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Zu Gast bei den Himba im Nordwesten Namibias

Namibia, beeindruckt den Reisenden nicht nur durch seine herbe Schönheit, seine unermessliche Weite, seine grandiose Landschaft, seine Kargheit und Wüsten, seine endemischen Pflanzen und seine atemberaubende Tierwelt, sondern auch durch seine Menschen. Diese sind allerdings ziemlich rar gesät, denn Namibia hat nur knapp 2 Millionen Einwohner, verteilt auf einer Fläche von 823145 km2. Obwohl Namibia zu den am dünnsten besiedelten Regionen im südlich der Sahara gelegenen Afrika zählt, zeichnet es sich durch eine große Vielfalt seiner Bevölkerung aus. Eine der hier ansässigen ethnischen Gruppen sind die halbnomadisch lebenden Himba, eines der letzten traditionellen Hirtenvölker auf dem afrikanischen Kontinent, das zur Sprachfamilie der Bantu gehört. Der Besuch eines Himba-Dorfes im Kaokoveld, dem nordwestlichsten Teil Namibias, zählt zweifellos zu den Höhepunkten einer Namibia-Reise. Auf dem Weg zu den HimbaWir fahren weiter Richtung Norden durch die Kunene-Region, queren zunächst das Damaraland. Verstreut tauchen links und rechts der Straße einzelne, aus Wellblechhütten bestehende Gehöfte und Siedlungen auf. Anderen Autos oder Bussen begegnet man in diesen scheinbar unendlichen Weiten kaum, dafür ab und zu einem mit zwei, drei oder gar vier Eseln bespannten Karren - dem hier üblichen Transportmittel.

Nachdem wir die Grenze zum Kaokoveld passiert haben, sehen wir die ersten Rinder der Ovahimba, kurz auch Himba genannt. Sie weiden zu beiden Seiten der Straße, und manchmal gelüstet es sie auch, gemächlichen Schritts von einer Straßenseite zur anderen zu gehen, was durchaus ein etwas abruptes Bremsmanöver zur Folge haben kann.
Schließlich erreichen wir Opuwo, Verwaltungssitz und Hauptstadt der Region Kunene. Wobei man mit Hauptstadt nicht etwa eine Großstadt, nicht einmal eine Stadt nach unserem Verständnis assoziieren sollte, sondern lediglich eine größere Ortschaft, und zwar die einzige weit und breit. An der direkt neben der Hauptstraße gelegenen Tankstelle wird der Tank unseres Busses aufgefüllt, dann fahren wir durch den Ort, bis ein Schild am Straßenrand nach links weist: Opuwo Country Hotel. Etwa drei Kilometer quält sich der Bus nun einen Berg hinauf. Nachdem wir ein eisernes Tor passiert haben, erblicken wir die großzügige Anlage der Lodge. Auf der Terrasse hat man nicht nur einen fantastischen Blick über die hügelige Landschaft, es gibt auch einen Schwimmbad, dessen Wasser das kräftige Blau des Himmels ebenso intensiv widerspiegelt.

