Zankapfel Robbenschlagen: Viele Emotionen, wenig Fakten
Zunächst präsentierte Robbenschützer und Aktivist Pat Dickens eine 17-minütige Videobotschaft einer spirituellen Lehrerin und Philanthropin aus dem mittleren Osten namens Chin Hai. Diese Dame - mit dem Titel "Höchste Meisterin" - sei, wie Dickens meinte, gleichzusetzen mit dem Dalai Lama. Zugleich sei sie die spirituelle Führerin der Sekte "Supreme Master Ching Hai International Association" (SMCHIA), welche sowohl eine Kette von streng vegetarischen Imbissen und fleischfreien Restaurants betreibt, als auch eine Schmuck- und Kleidungskollektion auf den Markt bringt - alles im Lebensstil des extravaganten Veganers. Auf der offiziellen SMCHIA-Website (www.godsdirectcontact.org) erklärt diese Glaubensgemeinschaft genauer ihre Ideologie.
Diese "Höchste Meisterin" erklärt, wie wichtig das friedliche Zusammenleben zwischen Mensch und Tier ist. Dabei informiert sie, dass speziell Robben einen viel höheren "Liebesquotienten" (LQ) - also ein viel stärkeres Empfinden für Liebe - besitzen als Menschen. So besitze die Kappelzrobbe einen LQ von bis zu 300 Prozent, während die "meisten Menschen" sich mit schlappen 90 Prozent durchs Leben schlagen würden. Mit Argumenten wie diesen und ständigem Erinnern an die natürliche Balance und die Rolle jedes Wesens im Lebenskreislauf appelliert die Sektenführerin an ein Ende des Robbenschlagens im Sonnenland Namibia.
Mangel an Fakten
Nach dieser "besonderen Botschaft", wie Dickens den Videoclip beschrieb, folgte eine eineinhalb stündige Präsentation "mehrerer Fakten und Statistiken sowie der Geschichte" über das Robbenschlagen, das Leben der Tiere und die Bedrohung durch den Menschen. Geografisch beginnend an der südafrikanischen Ostküste, legte Dickens die angeblich "erschreckende Wahrheit" über diese Spezies offen dar.
Der Robbenaktivist erklärte, dass die Kappelzrobbe eigentlich auf küstennahen Inseln beheimatet ist - schroffe Küstenstreifen sowie klaffende Meeresfelsen seien als Lebensraum total ungeeignet. Jahrzehntelang habe der Mensch die Robben von den Inseln vertrieben und verbannt, weil man meinte, sie würden die Insulaner belästigen und den Lebensraum der Seevögel bedrohen. Seal Alert entgegnete, dass Robben sehr wohl mit Vögeln friedlich zusammenleben leben könnten und dass die ersten Kolonialherren dies in ihren Beobachtungen aufgezeichnet hätten. Experten streiten dies nicht ab, meinen allerdings, Robben würden tatsächlich Vögel von Inseln verdrängen und so den Lebensraum bedrohen, schlicht und allein aufgrund des Größenunterschieds der Tierarten. Doch diese Bedrohung sei erst durch das Eingreifen des Menschen gekommen, da es vorher ein "natürliches Arrangement" zwischen den Säugetieren und Seevögeln gegeben habe.
Pat Dickens von Seal Alert zählte einzelne Inseln an der Küste Südafrikas auf und verglich deren aktuelle Populationszahlen mit alten Statistiken - alle aus amtlicher Quelle. Zwar nutzte er einige dieser Daten für seine Argumentation, zweifelte andererseits aber auch an staatlichen Angaben. "Früher wurden auf 26 Inseln Südafrikas 700000 Robbenjungen geboren. Heute werden auf den verbleibenden zehn von Robben bewohnten Inseln nur 36000 Tiere geboren", so Dickens, der von einem "Speziesrückgang" von 95 Prozent spricht. Die "starke Einschränkung des Lebensraums" zwinge die Spezies dazu, sich immer weiter im Norden anzusiedeln - also in Namibia.
Bedrohte Spezies?
