Wunsch nach BIG: Die Mühen der Ebene haben begonnen
Mitte der 2000er Jahre war die internationale Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen auch in Namibia angekommen. Die Vereinte Evangelische Mission (VEM) hatte ein deutsches Pastorenehepaar entsandt, das aber nicht im üblichen Sinne missionieren, sondern für die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens – in Namibia Basic Income Grant (BIG) genannt – werben sollte.
Nachdem bloßes Anpreisen der armutsreduzierenden Wirkung eines BIG und Darlegungen über seine Finanzierbarkeit bei der Regierung und der breiten Öffentlichkeit wenig Eindruck gemacht hatten, nahmen die deutschen Projektpromotoren und ihre namibischen Kollegen ein „Pilotprojekt“ in Angriff. Ab Januar 2008 wurde an die etwa 1000 Einwohner des Ortes Otjivero/Omitara zwei Jahre lang ein BIG von 100 Namibia-Dollar pro Monat ausgezahlt. Die entstehenden Kosten wurden von der VEM sowie von Brot für die Welt aufgebracht.
Letztes Geld aufgebraucht
Nach Auslaufen der ersten Phase ermöglichten Anhänger eines Grundeinkommens in Deutschland durch Spenden eine Verlängerung der BIG-Auszahlung. Allerdings war der monatliche Betrag geringer (80 N$) und konnte nicht regelmäßig ausgezahlt werden. Schließlich mussten die Zahlungen für fast ein Jahr ganz eingestellt werden – bis die norditalienische Waldenserkirche eine zeitlich begrenzte Weiterzahlung ermöglichte, die im April 2015 endete.
Ziel des Projekts war es zu zeigen, dass stammtischartige Befürchtungen (in der Art von: „hoffentlich versaufen sie das BIG nicht“ – wie man damals sogar aus der deutschen Botschaft hören konnte) unbegründet sind und ein BIG ganz im Gegenteil die Menschen aktiviert und motiviert. Genau dieses Ergebnis legten die Projektpromotoren in ihrer Evaluierung des Pilotprojekts vor: Der (nicht ganz kostenfreie) Schulbesuch stieg an, die örtliche Gesundheitsstation, ebenfalls nicht ganz unentgeltlich, wurde vermehrt aufgesucht, die Unterernährung von Kindern und mangelbedingter Kleinwuchs waren deutlich rückläufig, es wurden auch kleine Geschäfte eröffnet, so dass ein wirtschaftliches Wachstum von enormen 12% pro Jahr einsetzte.
Die Entwicklung in Otjivero wurde in deutschen Medien teils enthusiastisch gefeiert, so z.B. vom Spiegel, von ARD und ZDF. Aber einige Medien haben auch nüchtern und abwägend berichtet, darunter auch die taz, GEO und brand eins.
Mangel an Transparenz
Eine nüchterne Beurteilung war mehr als berechtigt, denn die präsentierten Ergebnisse litten an einigen Schönheitsfehlern: Die Evaluierung war von den Projektpromotoren selbst vorgenommen worden, Einblick in die gesammelten Daten wurde Externen verwehrt, die genannten Ergebnisse wurden nach nur einem Jahr, teils schon nach nur einem halben Jahr festgestellt, Nachfolge-Evaluierungen gab und gibt es nicht, manche Ergebnisse sind medizinisch, andere ökonomisch wenig plausibel, Wissenschaftler der Universität von Namibia oder von unabhängigen Wirtschaftsforschungsinstituten wurden nicht einbezogen.
Außerdem hatten sich die Projektpromotoren mit der Behauptung, dass das angestoßene Wachstum in Otjivero selbsttragend sei, etwas weit aus dem Fenster gelehnt – wie sich später zeigte. Denn nach den längeren Pausen in der Auszahlung mussten die meisten der gegründeten kleinen Geschäfte bald aufgeben.
Die schnell vorgelegten Ergebnisse dienten dann dem erneuten Werben für ein landesweites Grundeinkommen. Aber die Regierung zeigte sich noch immer wenig beeindruckt. Der damalige Präsident, der Ministerpräsident und der Staatssekretär des Sozialministeriums sprachen sich offen gegen ein BIG aus – wobei die Argumente nicht immer weit entfernt waren von dem Niveau des oben erwähnten Diktums aus der deutschen Botschaft. Immerhin wollte die Regierung die von den Projektpromotoren angewandte Methode und die von ihnen berichteten Ergebnisse von einer unabhängigen Kommission überprüfen lassen. Aber eine Einsicht in die gesammelten Projektdaten durch die Kommission ohne Beteiligung der BIG-Promotoren kam für Letztere nicht in Frage. So wurde aus der Überprüfung nichts.