Als ich mich nach dem reichhaltigen Abendbüffet in meinen kleinen Bungalow zurückgezogen habe, wird mir zum wiederholten Mal bewusst, dass der Luxus der Gästelodges nicht annähernd dem Wohn- und Lebensstandard der einheimischen Bevölkerung entspricht. Allerdings, so schreibe ich in mein Reisetagebuch, wird auch das Lebensgefühl der einheimischen Bevölkerung ein völlig anderes sein. Ob wir westlichen Wohlstandsmenschen dabei immer die Nase vorn haben?
Ich lasse mir noch einmal durch den Kopf gehen, was unser driver-guide im Bus über die Himba erzählt hat. Ihre Zahl im heutigen Namibia wird auf ca. 5000 geschätzt. Darüber hinaus leben noch etwa 3000 in Angola. Ihren hauptsächlichen Besitz stellen ihre Rinder dar, daneben auch Ziegen und Schafe. Was den bevorstehenden Besuch eines Himba-Dorfes besonders reizvoll macht, ist die Tatsache, dass sich die Himba ihre ursprüngliche Lebensweise bisher weitestgehend bewahrt haben - im Unterschied zu den mit ihnen verwandten christianisierten Herero. Das liegt wahrscheinlich in erster Linie an der Abgeschiedenheit des unwirtlichen und unerschlossenen Kaokovelds. Allerdings haben sich nach Auskunft unseres driver-guides inzwischen auch einige Ovambo - die mit knapp 50% der Gesamtbevölkerung größte Volksgruppe Namibias - im Kaokoveld angesiedelt, die die Himba allmählich weiter zurückdrängen, "ohne dass die es merken - bis es zu spät ist." Bedroht wird die Kultur der Himba darüber hinaus durch Tourismus und Verkehrserschließung. So gibt es zahlreiche düstere Prognosen darüber, wie lange die Himba ihre traditionelle Lebensform noch aufrechterhalten können, ohne das Schicksal zahlreicher anderer indigener Völker zu teilen, nämlich den Absturz in Lethargie, Alkohol und soziale Desintegration, wobei die Schätzungen nur in der Zahl der Jahre differieren. Deshalb freue ich mich besonders darauf, morgen die Gelegenheit zu haben, dieses Volk in seiner Ursprünglichkeit kennen zu lernen, notiere ich abschließend, bevor ich mich zum Einschlafen in mein bequemes Bett lege, nicht ohne vorher die Vorhänge meines Moskitonetzes sorgfältig zugezogen zu haben.
Am nächsten Tag herrscht in unserer Gruppe schon beim Frühstück gespannte Erwartung. Nachdem wir uns in ein großes allradgetriebenes Geländefahrzeug gequetscht haben, fahren wir den Hügel hinunter, biegen auf der Hauptstraße nach rechts ab und lassen Opuwo hinter uns, um in das Innere des Kaokoveldes vorzudringen. Auf holpriger Piste werden wir kräftig durchgeschüttelt. Nach längerer Fahrt sehen wir vereinzelt junge Himbaburschen, die ihre Rinder durch den Busch begleiten. Einige reiten auf Eseln. Hin und wieder erblicken wir die kreisrunden Hütten eines Himba-Dorfes. Sie erinnern mich in ihrer Form frappierend an die Heuhaufen der gleichnamigen Gemäldeserie von Claude Monet. Menschen können wir nicht ausmachen, dafür liegen die Dörfer zu weit von der Piste entfernt. Irgendwann biegen wir nach links ab und fahren scheinbar ziellos durch die Wildnis.
Erstes KennenlernenPlötzlich sehen wir linker Hand ein Himba-Dorf liegen. Es ist von einem Holzzaun aus Zweigen und Ästen, zwischen denen Draht gespannt ist, umgeben. Neben den offenen Eingängen liegt dorniges Gestrüpp, mit dem sie verschlossen werden können. Als der Geländewagen anhält, tauchen wie aus dem Nichts rechts von unserem Fahrzeug mehrere Himbakinder aus dem Busch auf. Einige Schafe laufen blökend neben ihnen her. Neugierig und erwartungsvoll schauen die Kinder uns an.
Der einheimische Dolmetscher, der uns auf unserem heutigen Ausflug begleitet, geht auf den Eingang zu und spricht mit dem Chef, dem Dorfältesten. Dieser muss nämlich seine Zustimmung zum Besuch des Dorfes geben. Ist der Dorfälteste nicht anwesend, fällt dieses Entscheidungsrecht seiner Erstfrau zu. Spätestens jetzt wird deutlich, dass wir es nicht mit einem "Schau-" oder "Museumsdorf" zu tun haben, sondern mit einem authentischen Himba-Dorf. Diese Tatsache macht unseren Besuch auf der einen Seite natürlich erst reizvoll, gibt uns andererseits aber auch das Gefühl, in die Privatsphäre dieser Dorfgemeinschaft einzudringen. Wird die Genehmigung zum Besuch verweigert, muss man unverrichteter Dinge von dannen ziehen und sein Glück im nächsten Dorf versuchen.

