Zeitreise in die Hölle
Die Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“
Man hat es zwar irgendwie von der ersten Minute an erwartet. Aber dann ist es am Ende doch herzzerreißend anzusehen. Wie Christiane in das Auto steigt. Ihren Körper verkauft. Das Geld für Heroin ausgibt. Die Droge im Löffel erhitzt. Und schließlich in einer öffentlichen Klokabine bewusstlos am schmierigen Porzellan herab gleitet. Das hier ist der Tiefpunkt. „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ geht am 19. Februar bei Amazon Prime Video als Serie an den Start.
Mit dem Projekt wagt sich der Streamingriese an das vermutlich kaputteste Denkmal der deutschen Kulturgeschichte. Die Erinnerungen der Fixerin Christiane F. von 1978 gelten als das erfolgreichste deutsche Sachbuch der Nachkriegszeit. Mehr als 4 Millionen Exemplare in 15 Sprachen sollen weltweit verkauft worden sein. Die Verfilmung zog 1981 über 4,7 Millionen Zuschauer ins Kino, die vor allem Elend, Absturz und ein abschreckendes West-Berlin zu sehen bekamen. 40 Jahre später hat die erste Garde deutscher Produzenten und Drehbuchschreiber nun ein Vorhaben umgesetzt, das man leicht als Remake missverstehen kann.
Denn die Serie schöpft viel tiefer in der finsteren Quelle als Buch und Kinofilm. Die Produzenten Oliver Berben („Er ist wieder da“) und Sophie von Uslar („Tannbach“) werteten mit der federführenden Autorin Annette Hess („Weissensee“) unzählige antike Audiokassetten aus, die die „Stern“-Journalisten“ Kai Hermann und Horst Rieck 1978 mit der 16-Jährigen und ihren Freunden über Wochen aufgenommen hatten. Die Öffentlichkeit kennt davon nur einen Bruchteil. Nebenstränge aus den Tapes fließen jetzt in der Serie stärker ein, die Familie gerät ins Blickfeld. Es wurde aber auch Fiktionales hinzugefügt.
„Es geht darum, wie junge Menschen versuchen, den Platz in der Welt zu finden“, sagt Berben. „In einer rauen und brutalen Welt.“ Die Serie holt also deutlich weiter aus und begleitet die West-Berliner Jugendclique Stück für Stück auf einem langen Weg bergab. Acht Folgen mit sieben Stunden dichter Handlung lassen dafür sehr viel Raum - gemessen daran kommt einem Uli Edels Film von 1981 wie im Zeitraffer-Tempo erzählt vor.
Am Anfang ist da ein junges Mädchen auf der Suche nach dem Glück. Am Ende steht eine abgeklärte Aussteigerin, die am bürgerlichen Abendbrottisch harte Sätze über Freier raushaut wie: „Ich hatte mal elf verschiedene an einem Tag. Das ist eine Fußballmannschaft.“
Die 22 Jahre alte Jana McKinnon ist die brillante Hauptdarstellerin in dem Epos. Bedenken, mit ihrem ersten großen Auftritt einen Stempel für ihr Leben aufgesetzt zu bekommen, hatte sie nicht: „So eine Rolle sagt man nicht ab, wenn man sie kriegt. Es ging außerdem wahnsinnig schnell. Ich hatte am Freitag von dem Casting erfahren, hatte Samstag die Texte, bin Montagfrüh hingegangen und hatte Dienstag die Rolle.“ Daher sei sie damals kaum zum Nachdenken gekommen. „Aber ich hätte mich auch nicht anders entschieden, wenn ich die Zeit gehabt hätte.“
McKinnon stand schon als Kind vor der Kamera, wirkte aber zumeist in Studenten- und Kurzfilmen mit. „Ich habe überhaupt erst mit 15, 16 erfahren, dass man Geld bekommt als Schauspieler. Ich wusste gar nicht, dass das ein Beruf ist“, sagt sie und grinst. Den „New Faces Award“ hat sie schon voriges Jahr bekommen. Dennoch dürfte sie den meisten immer noch unbekannt sein. Das gehört zum Konzept der Serie. Man habe „ungesehene Gesichter“ gesucht, „die frisch und neu sind“, sagt Philip Pratt, bei Amazon für deutsche Serien zuständig.