Nach knapp einer Stunde kam der Seal-Alert-Aktivist auf Namibia zu sprechen. "Der Gründer von Seal Alert, Francois Hugo, ist im Jahr 2007 über die namibische Küste geflogen und hat sich ein Bild von den Robbenkolonien gemacht", so Dickens. Dabei sei der Organisation aufgefallen, dass die Kolonien viel kleiner ausgesehen hätten als vom namibischen Staat behauptet. Zusammenfassend meinte Dickens, Seal Alert habe festgestellt, dass dort, wo kein Robbenschlagen stattfindet, "die Tiere auf den Inseln ausgestorben oder deren Anzahl rückläufig sind". Ebenso habe die Organisation keinen Beweis für ein Populationswachstum gefunden, wogegen der namibische Staat von stabilen Robbenkolonien spricht. "Nur die Orte, an denen wo Robben geschlagen werden, zeigen eine Populationsexplosion", behauptete Dickens, und: "Drei Wochen nach Beginn des Robbenschlagens, haben wir keinen Beweis für die riesigen (und vom Schlagen betroffenen) Kolonien gefunden." Der namibische Staat behauptet, im Jahr 1972 habe es hier eine Kolonie von knapp 18000 Tieren gegeben - laut Angaben des Fischereiministeriums habe man 2006 am Kreuzkap 65000 Tiere gezählt.
Die Hypothese von Seal Alert lautet, dass der "namibische Umgang" mit dieser Spezies nicht nachhaltig und der Fortbestand der Art bedroht sei. Einerseits habe die Kappelzrobbe massiv an Lebensraum verloren, weswegen die Zahl Neugeborener stets rückläufig sei. Gleichzeitig warnt er vor einer Populationsexplosion: Denn laut Angaben von Seal Alert dürfen in Namibias der Quote zufolge 85000 Jungtiere und 6000 Bullen umgebracht werden. Dabei würde man gezielt auch männliche Jungtiere töten, da die Genitalien der Bullen als Aphrodisiakum auf dem asiatischen Markt äußerst gefragt seien. "So hat man dann einen unnatürlichen Überschuss an Weibchen. Ein Bulle kann sich mit bis zu 30 Weibchen paaren", erklärt Dickens. Dies führe zu Überpopulation und somit sei das Argument haltlos, dass das Robbenschlagen zur Populationskontrolle diene und die Fischbestände schütze. "Was versucht eure Regierung hier?", fragt Seal Alert rhetorisch.
Ein anderes Bild
Aus Expertengesprächen erhielt die AZ ein anderes Bild. Demnach sei die Behauptung, man forciere mit dem Schlagen der Robben eine explosionsartige Überpopulation, absoluter Irrsinn. Ebenso sei der Fortbestand dieser Spezies nicht akut gefährdet. Mit fachmännischem Wissen wurde der AZ erklärt, dass diese Säugetiere keineswegs die Fischbestände bedrohen - auch dann nicht, wenn das jährliche Robbenschlagen gestoppt wird. Als Beispiel wurde Südafrika genannt, wo der Robbenknüppel im Jahr 1990 endgültig niedergelegt wurde. Experten meinen, dass die südafrikanischen Fischbestände so gesund seien wie nie zuvor und dass die Robbenpopulation gerade mal um zehn Prozent gewachsen sei. Hinzu kommt, dass die Kappelzrobbe nicht als bedrohte Tierart gelistet ist. Nicht umsonst führt die Weltnaturschutzunion (IUCN) diese Spezies als "ungefährdet" (least concern).
Doch genau um die Nachhaltigkeit des Robbenschlagens und um die Prioritäten wird gestritten. Immer wieder werden Emotionen vor Fakten geschoben oder finanzielle Gründe und Wirtschaftsaspekte überbewertet. Es ist schwer, sich ein Bild zu machen, da viele Statistiken ungenau oder nicht vorhanden sind.