Wir erhalten die Besuchserlaubnis und werden eingelassen. Das Dorf besteht aus einem Rinderkral und einer überschaubaren Anzahl von Holzhütten (Pontoks), die teilweise mit einer Mischung aus Lehm und Kuhdung verputzt sind. Zwischen dem Rinderkral und der Haupthütte glimmt kaum sichtbar das heilige Feuer. Dieses symbolisiert die dauernde Verbindung zwischen den lebenden und toten Familienmitgliedern und darf nicht erlöschen. Außerdem werden hier Initiationsriten und sonstige Zeremonialhandlungen durchgeführt. Der Rinderkral ist leer, weil die Tiere draußen "im Veld" sind. Im Dorf halten sich ganz überwiegend Kinder, Jugendliche und Frauen auf - die Männer sind auf der Suche nach Weidegründen und Wasser oder als Hirten mit ihren Herden unterwegs.

Die Himba werden manchmal das ockerrote Volk Namibias genannt, weil die Frauen ihren Körper jeden Tag mit einer aus dem Pulver zerriebenen Roteisensteins, Butterfett und verschiedenen Kräutern hergestellten Creme einreiben - Schönheitsideal sowie Sonnen- und Moskitoschutz in einem. Die Jungen und Männer verzichten auf den Zusatz von Ocker. Aus

diesem Grund ist die Hautfarbe des Dorfoberhauptes von tiefem Schwarz. Bekleidet ist er mit einem Lendenschurz, seine Füße stecken in Sandalen aus alten Autoreifen. Auf dem Kopf hat er eine bunte, flache Wollmütze. Um den Hals trägt er außer einem breiten Halsring zwei Ketten. An der längeren Kette baumelt ein Amulett, das wie die Spitzen zweier Hörner aussieht. An seinen Handgelenken sind bunte Armbänder. Er sitzt auf einem klapprigen, mit Segeltuch bespannten Rohrstuhl, seine Enkel stehen hinter ihm, der jüngste hockt auf seinem rechten Knie.

Zunächst begrüßen wir das Dorfoberhaupt mit einem freundlichen moro moro, also "guten Tag". Dann beantworten wir mit Hilfe unseres Dolmetschers seine Fragen. So möchte er wissen, woher wir kommen. Dabei ist für ihn nur die Himmelsrichtung von Interesse, da er keine wirkliche Vorstellung davon hat, wo Deutschland genau liegt. Kein Wunder, denn Landkarten oder Fernsehgeräte gibt es hier nicht. Wie viele Ehefrauen die Männer unserer Gruppe haben, möchte er als nächstes von uns erfahren. Unsere Antwort ist für ihn eine einzige Enttäuschung, denn etwas mehr als eine Ehefrau darf es bei den Himba schon sein - er selber hat fünf. Nachdem der Wissensdurst des Dorfoberhauptes gestillt ist, beantwortet er auch unsere Fragen. So erklärt er, der Ursprung der Tradition, den Himba im Alter von etwa zehn Jahren die vier unteren Schneidezähne auszuschlagen, liege darin begründet, dass zur Zeit des Sklavenhandels nach Amerika die Himba infolge ihrer fehlenden Zähne keine makellose "Ware" mehr darstellten und somit für die Sklavenhändler wertlos geworden seien. Auf diese Weise hätten sie sich der Versklavung entziehen können. Im Anschluss an diesen "Small Talk" mit dem Dorfoberhaupt dürfen wir uns im Dorf frei bewegen und auch fotografieren.
Traditionelle Leben der HimbaDer Haartracht der Himba kommt eine besondere Bedeutung zu. Unser Dolmetscher bittet mehrere Kinder und Jugendliche, sich nebeneinander zu stellen, um uns anhand der Frisuren das Alter und den gesellschaftlichen Status erläutern zu können. So haben Jungen zuerst einen Tonsurhaarschnitt und anschließend einen eingeflochtenen Zopf. Junge Mädchen tragen ihre Haare zunächst in zwei kräftigen, nach vorn fallenden Zöpfen, danach werden diese Zöpfe in Strähnen geteilt, die wie ein Vorhang über die Augen hängen. Ab dem heiratsfähigen Alter werden die Zöpfchen am Hinterkopf getragen. Sie werden ebenfalls mit der ockerroten Paste eingerieben. Den Kopf der verheirateten Frau ziert zudem eine Fellhaube, erembe. Ein junger, unverheirateter Mann, fügt unser Dolmetscher mangels "Modells" ergänzend hinzu, habe auf seinem ansonsten kahlgeschorenen Kopf lediglich einen Haarkamm, der zu einem einzelnen Zopf geflochten und ab dem heiratsfähigen Alter in zwei Zöpfe aufgeteilt werde. Verheiratete Männer tragen eine turbanähnliche Kopfbedeckung, ondumbo genannt, unter der das Haar weiterwächst.