Dabei bewies die Crew eine sichere Hand. Die sechs Titelhelden - allen voran Jana McKinnon als Christiane und Lena Urzendowsky als ihre beste Freundin Stella - spielen mitreißend und authentisch eine Höllenfahrt zwischen Disco-Ekstase und Entzugsdelirium. Autorin Annette Hess achtete beim Drehbuch darauf, dass die Teenies sich im Sprachjargon um 1980 („astrein“) bewegen, ohne dass es peinlich wird.
Für die Zeitreise ins alte West-Berlin baute man in Prag riesige Kulissen auf, wie Hess sagt. „Beim Bahnhof Zoo war uns wichtig, weil er so ikonografisch war, nah am Original zu bleiben.“ Die andere wichtige Location, die Disco „Sound“, sei hingegen recht frei gestaltet. Das 70er-Jahre-Ambiente ist stimmig, wird aber nicht immer bis ins Letzte ernstgenommen. Es gibt auch Fantasymomente - etwa wenn die Teenager im seligen Rausch über einer tanzenden Menge schweben.
Die Köpfe hinter dem Mammutprojekt (Regie: Philipp Kadelbach) sind bereits gegen mögliche Vorwürfe gewappnet, die Serie würde Drogen verherrlichen. Oliver Berben betont etwa, dass die anfängliche Euphorie in Absturz und Tod mündet. „Natürlich gibt es Sequenzen drin, die eine euphorisierende und glückliche Wirkung von Drogen zeigen. Und natürlich gibt es Szenen, die das komplette Elend, den Tod, den Niedergang zeigen. Nur wenn beides zusammenkommt, kriegen Sie ein überzeugendes Bild davon gemacht.“ Auch Hess beschreibt das Spannungsfeld der Gefühle, die die Serie erzeugen will, als bewusst widersprüchlich. „Wenn man so einen Stoff anfasst, darf man nicht im Mittelmaß herumeiern. Denn dann braucht man es nicht zu machen.“
Von Christof Bock, dpa
HANDOUT - 28.01.2021, ---: Die Schauspielerinnen Jana McKinnon (l-r, als Christiane), Lea Drinda (Babsi) und Lena Urzendowsky (Stella) in einer Szene aus Folge 5 der neuen Serie «Wir Kinder vom Bahnhof Zoo» (undatiert). Die Neuverfilmung des Kinohits von 1981 startet am 19. Februar bei Amazon Prime Video. Foto: Mike Kraus/Constantin Television/Amazon Prime/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Serie und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++
Mit dem Projekt wagt sich der Streamingriese an das vermutlich kaputteste Denkmal der deutschen Kulturgeschichte. Die Erinnerungen der Fixerin Christiane F. von 1978 gelten als das erfolgreichste deutsche Sachbuch der Nachkriegszeit. Mehr als 4 Millionen Exemplare in 15 Sprachen sollen weltweit verkauft worden sein. Die Verfilmung zog 1981 über 4,7 Millionen Zuschauer ins Kino, die vor allem Elend, Absturz und ein abschreckendes West-Berlin zu sehen bekamen. 40 Jahre später hat die erste Garde deutscher Produzenten und Drehbuchschreiber nun ein Vorhaben umgesetzt, das man leicht als Remake missverstehen kann.
Denn die Serie schöpft viel tiefer in der finsteren Quelle als Buch und Kinofilm. Die Produzenten Oliver Berben („Er ist wieder da“) und Sophie von Uslar („Tannbach“) werteten mit der federführenden Autorin Annette Hess („Weissensee“) unzählige antike Audiokassetten aus, die die „Stern“-Journalisten“ Kai Hermann und Horst Rieck 1978 mit der 16-Jährigen und ihren Freunden über Wochen aufgenommen hatten. Die Öffentlichkeit kennt davon nur einen Bruchteil. Nebenstränge aus den Tapes fließen jetzt in der Serie stärker ein, die Familie gerät ins Blickfeld. Es wurde aber auch Fiktionales hinzugefügt.
„Es geht darum, wie junge Menschen versuchen, den Platz in der Welt zu finden“, sagt Berben. „In einer rauen und brutalen Welt.“ Die Serie holt also deutlich weiter aus und begleitet die West-Berliner Jugendclique Stück für Stück auf einem langen Weg bergab. Acht Folgen mit sieben Stunden dichter Handlung lassen dafür sehr viel Raum - gemessen daran kommt einem Uli Edels Film von 1981 wie im Zeitraffer-Tempo erzählt vor.