Die breite Öffentlichkeit in Namibia – wie sie sich in Leserbriefen der Tages- und Wochenpresse zeigte – sprach sich zwar für verstärkte Unterstützung der Armen aus, aber nicht in Form eines BIG.
Nur ein ranghoher Politiker, der damalige Wirtschaftsminister Hage Geingob, hatte sich schon 2008 zugunsten eines landesweiten BIG ausgesprochen und sich damit gegen die Auffassung seines Präsidenten und seines Ministerpräsidenten gestellt. Nun ist er im November letzten Jahres zum Präsidenten Namibias gewählt worden und hat im März 2015 sein Amt offiziell angetreten. Gibt es nun Fortschritte beim BIG?
Eine sofortige Einführung eines BIG wäre wohl zu schön gewesen, um wahr sein zu können. Aber immerhin hat der neue Präsident einen wichtigen Akzent gesetzt. Er hat ein Ministerium für Armutsbekämpfung und Sozialfürsorge geschaffen und einen der profiliertesten namibischen Befürworter eines BIG, den emeritierten Bischof der namibischen evangelischen Kirche, Zephania Kameeta, als Minister berufen. Die Benennung des Portefeuilles zeigt, dass die Aufgabe dieses Ministeriums breit angelegt ist und sich nicht auf die Einführung eines BIG beschränkt.
Ein „Minister für BIG“?
Auch Bischof Kameeta sieht sich offenbar nicht – oder nicht nur – als „Minister für BIG“. Darauf deuten seine ersten Stellungnahmen hin: Armutsbekämpfung sei eine Querschnittsaufgabe, die praktisch alle Ministerien betreffe; pragmatische und effektive Lösungen der Armutsfrage zu finden, sei nach wie vor eine Herausforderung; eine besondere Bedeutung für die Armutsbekämpfung habe die – seit Jahren nur zäh voran kommende – Landreform; für die Armutsbekämpfung in den ländlichen Gegenden seien auch Ausbildung und eine bessere Infrastruktur erforderlich; die bestehende, steuerfinanzierte Rente ab 60 Jahren sei mit 1000 N$ pro Monat unzureichend; das schon seit 2013 verfolgte Projekt einer Tafel mit Suppenküche (in Windhoek) soll nun bis zum kommenden September realisiert sein. Nur in einem einzigen Interview hat Minister Kameeta bisher explizit das BIG überhaupt erwähnt und gesagt, dass dessen Einführung dringend sei.
Als Elder Church Statesman, der Kameeta damals war, hatte er die Forderung an die Regierung, das BIG einzuführen, noch leicht aussprechen können. Jetzt trägt Kameeta aber Verantwortung. In Bezug auf das BIG wird er sich nun mit den erhofften –oder befürchteten– Verhaltensänderungen von BIG-Empfängern sowie mit der Finanzierbarkeit eines BIG beschäftigen müssen.
Was BIG die Nation kostet
Die Projektpromotoren hatten seinerzeit behauptet, dass die Finanzierbarkeit eines BIG in Namibia kein Problem sei, da das BIG nur 2,2 bis 3% des Sozialprodukts erfordere. Aber wie Berechnungen von Ökonomen zeigen, müssten die Steuereinnahmen des Staates um stattliche 16% gesteigert werden, um ein BIG zu ermöglichen.
Dass der Schaffung des neuen Ministeriums auch neue und zusätzliche armutsbekämpfende Taten folgen werden, scheint sehr realistisch. Minister Kameeta hat ja bereits verschiedene wichtige Felder der Armutsbekämpfung genannt. Es ist sogar auch möglich, dass in Namibia eine regelmäßige Bargeldzahlung an arme und kinderreiche Familien eingeführt werden wird. Denn damit würde die Regierung nur dem Vorbild mittlerweile vieler anderer Entwicklungsländer folgen.
Allerdings sind diese Zahlungen meist an Verhaltensauflagen gebunden (z.B. regelmäßiger Schulbesuch, Besuch der Gesundheitsstation, Impfungen). Derartige bedingte und auf arme Familien beschränkte Bargeldzahlungen entsprechen zwar nicht der reinen Lehre des Bedingungslosen allgemeinen Grundeinkommens – aber sie wären eher finanzierbar, dürften in der Öffentlichkeit weitgehend akzeptiert werden und würden jedenfalls die Armut gezielt mindern.
Für die BIG-Promotoren und Minister Kameeta haben nach den Höhen der reinen Lehre nun die Mühen der Ebene begonnen.
Dr. Rigmar Osterkamp, München
Der Autor hat zwischen 2007 und 2011 an der Universität von Namibia Ökonomie gelehrt und dabei das damalige Grundeinkommenexperiment kritisch begleitet. Er ist Herausgeber des Buches „Auf dem Prüfstand: Ein bedingungsloses Grundeinkommen für Deutschland?“ (erscheint im Juli bei Nomos).
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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