Außerhalb des Dorfzauns liegt eine junge Frau auf einer Decke, eine zweite kniet vor ihr und flicht ihr Zöpfe. Ein perückenartiges großes Haarteil liegt neben den beiden Frauen. So erfahren wir, dass die Zöpfe der Himba-Frauen mit den Haaren der kahlgeschorenen Brüder verlängert werden.
Der Schmuck der Himba-Frauen kann bis zu 12 kg wiegen und besteht aus einem Eisenperlengürtel, Gamaschen aus Eisenperlen um beide Unterschenkel, dreieckigen, ebenfalls mit Eisenperlen verzierten Lederstreifen, die über Rücken und Brust hängen, sowie Halsketten, Ringen und Armbändern. Bei den Armreifen ist Leder oder Messing zum Teil durch Abschnitte von Kunststoffrohren als Werkstoff ersetzt worden. Ein ganz besonderes Schmuckstück, das innerhalb der Familie von Generation zu Generation weitervererbt wird, ist die ohumba, das Gehäuse der Ngoma-Schnecke. Die Kleidung der Himba-Frauen besteht aus einem aus Ziegen oder Kalbsfell hergestellten Lendenschurz. Manche Frauen haben außerdem um die Hüften Wolldecken geschlungen.

Auf Nachfragen erfahren wir von unserem Dolmetscher, dass es eine mobile Zeltschule gibt, die aber nur von etwa einem Drittel der Himba-Kinder besucht wird, und das auch nicht täglich. Außerdem gebe es eine mobile Gesundheitsvorsorge, wodurch die Kindersterblichkeit gesunken sei. Von einer ärztlichen Grundversorgung in unserem Sinne ist das allerdings meilenweit entfernt.
Obwohl nicht alle Kinder völlig gesund wirken, einige haben entzündete Augen und leicht aufgeblähte Bäuche, geht es ruhig und friedlich zu. Kein Geschrei oder Weinen, es herrscht eine fast heitere Gelassenheit bei diesem Naturvolk. Selbst die Hunde machen einen äußerst friedfertigen Eindruck und behelligen uns weder durch Knurren, Bellen noch sonstige Drohgebärden. Beliebt sind unsere Trinkwasserflaschen, die bei den Kindern rasch ihre Abnehmer gefunden haben.

Eine ältere Frau sitzt vor ihrer Hütte und schwenkt einen großen Flaschenkürbis, der mit Seilen oben am Eingang befestigt ist, um Butter herzustellen. Die Grundnahrung der Himba besteht nämlich aus saurer Milch und Buttermilch sowie Mais- und Hirsebrei. Auch für die tägliche Hautpflege wird Butter benötigt. Obwohl sich ein Hirtenvolk wie die Himba eine sinnvolle Existenz ohne Rinder nicht vorstellen kann, sind diese Tiere eher Statussymbol; höchstens bei wichtigen zeremoniellen Anlässen wird ein Rind geschlachtet.

