stets sachlicher Form zum Ausdruck brachte, weiß jeder der die Zeitung während der Jahre 1902 bis 1907 gelesen hat. Ebenso wie auch jeder, auch der loyalste Südwestafrikaner weiß, wie oft ein offenes Wort not tat.“
Vom gegenwärtigen Standpunkt aus gesehen kommen deshalb einige seiner Artikel nicht ganz „politisch korrekt“ herüber. Manch einer sieht seine Äußerungen heute als Angriff auf eine Norm an. Damals einfach akzeptiert oder schlichtweg unerkannt, mögen derzeit die Leser seine Wiedergaben ernster Begebenheiten als seltsam komisch empfinden, vielleicht schmunzelnd den Kopf schütteln und gewisse Texte sogar als negatives Schwadronieren mit viel zu wenig Rücksichtnahme ansehen.
So berichtet Justizrat Wasserfall am 5. Juli 1905 in seiner Zeitung von einem recht kuriosen Fall: „Vor acht Tagen wurde vor dem Bezirksgericht Swakopmund eine Anklage wegen Majestätsbeleidigung verhandelt. Ein von auswärts hierher gekommener Arbeiter hatte in der Trunkenheit auf der Straße vor dem Hotel ‚Zum Fürsten Bismarck‘ sich in unflätigen Schimpfereien ergangen. Dabei nannte er auch die Person des Kaisers. Zeuge des trunkenen Gebarens des Mannes war ein Hauptmann, der gerade im Hotel ‚Zum Fürsten Bismarck‘ saß. Als die Äußerung über den Kaiser fiel, befahl er einem Schwarzen, einen Schambock zu nehmen und den Mann damit zu schlagen. Dies geschah: Auf den ergangenen Befehl wurde auf offener Straße, bei hellem Tage, der Weiße durch den Schwarzen mit dem Schambock gehörig durchgeprügelt. Und dies, während wir in einem Rassenkriege stehen. Was soll man dazu sagen?!“ (Ende seiner Kurzmitteilung)
Wasserfall schließt seinen Bericht mit einer Frage, die wohl wegen des Auftretens des Hauptmanns, der einem Einheimischen kurz die Macht überlassen hatte, zum Nachdenken anregen soll. Objektivität klingt anders. Das Gemeine daran ist nämlich aus heutiger Sicht der Hochmut dieser Zeit. „Warum hat sich der Hauptmann nicht selbst die Hände schmutzig gemacht?“
Da lobe man den Swakopmunder Bürgermeister Jörg Henrichsen (von 1981 bis 1992 im Amt). Er war sich nicht zu schade und schlug einst selbst mal kräftig zu. Aber das ist eine andere Geschichte und wird gesondert erzählt.
Wasserfalls Richtschnur: Nur der Sache zu dienen. „So hat er schwere Jahre hindurch, während der Lehrjahre des Landes, der Aufstandsjahre als wahrhaft getreuer Ekkehart (der Schwertstarke) unseres Schutzgebietes auf der Warte gestanden, hat sich gesorgt und gehärmt, hat jedes Leid, das über uns kam mitgetragen, selbst mitempfunden, hat sich über jeden Erfolg Einzelner und des Ganzen, über jeden Fortschritt gefreut.“
Demonstrativ macht Wasserfall sich dafür stark, damit das Gesuch aus Deutschland, Verbrecher aus der Heimat zu verbannen und nach Deutsch-Südwestafrika zu deportieren, verworfen wird. Detailliert publiziert er am 8. Dezember 1898 seine Meinung dazu.
Wasserfalls Anteil an menschlichem und materiellem Glück ist karg bemessen, Frau und Kind sind ihm versagt. Freude und Genugtuung findet er in seiner geistigen Arbeit. Die Zukunft Südwestafrikas wird seine Braut, der er sein ganzes Herz verschreibt. Seine Arbeit widmet er ohne Pause und Erholung der Zeitung. Das Blatt ist beliebt – nicht nur in Deutsch-Südwestafrika und weil es anfangs das einzige ist –, es schafft den Weg in 35 Städte Europas.
