Zu Unrecht und Schuld aus dem Hererokrieg
Nachdem ich die oben genannten Artikel gelesen habe, stellt sich mir als Berufsjuristen die Frage, ob man sich überhaupt noch mit dem Rechtsproblem eines möglichen Völkermordes an den Herero beschäftigen sollte, oder ob man die Geschichte nun Geschichte sein lässt?
Ich glaube, es ist unumgänglich, auch ohne Gerichtsverfahren, die seinerzeitigen Umstände aufzuklären. Es kann nicht hingenommen werden, dass der Völkermord an den Herero als historische Tatsache hingenommen wird, ohne die tatsächlichen Umstände aufgeklärt zu haben. In letzter Zeit haben insbesondere deutsche Politiker, (z.B. Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul), obwohl sie geschworen haben, das deutsche Volk vor Schaden zu bewahren, der Manifestierung eines Sachverhaltes Vorschub geleistet, der das deutsche Volk (im historischen Kontext mit dem Holocaust) zu notorischen Völkermördern abstempelt. In Stein gehauen - wie das Bremer Mahnmal - überdauert diese als Tatsache verkaufte Behauptung Generationen und niemand fragt mehr nach dem Wahrheitsgehalt. Üblicherweise muss der Kläger seine Behauptungen beweisen, hier hat sich jedoch, durch die ständige Wiederholung einer Behauptung, ein Bild manifestiert, das zu einer Beweislastumkehr geführt hat. Dies bedeutet aber auch, dass jeder Deutsche mit dem Makel herumlaufen muss, eigentlich ein Völkermörder zu sein, der zurzeit nur nicht die Möglichkeit hat, seine Passion auszuleben. Das Motto der Politik lautet offensichtlich: "Ist der Ruf erst ruiniert ... und auf einen Völkermord mehr oder weniger kommt es uns nicht an." Ich habe den Eindruck, in jedem amtsgerichtlichen Verfahren, bei dem es um einen Streitwert von 20 Euro geht, wird mehr Aufklärungsarbeit betrieben.
Leider haben sich die Juristen die Diskussion um einen möglichen Schadenersatz der Herero aus den Händen nehmen lassen. Gutmenschen wie Herr Peltzer, die meinen, das juristische Handwerk besser zu verstehen als die Juristen, beherrschen den "Meinungsstreit". Einer juristischen Diskussion kann nur mit juristischen Argumenten begegnet werden. Dass einem Einzelnen der Umgang mit dem juristischen Handwerkszeug nicht passt, mag sein. Das Gejammer darüber, wie die Juristen (hier Herr Dr. Ruppel) den streitigen Sachverhalt behandeln und nicht zu dem Ergebnis kommen, wie man es selbst gerne hätte, bringt den Streit einer Klärung nicht näher. Die Juristerei unterliegt eben Regeln.
Oft wird von den Gutmenschen aus der Haltung heraus agiert, die "armen", "minderbemittelten", "indigenen Völker Afrikas" rückwirkend vor den Kolonialmächten zu schützen. Dieses Handeln ist bequem, weil man sich nicht mit den aktuellen Völkermorden und den Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschäftigen muss, sich profilieren kann und auch nicht Gefahr läuft, einem lebenden Gegner gegenüberzustehen, der sich gegen erhobene Behauptungen zur Wehr setzt. Leider hat es Herr Dr. Ruppel in seinem Artikel vermieden, eine eindeutige Aussage zur Frage der Begründetheit der Klage zu treffen. Wie es unserer Berufsgruppe eigen ist, verstecken wir Juristen uns hinter Fragen der Zulässigkeit, Aktiv- und Passivlegitimation und der Verjährung, auch wenn wir eigentlich Position zur Rechtsfrage beziehen müssten. Diese Rechtsfrage lautet: Ist überhaupt eine Rechtsnorm denkbar, die den Anspruch der Kläger begründen könnte?
Es sei vorangestellt, dass ein solcher Anspruch zur Zeit der behaupteten Tat bestanden haben muss. Wenn von Schuld oder "Kolonialunrecht" (Dr. Ruppel) gesprochen wird, handelt es sich um juristische Begriffe, die im Zusammenhang mit der Klage der Herero auch nur juristisch gehandhabt werden dürfen. Das Wort "Schuld" beinhaltet das persönliche "Dafürkönnen" im Sinne von "an etwas Schuld sein" oder "schuldig" sein. Das heißt, es stellt sich jemand bewusst gegen das Recht, mit Wissen und Wollen. Er weiß, dass er mit Sanktionen zu rechnen hat. Das Wort "Schuld" bedeutet aber auch, "Jemandem etwas zu schulden", z.B. Geld. Die Quellen hierfür sind Verträge oder Gesetze.