In einer anderen Hütte, deren Boden mit Decken und Fellen ausgelegt ist und die nur das Notwendigste enthält, wie Küchengeräte und Kalebassen, demonstriert uns eine junge Frau die Hygienemaßnahmen der Himba. Dies geschieht nicht etwa durch Waschen; dafür ist Wasser in dieser Gegend viel zu selten und zu kostbar. Stattdessen werden in einem kleinen Tongefäß Kräuter, Gräser und Baumrinde verbrannt, wobei sich ein starker, aromatisch riechender Rauch entwickelt. Das Gefäß wird nun unter die Achselhöhlen und den Intimbereich gehalten, so dass der Rauch als Deodorant wirken kann.

Die meisten Frauen sitzen in Gruppen zusammen. Unter ihnen befindet sich auch eine Herero-Frau, die in ihrer bunten Tracht der Viktorianischen Zeit, die von den Ehefrauen der ersten Missionare nach Namibia gebracht wurde, wie ein etwas bizarrer Farbtupfer inmitten der halbnackten Himba-Frauen wirkt. Wahrscheinlich hat sie hier eingeheiratet. Viele jüngere Frauen haben ihre kleinen Kinder bei sich und geben den Säuglingen die Brust. Einige Frauen stellen Schmuck her, einige bereiten in schwarzen Metalltöpfen, die auf Füßen über einem kleinen Feuer stehen, Essen zu. Eine ältere Frau und mehrere Kinder - ich vermute, dass es sich um ihre Enkel handelt - sitzen vor einer Hütte bei der Mahlzeit. Woraus diese besteht, kann ich nicht erkennen. Auch einer der friedlichen Dorfhunde hat sich dazu gesellt.

Eine junge Frau nähert sich von außerhalb dem Dorf, bleibt am Zaun stehen und unterhält sich eine Weile mit einem jungen Mann. Dann dreht sie sich um und geht zurück. Sie trägt die Fellhaube, das Zeichen der verheirateten Frau. Ich versuche, die Szene zu deuten: Hat sie kurz Kontakt zu ihrem Mann aufgenommen, zu ihrem Bruder? Oder war es gar ein schnelles, heimliches Treffen mit ihrem Liebhaber? Jedenfalls hat es für mich etwas Melancholisches an sich, sie so allein in den Weiten des Kaokovelds verschwinden zu sehen.
Ich beobachte eine andere junge Frau, die, ein Stöckchen in der rechten Hand haltend, einen Esel in das Dorf führt, der an beiden Seiten große Behälter mit grünblättrigen Pflanzen trägt. Vor einer Hütte lässt sie das Tier Halt machen, lädt die Behälter ab und schüttet die Pflanzen auf einen Haufen.

An einem Baum lehnt ein junger Mann, er scheint gerade erst gekommen zu sein. Er ist westlich gekleidet, einschließlich einer Adidas-Schirmmütze und einem T-Shirt mit der Aufschrift Cape Town 2003. In der linken Hand hält er einen Hirtenstab. In eine Astgabel des Baumes hat er ein - Transistor-Kofferradio gestellt. So ganz unberührt von Modernität ist auch dieses Dorf offensichtlich nicht mehr.
Einige Jungen spielen mit einem Drahtauto. Drei andere Kinder kommen aus einer kleinen Hütte, bleiben unschlüssig im Eingang stehen, sehen die Besucher ihres Dorfes mit großen Augen an, wagen sich dann ganz nach draußen, um aber nach wenigen Augenblicken wieder in der Hütte zu verschwinden. Kurz darauf wiederholt sich dieses Schauspiel erneut.