Am Anfang ist da ein junges Mädchen auf der Suche nach dem Glück. Am Ende steht eine abgeklärte Aussteigerin, die am bürgerlichen Abendbrottisch harte Sätze über Freier raushaut wie: „Ich hatte mal elf verschiedene an einem Tag. Das ist eine Fußballmannschaft.“
Die 22 Jahre alte Jana McKinnon ist die brillante Hauptdarstellerin in dem Epos. Bedenken, mit ihrem ersten großen Auftritt einen Stempel für ihr Leben aufgesetzt zu bekommen, hatte sie nicht: „So eine Rolle sagt man nicht ab, wenn man sie kriegt. Es ging außerdem wahnsinnig schnell. Ich hatte am Freitag von dem Casting erfahren, hatte Samstag die Texte, bin Montagfrüh hingegangen und hatte Dienstag die Rolle.“ Daher sei sie damals kaum zum Nachdenken gekommen. „Aber ich hätte mich auch nicht anders entschieden, wenn ich die Zeit gehabt hätte.“
McKinnon stand schon als Kind vor der Kamera, wirkte aber zumeist in Studenten- und Kurzfilmen mit. „Ich habe überhaupt erst mit 15, 16 erfahren, dass man Geld bekommt als Schauspieler. Ich wusste gar nicht, dass das ein Beruf ist“, sagt sie und grinst. Den „New Faces Award“ hat sie schon voriges Jahr bekommen. Dennoch dürfte sie den meisten immer noch unbekannt sein. Das gehört zum Konzept der Serie. Man habe „ungesehene Gesichter“ gesucht, „die frisch und neu sind“, sagt Philip Pratt, bei Amazon für deutsche Serien zuständig.
Dabei bewies die Crew eine sichere Hand. Die sechs Titelhelden - allen voran Jana McKinnon als Christiane und Lena Urzendowsky als ihre beste Freundin Stella - spielen mitreißend und authentisch eine Höllenfahrt zwischen Disco-Ekstase und Entzugsdelirium. Autorin Annette Hess achtete beim Drehbuch darauf, dass die Teenies sich im Sprachjargon um 1980 („astrein“) bewegen, ohne dass es peinlich wird.
Für die Zeitreise ins alte West-Berlin baute man in Prag riesige Kulissen auf, wie Hess sagt. „Beim Bahnhof Zoo war uns wichtig, weil er so ikonografisch war, nah am Original zu bleiben.“ Die andere wichtige Location, die Disco „Sound“, sei hingegen recht frei gestaltet. Das 70er-Jahre-Ambiente ist stimmig, wird aber nicht immer bis ins Letzte ernstgenommen. Es gibt auch Fantasymomente - etwa wenn die Teenager im seligen Rausch über einer tanzenden Menge schweben.
Die Köpfe hinter dem Mammutprojekt (Regie: Philipp Kadelbach) sind bereits gegen mögliche Vorwürfe gewappnet, die Serie würde Drogen verherrlichen. Oliver Berben betont etwa, dass die anfängliche Euphorie in Absturz und Tod mündet. „Natürlich gibt es Sequenzen drin, die eine euphorisierende und glückliche Wirkung von Drogen zeigen. Und natürlich gibt es Szenen, die das komplette Elend, den Tod, den Niedergang zeigen. Nur wenn beides zusammenkommt, kriegen Sie ein überzeugendes Bild davon gemacht.“ Auch Hess beschreibt das Spannungsfeld der Gefühle, die die Serie erzeugen will, als bewusst widersprüchlich. „Wenn man so einen Stoff anfasst, darf man nicht im Mittelmaß herumeiern. Denn dann braucht man es nicht zu machen.“
Von Christof Bock, dpa
HANDOUT - 28.01.2021, ---: Die Schauspielerinnen Jana McKinnon (l-r, als Christiane), Lea Drinda (Babsi) und Lena Urzendowsky (Stella) in einer Szene aus Folge 5 der neuen Serie «Wir Kinder vom Bahnhof Zoo» (undatiert). Die Neuverfilmung des Kinohits von 1981 startet am 19. Februar bei Amazon Prime Video. Foto: Mike Kraus/Constantin Television/Amazon Prime/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Serie und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++
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