„Ein Mann, dessen reines Herz begeistert für die Sache des Schutzgebietes schlug, der mit allen Fasern dieses treuen Herzens an unserem schönen Lande hing, dessen Augen mit inniger Freude dem Wachstum unseres wirtschaftlichen Werdens folgte“, fällt der Erschöpfung zum Opfer. Wasserfall stirbt am 21. April 1908 in Pinneberg in Schleswig-Holstein mit knapp 50 Jahren.
Als Sohn des Garnisons- und Verwaltungs-Oberinspektors Emil August Wasserfall und seiner Gattin Johanna Dorothea Körner erblickt Georg am 18. November 1858 das Licht der Welt. Kaum hat er das Abitur in der Tasche, bestimmt die Suche nach dem für ihn idealen Zustand des sozialen Miteinanders seinen Lebensweg. 1894 reift in dem 36-jährigen Juristen auf einer Erholungsreise der Entschluss, nach Deutsch-Südwestafrika auszuwandern. „Es fehlt dem jungen Land eine Zeitung, die ein Mittel sein kann, das Interesse für das Schutzgebiet in der Heimat zu erwecken und zu erhalten“, so sein Anlass. Hierfür will er seine ganze Kraft einsetzen. Die Tätigkeit als Anwalt soll ihm einstweilen die Mittel liefern, seinem Zeitungsunternehmen über die ersten Jahre ohne nennenswerte Einnahmen hinwegzuhelfen.
Am 12. Oktober 1898 erscheint in Windhuk die erste Ausgabe des „Windhuker Anzeigers“. Mühselig setzt er Wort für Wort mit der Hand. Im Gegensatz zu den offiziellen Amtsblättern will der Rechtsanwalt unabhängig vom Regierungseinfluss berichten. Dafür siedelt er im Jahr 1901 nach Swakopmund um. „Das Gefühl, dort in Windhuk in nächster Nähe des Gouverneurs nicht ganz unbeeinflusst, nicht ganz mit dem nötigen Nachdruck schreiben zu können, hatte ihn vertrieben“, rechtfertigt der Verfasser des Nachrufs den Umzug an die Küste. Frisch, fromm, fröhlich, frei und ungebunden kann er sich nun in seinem neuen Blatt „Deutsch-Südwestafrikanische Zeitung“ auslassen. Neben Informationen, politischer Orientierung und Unterhaltung deckt der Redakteur die wichtigsten kommunikativen Funktionen ab. Freilich bringt er auch ungekürzt stenografische Berichte aus dem Reichstag, aber hauptsächlich verbringt er seine Zeit damit, dem Leser seine Meinung aufzubürden – oft gespickt mit wohlformulierten, bündigen Seufzern und Klagen. Der Justizrat (ihm wird der Titel 1905 verliehen) bezieht eine klare Stellung zu bestimmten Themen, seine Berichterstattung ist meinungsgefärbt. So beeinflusst er die politische Urteilsbildung sowie die gesellschaftliche Kommunikation seiner Abonnenten.
Hier konnte er freier für das eintreten, was er nach reiflicher Erwägung als notwendig für die Entwicklung des Landes erkannte, konnte gegen irrige Anschauungen seine geläuterte Erfahrung geltend machen.“ Sorgfältig gewählte Worte im Nachruf. „Dass er manchmal oft anderer Ansicht war als die Regierung und dies in stets sachlicher Form zum Ausdruck brachte, weiß jeder der die Zeitung während der Jahre 1902 bis 1907 gelesen hat. Ebenso wie auch jeder, auch der loyalste Südwestafrikaner weiß, wie oft ein offenes Wort not tat.“
Vom gegenwärtigen Standpunkt aus gesehen kommen deshalb einige seiner Artikel nicht ganz „politisch korrekt“ herüber. Manch einer sieht seine Äußerungen heute als Angriff auf eine Norm an. Damals einfach akzeptiert oder schlichtweg unerkannt, mögen derzeit die Leser seine Wiedergaben ernster Begebenheiten als seltsam komisch empfinden, vielleicht schmunzelnd den Kopf schütteln und gewisse Texte sogar als negatives Schwadronieren mit viel zu wenig Rücksichtnahme ansehen.