Es ist mit unserem rechtsstaatlichen Verständnis in jedem Fall nicht vereinbar, Rechtsnormen zu schaffen, die ursprünglich rechtlich toleriertes Verhalten rückwirkend ins Unrecht setzen oder Forderungen begründen. Wenn Herr Dr. Ruppel von Kolonialunrecht spricht, muss er sich fragen lassen, wie dieser Begriff zu verstehen ist. Neben dem Wortteil "Kolonial" beinhaltet der von ihm verwendete Begriff auch die Bestandteile "un" und "Recht". Es geht also um ein Verhalten, das dem Recht widerspricht. Herr Dr. Ruppel lässt diesen Begriff unkommentiert und undefiniert, so dass sein Artikel den Eindruck macht, die Herero kämen nur aufgrund juristischer Spitzfindigkeiten und Winkelzüge nicht zu ihrem Recht.
Welche Rechtsnorm könnte also den Anspruch der Herero begründen? Unabhängig von der Frage der Rechtsnachfolge und der Verjährung sollte man zumindest prüfen, ob nicht damaliges deutsches Recht einen Anspruch begründen könnte. Durch die Kriegserklärung gegenüber dem Volk der Herero hat das Deutsche Reich den Kriegszustand hergestellt, so dass der Sachverhalt nach Kriegsrecht zu beurteilen ist. Eine deutsche Rechtsnorm, die unter den gegebenen Umständen dem Kriegsgegner einen Anspruch gewährte, ist nicht ersichtlich. Die damaligen Verträge mit den Herero wurden vertragsgemäß gekündigt und bieten deshalb auch keinen Rechtsanspruch.
Entgegen der vielfach verbreiteten Ansicht, die Kriegserklärung gegenüber den Herero war nur eine überbürokratische, rechtfertigende Formalie, weil es sich bei den Herero nur um einen Stamm hilfloser, friedliebender, nur mit Pfeil und Bogen bewaffneter Hirten handelte, der nicht die Qualität eines Kriegsgegners erfüllte, war die Kriegserklärung auch tatsächlich berechtigt. Die deutschen Truppen standen damals einem zahlenmäßig weit überlegenen Gegner gegenüber. Die Hererotruppen waren mit Handfeuerwaffen bewaffnet, die Kampfhandlungen waren sowohl strategisch, als auch taktisch koordiniert und der Ausgang der Gefechte war offen.
Die Kriegserklärung hat zur Folge, dass die streitigen Handlungen auch völkerrechtlich in diesem Kontext zu sehen sind. Die Frage lautet deshalb, ob es eine völkerrechtliche Norm gibt, die den Klägern einen Anspruch gegen die Bundesrepublik gewährt.
Das Völkerrecht ist eine in weiten Teilen politisch motivierte Rechtsmaterie. Man muss hier zwischen dem geschriebenen und dem ungeschrieben Recht unterscheiden. Das geschriebene Völkerrecht besteht weitgehend aus bi- und multilateralen Verträgen. Dies hat zur Folge, dass die Rechtsnormen nur zwischen den Vertragsparteien gelten. So gelten die Normen betreffend den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) nur zwischen den Staaten, die den dazugehörigen Vertrag unterschrieben und ratifiziert haben.
1904 gab es in dem Bereich des Schutzes von Soldaten und Zivilpersonen im Kriegsfall nur sehr wenig geschriebenes Völkerrecht. Im Wesentlichen beschränken sich die Quellen auf die Anlage zum zweiten Haager Abkommen von 1899 (Haager Landkriegsordnung), die - für den Kriegsfall - insbesondere den Umgang mit Militärpersonen und die Wahl der Kriegsmittel regelt, und die Genfer Konvention von 1864, die den Umgang mit "im Felddienst verwundeten Militärpersonen" behandelt. Der Haager Landkriegsordnung war das Deutsche Reich 1900 beigetreten. Die Vorschriften dieses Vertrages galten jedoch nur inter partes, also zwischen den Vertragsparteien. Der Vertrag regelt sogar explizit, dass die Vorschriften des Vertrages auch dann nicht gelten sollen, wenn zum Beispiel eine dritte Partei am Krieg teilnimmt, die nicht Vertragspartner ist. Ferner enthielt die 1904 gültige Fassung des Vertrages keine Regelung hinsichtlich der Kompensation von Schäden, die durch vertragswidriges Verhalten entstanden sind. Erst 1907 wurde ein entsprechender Passus aufgenommen.
Obwohl bereits in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts deutsche Staaten der Genfer Konvention von 1864 beigetreten waren, wurde das Deutsche Reich erst 1906 Vertragspartner. Man kann also feststellen, dass 1904 kein verbindliches schriftlich festgehaltenes Völkerrecht bestand, das den Anspruch der Herero begründen könnte.