Genau mit dieser Problematik setzt sich derzeit der namibische Ombudsmann John Walters auseinander. "Das Fischereiministerium hat im Dezember den neuesten Zensus der Robben durchgeführt und ich warte diese Unterlagen ab", erklärte der Advokat der AZ. Er habe sich mehrere Kolonien vor Ort angeschaut, den Seal-Alert-Chef Francois Hugo in Südafrika besucht und sich dort ein Bild der Lage verschafft sowie mit diversen Experten gesprochen. Auch habe er sich den "Verarbeitungsbetrieb" für Robben in Henties Bay angeschaut und sich mit Arbeitern sowie Robbenjägern ausgetauscht. Gegen Mitte dieses Jahres will Walters der Öffentlichkeit einen unabhängigen Bericht zur Situation präsentieren. Eventuell kann man sich dann - mit fundierten Argumenten und ohne destruktive Emotionen - ein objektives Bild von der Situation verschaffen.
Diese "Höchste Meisterin" erklärt, wie wichtig das friedliche Zusammenleben zwischen Mensch und Tier ist. Dabei informiert sie, dass speziell Robben einen viel höheren "Liebesquotienten" (LQ) - also ein viel stärkeres Empfinden für Liebe - besitzen als Menschen. So besitze die Kappelzrobbe einen LQ von bis zu 300 Prozent, während die "meisten Menschen" sich mit schlappen 90 Prozent durchs Leben schlagen würden. Mit Argumenten wie diesen und ständigem Erinnern an die natürliche Balance und die Rolle jedes Wesens im Lebenskreislauf appelliert die Sektenführerin an ein Ende des Robbenschlagens im Sonnenland Namibia.
Mangel an Fakten
Nach dieser "besonderen Botschaft", wie Dickens den Videoclip beschrieb, folgte eine eineinhalb stündige Präsentation "mehrerer Fakten und Statistiken sowie der Geschichte" über das Robbenschlagen, das Leben der Tiere und die Bedrohung durch den Menschen. Geografisch beginnend an der südafrikanischen Ostküste, legte Dickens die angeblich "erschreckende Wahrheit" über diese Spezies offen dar.
Der Robbenaktivist erklärte, dass die Kappelzrobbe eigentlich auf küstennahen Inseln beheimatet ist - schroffe Küstenstreifen sowie klaffende Meeresfelsen seien als Lebensraum total ungeeignet. Jahrzehntelang habe der Mensch die Robben von den Inseln vertrieben und verbannt, weil man meinte, sie würden die Insulaner belästigen und den Lebensraum der Seevögel bedrohen. Seal Alert entgegnete, dass Robben sehr wohl mit Vögeln friedlich zusammenleben leben könnten und dass die ersten Kolonialherren dies in ihren Beobachtungen aufgezeichnet hätten. Experten streiten dies nicht ab, meinen allerdings, Robben würden tatsächlich Vögel von Inseln verdrängen und so den Lebensraum bedrohen, schlicht und allein aufgrund des Größenunterschieds der Tierarten. Doch diese Bedrohung sei erst durch das Eingreifen des Menschen gekommen, da es vorher ein "natürliches Arrangement" zwischen den Säugetieren und Seevögeln gegeben habe.
Pat Dickens von Seal Alert zählte einzelne Inseln an der Küste Südafrikas auf und verglich deren aktuelle Populationszahlen mit alten Statistiken - alle aus amtlicher Quelle. Zwar nutzte er einige dieser Daten für seine Argumentation, zweifelte andererseits aber auch an staatlichen Angaben. "Früher wurden auf 26 Inseln Südafrikas 700000 Robbenjungen geboren. Heute werden auf den verbleibenden zehn von Robben bewohnten Inseln nur 36000 Tiere geboren", so Dickens, der von einem "Speziesrückgang" von 95 Prozent spricht. Die "starke Einschränkung des Lebensraums" zwinge die Spezies dazu, sich immer weiter im Norden anzusiedeln - also in Namibia.
Bedrohte Spezies?