So berichtet Justizrat Wasserfall am 5. Juli 1905 in seiner Zeitung von einem recht kuriosen Fall: „Vor acht Tagen wurde vor dem Bezirksgericht Swakopmund eine Anklage wegen Majestätsbeleidigung verhandelt. Ein von auswärts hierher gekommener Arbeiter hatte in der Trunkenheit auf der Straße vor dem Hotel ‚Zum Fürsten Bismarck‘ sich in unflätigen Schimpfereien ergangen. Dabei nannte er auch die Person des Kaisers. Zeuge des trunkenen Gebarens des Mannes war ein Hauptmann, der gerade im Hotel ‚Zum Fürsten Bismarck‘ saß. Als die Äußerung über den Kaiser fiel, befahl er einem Schwarzen, einen Schambock zu nehmen und den Mann damit zu schlagen. Dies geschah: Auf den ergangenen Befehl wurde auf offener Straße, bei hellem Tage, der Weiße durch den Schwarzen mit dem Schambock gehörig durchgeprügelt. Und dies, während wir in einem Rassenkriege stehen. Was soll man dazu sagen?!“ (Ende seiner Kurzmitteilung)
Wasserfall schließt seinen Bericht mit einer Frage, die wohl wegen des Auftretens des Hauptmanns, der einem Einheimischen kurz die Macht überlassen hatte, zum Nachdenken anregen soll. Objektivität klingt anders. Das Gemeine daran ist nämlich aus heutiger Sicht der Hochmut dieser Zeit. „Warum hat sich der Hauptmann nicht selbst die Hände schmutzig gemacht?“
Da lobe man den Swakopmunder Bürgermeister Jörg Henrichsen (von 1981 bis 1992 im Amt). Er war sich nicht zu schade und schlug einst selbst mal kräftig zu. Aber das ist eine andere Geschichte und wird gesondert erzählt.
Wasserfalls Richtschnur: Nur der Sache zu dienen. „So hat er schwere Jahre hindurch, während der Lehrjahre des Landes, der Aufstandsjahre als wahrhaft getreuer Ekkehart (der Schwertstarke) unseres Schutzgebietes auf der Warte gestanden, hat sich gesorgt und gehärmt, hat jedes Leid, das über uns kam mitgetragen, selbst mitempfunden, hat sich über jeden Erfolg Einzelner und des Ganzen, über jeden Fortschritt gefreut.“
Demonstrativ macht Wasserfall sich dafür stark, damit das Gesuch aus Deutschland, Verbrecher aus der Heimat zu verbannen und nach Deutsch-Südwestafrika zu deportieren, verworfen wird. Detailliert publiziert er am 8. Dezember 1898 seine Meinung dazu.
Wasserfalls Anteil an menschlichem und materiellem Glück ist karg bemessen, Frau und Kind sind ihm versagt. Freude und Genugtuung findet er in seiner geistigen Arbeit. Die Zukunft Südwestafrikas wird seine Braut, der er sein ganzes Herz verschreibt. Seine Arbeit widmet er ohne Pause und Erholung der Zeitung. Das Blatt ist beliebt – nicht nur in Deutsch-Südwestafrika und weil es anfangs das einzige ist –, es schafft den Weg in 35 Städte Europas.
„Ein Mann, dessen reines Herz begeistert für die Sache des Schutzgebietes schlug, der mit allen Fasern dieses treuen Herzens an unserem schönen Lande hing, dessen Augen mit inniger Freude dem Wachstum unseres wirtschaftlichen Werdens folgte“, fällt der Erschöpfung zum Opfer. Wasserfall stirbt am 21. April 1908 in Pinneberg in Schleswig-Holstein mit knapp 50 Jahren.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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