Mit einem Mal herrscht leichter Aufruhr. Mehrere Kinder und Jugendliche laufen hinter einem Huhn her, das rennend und flatternd zu flüchten sucht. Vergebens. In eine Ecke getrieben wird es eingefangen. Ein junger Mann packt das flügelschlagende Federvieh....
Ich wende mich ab; manches muss man sich nicht unbedingt bis zum bitteren Ende ansehen, denke ich mir.
Basar und TanzvorführungenMittlerweile hat sich das Dorf immer mehr gefüllt; unser Besuch scheint sich herumgesprochen zu haben. Die Frauen setzen sich in einen großen Kreis und breiten den Inhalt ihrer Beutel vor sich auf Decken aus. Sie haben im Laufe der Zeit gelernt, Schmuck nicht nur für den eigenen Bedarf, sondern auch für Touristen herzustellen, und so herrscht bald eine lebhafte Basaratmosphäre. Fast alle aus unserer Gruppe stehen innerhalb des Kreises und versuchen sich einen Überblick über das Warenangebot zu verschaffen, was allerdings kein leichtes Unterfangen darstellt. Schaut man sich nämlich einen Ring, eine Kette, ein Halsband, ein Himbapüppchen, eine kleine Kalebasse oder ein sonstiges Stück genauer an, recken sich einem sofort die Arme der Nachbarinnen entgegen, um ihre entsprechenden Artikel ebenfalls anzupreisen. Als besonders "riskant" erweist sich mein Interesse für Armbänder und Armreifen. Denn kaum habe ich ein Armband näher in Augenschein genommen, ist mein Handgelenk unter einer Vielzahl von Armbändern verschwunden, die mir in Windeseile von allen Seiten übergestreift werden. Sich von dieser schmucken Pracht zu befreien, ist eine durchaus langwierige Angelegenheit. Am Ende der Verkaufsveranstaltung haben wir alle nicht nur das eine oder andere Teil käuflich erworben, sondern als Zusatzgeschenk auch rote Farbe an Händen, Armen, Beinen und Kleidung, denn spurlos geht der direkte Kontakt mit Himba-Frauen nicht an einem vorbei.

Abschließend erwartet uns noch eine Tanzvorführung. Die Frauen stehen in einem Halbkreis und bewegen sich unter rhythmischem Klatschen und Rufen. Jeweils eine von ihnen tanzt aus der Reihe und bewegt sich als Solistin einige Sekunden vor den anderen in Pirouetten, stampft mit den Füßen, macht hüpfende Bewegungen und rudert mit ausgestreckten Armen, bevor sie sich wieder einreiht und eine andere Frau ihren Part übernimmt. Auch die Herero-Frau betätigt sich solistisch. Selbst das Dorfoberhaupt lässt sich dazu hinreißen, in den Kreis zu springen und eine kurze Tanzeinlage zu geben, zieht sich aber anschließend wieder an einen ruhigen Platz zurück. Etwas abseits haben auch die jungen Leute Aufstellung genommen und eine zweite Tanzbühne eröffnet. Hier machen sie den Frauen gekonnt Konkurrenz. Fasziniert wandern unsere Blicke zwischen den Frauen und der Dorfjugend hin und her.