Als weitere Quelle des Völkerrechts bietet sich das so genannte Völkergewohnheitsrecht an. Von Gewohnheitsrecht spricht man dann, wenn ein Verhalten von den Mitgliedern der sozialen Gemeinschaft (peers) als Recht oder Unrecht angesehen wird und dieses Verhalten einer gewissen Übung unterliegt, also das Verhalten regelmäßig praktiziert wird. Dieses Gewohnheitsrecht unterliegt dem Wandel, insbesondere durch soziale und kulturelle Veränderungen.
Man muss sich folglich die Frage stellen, ob die Grundsätze der Haager Landkriegsordnung und der Genfer Konvention Völkergewohnheitsrecht geworden sind, also auch für Nichtvertragsparteien gelten sollten. Erstmals 1946 wurde diese These von den Kriegsverbrechertribunalen in Nürnberg und Tokio vertreten. Ebenso kam zu dieser Zeit der höchst unbestimmte Rechtsbegriff des Verbrechens gegen die Menschlichkeit auf.
Da das Völkerrecht die Domäne der Diplomaten und Politiker ist, ist höchst fragwürdig, ob seinerzeit tatsächlich diesbezüglich von Völkergewohnheitsrecht auszugehen war. Gewohnheitsrecht bedeutet, dass die Regeln für Alle gelten. Bisher wurden entsprechende Entscheidungen aber immer aus einer gewissen Siegerposition gefällt. Das gilt nicht nur für die Kriegsverbrechertribunale nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern auch für das Jugoslawientribunal (ICTY).
Dass es 1904, zumindest unter den Kolonialmächten, einheitliche Auffassung und Übung war, sich an die Vorgaben der Haager Landkriegsordnung und der Genfer Konvention zu halten und Verstöße finanziell auszugleichen waren, kann mit Sicherheit verneint werden. Die Vernichtung großer Teile der burischen Bevölkerung in Südafrika durch die britischen Truppen, mag hier nur exemplarisch als Beispiel für das Verhalten der anderen Kolonialmächte angeführt sein.
Wohlwollend könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass sich die deutschen Truppen nach Afrika in einen fremden Rechtskreis begeben haben und sich deshalb die Völkerrechtslage nach dem örtlichen Recht bemisst. Man muss sich dazu fragen, welche Gepflogenheiten hatten die kriegführenden Parteien in Südwestafrika? Wäre das behauptete Verhalten unter den Kriegsregeln der südwestafrikanischen Völker rechtswidrig und würde der Bruch der Regeln zu einer finanziellen Kompensation führen?
Betrachtet man das überlieferte Verhalten der Hererotruppen, so war es üblich, keine Gefangenen zu nehmen. Verletzten Gegnern wurden Nasen und Hände abgeschnitten, bevor sie getötet wurden. Zivilisten wurden massakriert und deren Anwesen geplündert. Im Kampf verwendeten die Hereroschützen Dum-Dum-Geschosse, die nach der Haager Landkriegsordnung als deformierende Geschosse ausdrücklich verboten waren. Das Kriegsverhalten der Herero lässt sich nicht nur im Rahmen des Hererokrieges mit den deutschen Truppen bewerten, sondern auch anhand der zahlreichen Kämpfe mit den Nachbarvölkern (Nama, Damara und San). Man muss deshalb davon ausgehen, dass ein besonders humanitäres Verhalten gegenüber gegnerischen Truppen und Zivilpersonen im Kriegsfall nicht dem in Südwestafrika geltenden Kriegsgewohnheitsrecht entsprach. Es gab folglich auch kein Völkergewohnheitsrecht, das einen Anspruch der Herero begründen könnte.
Wenn man an diesem Punkt angekommen ist und feststeht, dass es keine Rechtsnorm gibt, die einen Rechtsanspruch der Herero begründen könnte, kann man sich an die eigentliche Arbeit machen. Durch die jahrelange Legendenbildung im Zusammenhang mit dem "Blaubuch" der Briten ist es zu einem kollektiven Geschichtsbewusstsein gekommen, das mit den tatsächlichen Gegebenheiten vermutlich im krassen Widerspruch steht. Auf der Basis gemeinsamer Geschichtserforschung sollten sich beide Völker gemeinsam auf den Weg machen, die Umstände zu klären, die zum Völkermordvorwurf geführt haben. Eine unabhängige Kommission könnte berufen werden, um den Sachverhalt aufzuklären.
Für den Fall, dass sich die Vorwürfe bewahrheiten sollten, ist zu überlegen, ob die Herero ohne eine Rechtspflicht der deutschen Bundesregierung in irgendeiner Weise besonders gefördert werden sollten. Dies wäre dann wieder die Aufgabe der Politiker und Kirchen. Sollten sich aber die Vorwürfe nicht bewahrheiten, muss dieses Ergebnis weltweit publiziert und in den Geschichtsbüchern eventuell falsche Darstellungen korrigiert werden, um das deutsche Volk vom Vorwurf des notorischen Völkermörders zu befreien.