Nach knapp einer Stunde kam der Seal-Alert-Aktivist auf Namibia zu sprechen. "Der Gründer von Seal Alert, Francois Hugo, ist im Jahr 2007 über die namibische Küste geflogen und hat sich ein Bild von den Robbenkolonien gemacht", so Dickens. Dabei sei der Organisation aufgefallen, dass die Kolonien viel kleiner ausgesehen hätten als vom namibischen Staat behauptet. Zusammenfassend meinte Dickens, Seal Alert habe festgestellt, dass dort, wo kein Robbenschlagen stattfindet, "die Tiere auf den Inseln ausgestorben oder deren Anzahl rückläufig sind". Ebenso habe die Organisation keinen Beweis für ein Populationswachstum gefunden, wogegen der namibische Staat von stabilen Robbenkolonien spricht. "Nur die Orte, an denen wo Robben geschlagen werden, zeigen eine Populationsexplosion", behauptete Dickens, und: "Drei Wochen nach Beginn des Robbenschlagens, haben wir keinen Beweis für die riesigen (und vom Schlagen betroffenen) Kolonien gefunden." Der namibische Staat behauptet, im Jahr 1972 habe es hier eine Kolonie von knapp 18000 Tieren gegeben - laut Angaben des Fischereiministeriums habe man 2006 am Kreuzkap 65000 Tiere gezählt.
Die Hypothese von Seal Alert lautet, dass der "namibische Umgang" mit dieser Spezies nicht nachhaltig und der Fortbestand der Art bedroht sei. Einerseits habe die Kappelzrobbe massiv an Lebensraum verloren, weswegen die Zahl Neugeborener stets rückläufig sei. Gleichzeitig warnt er vor einer Populationsexplosion: Denn laut Angaben von Seal Alert dürfen in Namibias der Quote zufolge 85000 Jungtiere und 6000 Bullen umgebracht werden. Dabei würde man gezielt auch männliche Jungtiere töten, da die Genitalien der Bullen als Aphrodisiakum auf dem asiatischen Markt äußerst gefragt seien. "So hat man dann einen unnatürlichen Überschuss an Weibchen. Ein Bulle kann sich mit bis zu 30 Weibchen paaren", erklärt Dickens. Dies führe zu Überpopulation und somit sei das Argument haltlos, dass das Robbenschlagen zur Populationskontrolle diene und die Fischbestände schütze. "Was versucht eure Regierung hier?", fragt Seal Alert rhetorisch.
Ein anderes Bild
Aus Expertengesprächen erhielt die AZ ein anderes Bild. Demnach sei die Behauptung, man forciere mit dem Schlagen der Robben eine explosionsartige Überpopulation, absoluter Irrsinn. Ebenso sei der Fortbestand dieser Spezies nicht akut gefährdet. Mit fachmännischem Wissen wurde der AZ erklärt, dass diese Säugetiere keineswegs die Fischbestände bedrohen - auch dann nicht, wenn das jährliche Robbenschlagen gestoppt wird. Als Beispiel wurde Südafrika genannt, wo der Robbenknüppel im Jahr 1990 endgültig niedergelegt wurde. Experten meinen, dass die südafrikanischen Fischbestände so gesund seien wie nie zuvor und dass die Robbenpopulation gerade mal um zehn Prozent gewachsen sei. Hinzu kommt, dass die Kappelzrobbe nicht als bedrohte Tierart gelistet ist. Nicht umsonst führt die Weltnaturschutzunion (IUCN) diese Spezies als "ungefährdet" (least concern).
Doch genau um die Nachhaltigkeit des Robbenschlagens und um die Prioritäten wird gestritten. Immer wieder werden Emotionen vor Fakten geschoben oder finanzielle Gründe und Wirtschaftsaspekte überbewertet. Es ist schwer, sich ein Bild zu machen, da viele Statistiken ungenau oder nicht vorhanden sind.
Genau mit dieser Problematik setzt sich derzeit der namibische Ombudsmann John Walters auseinander. "Das Fischereiministerium hat im Dezember den neuesten Zensus der Robben durchgeführt und ich warte diese Unterlagen ab", erklärte der Advokat der AZ. Er habe sich mehrere Kolonien vor Ort angeschaut, den Seal-Alert-Chef Francois Hugo in Südafrika besucht und sich dort ein Bild der Lage verschafft sowie mit diversen Experten gesprochen. Auch habe er sich den "Verarbeitungsbetrieb" für Robben in Henties Bay angeschaut und sich mit Arbeitern sowie Robbenjägern ausgetauscht. Gegen Mitte dieses Jahres will Walters der Öffentlichkeit einen unabhängigen Bericht zur Situation präsentieren. Eventuell kann man sich dann - mit fundierten Argumenten und ohne destruktive Emotionen - ein objektives Bild von der Situation verschaffen.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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