Als das Tanzen beendet ist, zerstreuen sich die Frauen wieder. Die jungen Mütter schnallen sich ihre kleinen Kinder auf den Rücken, es herrscht Aufbruchstimmung. Auch für uns wird es nun Zeit zu gehen. Wir überreichen den Himba zum Abschied ein paar Säcke Maismehl und Zucker, dann klettern wir winkend in unseren Geländewagen. Ich habe gerade meinen Platz eingenommen, als aus dem Busch eine junge Himba-Dame auf das Fahrzeug zukommt, groß und schlank wie ein Fotomodell. Sie sieht den Fotoapparat in meiner Hand und bleibt tatsächlich stehen, lächelt in die Kamera und lässt mich eine Porträtaufnahme machen. Die Chance zu einem zweiten Bild von ihr erhalte ich allerdings nicht mehr, denn sie wendet sich ab und ist aus meinem Blickfeld verschwunden.
Respekt und Ehrfurcht vor einem VolkZurück in der Opuwo Country Lodge mache ich mir einige Aufzeichnungen über das Gesehene und Erlebte, die ich mit folgenden Sätzen beschließe: Selbstverständlich kann ein ungefähr zweistündiger Besuch eines Himba-Dorfes nicht dazu führen, dass man seine Bewohner wirklich kennen- und verstehen lernt; er kann aber - neben der Befriedigung touristischer Neugier - durchaus eines bewirken: Res-pekt und Ehrfurcht vor dieser im Wortsinn natürlichen Lebensweise. Diesen Respekt sollte man auch dadurch zum Ausdruck bringen, dass man bei den willkommenen Gastgeschenken auf die "Segnungen" unserer westlichen Zivilisation in Form von Alkohol verzichtet.
Der Nachmittag steht uns zur freien Verfügung. Die meisten nutzen die Gelegenheit, sich am Pool - manche auch im Pool - zu entspannen. Mich reizt das nicht; stattdessen mache ich mich zu Fuß auf den Weg den Berg hinunter und streife allein durch Opuwo. Ich schlendere zunächst über den Markt, wobei ich ein leichtes Unbehagen nicht völlig verdrängen kann. Dieser Markt ist nämlich kein Markt für Touristen, sondern für Einheimische. Dementsprechend bin ich der einzige Weiße weit und breit, nicht nur hier auf dem Markt, sondern im gesamten Ort. Aber gerade das macht den Reiz aus. Zwar ist man Tourist, möchte aber doch möglichst so tun, als sei man keiner, schreibe ich später in mein Tagebuch. Ist man als Tourist so etwas wie eine gespaltene Persönlichkeit?

Ich frage eine junge Frau hinter ihrem Stand, ob ich ein Foto von ihr machen dürfe. Sie erlaubt es, aber nur gegen Geld. Ich verzichte auf das Foto. Mit einer Gruppe Herero-Männer komme ich ins Gespräch, und plötzlich sind wir in der kolonialen Vergangenheit des ehemaligen Deutsch-Südwestafrika angelangt, dem Aufstand der Nama und Herero gegen die Besatzungsmacht und dem blutigen Gemetzel der deutschen "Schutztruppen" an den Herero, in dessen Folge etwa drei Viertel dieses Volkes sein Leben verloren hatte. Ich frage meine Gesprächspartner, ob sie noch immer Groll gegen die Deutschen hegen würden. Sie schütteln die Köpfe. Nein, sie hätten uns verziehen. Ich bin überwältigt von dieser Aussage, stellt sie doch ein Stück Völkerverständigung im Kleinen dar.

Ich verlasse den Markt und gehe die Hauptstraße entlang. Der Ort selbst macht aus der Nähe einen eher ungepflegten Eindruck. Ich bin jedoch beeindruckt von den Menschen. Herero-Frauen in ihren bunten Trachten prägen das Stadtbild ebenso wie traditionell gekleidete, also letztlich halbnackte, Himba-Frauen. Auch Himba-Männer in ihren Hirtentrachten sehe ich hier. Unter einem Baum rastet eine ganze Familie. Ihre Einkäufe tragen die Frauen zum Teil in Plastiktüten, zum Teil auf dem Kopf. In einer kleinen Getränkebar kaufe ich mir eine Dose Cola. Ein junges Himba-Mädchen kommt auf mich zu, möchte Geld von mir; angeblich hat sie Hunger.
Der Kontakt der Himba mit der westlichen Zivilisation in ihrer Ausprägung von Schänken und Diskotheken endet hier häufig in Alkoholismus. Dies ist wahrscheinlich der Preis, den ein Naturvolk auf der Schwelle zwischen Tradition und moderner Zivilisation zu zahlen hat.
Voller Eindrücke und Gedanken gehe ich schließlich zurück zur Lodge, in der wir heute ein zweites und letztes Mal übernachten werden. In seinem Pförtnerhäuschen am Eingang zum Gelände der Lodge sitzt Josua, ein Himba-Mann, ebenso westlich gekleidet wie Brigitte, die Himba-Frau aus dem Souvenir-Shop der Lodge. Diese beiden Himba scheinen bereits angekommen zu sein in der modernen Welt.

Norbert Wiegelmann,
Arnsberg, Deutschland

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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