Mario H. Seydel, Windhoek
Ich glaube, es ist unumgänglich, auch ohne Gerichtsverfahren, die seinerzeitigen Umstände aufzuklären. Es kann nicht hingenommen werden, dass der Völkermord an den Herero als historische Tatsache hingenommen wird, ohne die tatsächlichen Umstände aufgeklärt zu haben. In letzter Zeit haben insbesondere deutsche Politiker, (z.B. Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul), obwohl sie geschworen haben, das deutsche Volk vor Schaden zu bewahren, der Manifestierung eines Sachverhaltes Vorschub geleistet, der das deutsche Volk (im historischen Kontext mit dem Holocaust) zu notorischen Völkermördern abstempelt. In Stein gehauen - wie das Bremer Mahnmal - überdauert diese als Tatsache verkaufte Behauptung Generationen und niemand fragt mehr nach dem Wahrheitsgehalt. Üblicherweise muss der Kläger seine Behauptungen beweisen, hier hat sich jedoch, durch die ständige Wiederholung einer Behauptung, ein Bild manifestiert, das zu einer Beweislastumkehr geführt hat. Dies bedeutet aber auch, dass jeder Deutsche mit dem Makel herumlaufen muss, eigentlich ein Völkermörder zu sein, der zurzeit nur nicht die Möglichkeit hat, seine Passion auszuleben. Das Motto der Politik lautet offensichtlich: "Ist der Ruf erst ruiniert ... und auf einen Völkermord mehr oder weniger kommt es uns nicht an." Ich habe den Eindruck, in jedem amtsgerichtlichen Verfahren, bei dem es um einen Streitwert von 20 Euro geht, wird mehr Aufklärungsarbeit betrieben.
Leider haben sich die Juristen die Diskussion um einen möglichen Schadenersatz der Herero aus den Händen nehmen lassen. Gutmenschen wie Herr Peltzer, die meinen, das juristische Handwerk besser zu verstehen als die Juristen, beherrschen den "Meinungsstreit". Einer juristischen Diskussion kann nur mit juristischen Argumenten begegnet werden. Dass einem Einzelnen der Umgang mit dem juristischen Handwerkszeug nicht passt, mag sein. Das Gejammer darüber, wie die Juristen (hier Herr Dr. Ruppel) den streitigen Sachverhalt behandeln und nicht zu dem Ergebnis kommen, wie man es selbst gerne hätte, bringt den Streit einer Klärung nicht näher. Die Juristerei unterliegt eben Regeln.
Oft wird von den Gutmenschen aus der Haltung heraus agiert, die "armen", "minderbemittelten", "indigenen Völker Afrikas" rückwirkend vor den Kolonialmächten zu schützen. Dieses Handeln ist bequem, weil man sich nicht mit den aktuellen Völkermorden und den Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschäftigen muss, sich profilieren kann und auch nicht Gefahr läuft, einem lebenden Gegner gegenüberzustehen, der sich gegen erhobene Behauptungen zur Wehr setzt. Leider hat es Herr Dr. Ruppel in seinem Artikel vermieden, eine eindeutige Aussage zur Frage der Begründetheit der Klage zu treffen. Wie es unserer Berufsgruppe eigen ist, verstecken wir Juristen uns hinter Fragen der Zulässigkeit, Aktiv- und Passivlegitimation und der Verjährung, auch wenn wir eigentlich Position zur Rechtsfrage beziehen müssten. Diese Rechtsfrage lautet: Ist überhaupt eine Rechtsnorm denkbar, die den Anspruch der Kläger begründen könnte?
Es sei vorangestellt, dass ein solcher Anspruch zur Zeit der behaupteten Tat bestanden haben muss. Wenn von Schuld oder "Kolonialunrecht" (Dr. Ruppel) gesprochen wird, handelt es sich um juristische Begriffe, die im Zusammenhang mit der Klage der Herero auch nur juristisch gehandhabt werden dürfen. Das Wort "Schuld" beinhaltet das persönliche "Dafürkönnen" im Sinne von "an etwas Schuld sein" oder "schuldig" sein. Das heißt, es stellt sich jemand bewusst gegen das Recht, mit Wissen und Wollen. Er weiß, dass er mit Sanktionen zu rechnen hat. Das Wort "Schuld" bedeutet aber auch, "Jemandem etwas zu schulden", z.B. Geld. Die Quellen hierfür sind Verträge oder Gesetze.
Es ist mit unserem rechtsstaatlichen Verständnis in jedem Fall nicht vereinbar, Rechtsnormen zu schaffen, die ursprünglich rechtlich toleriertes Verhalten rückwirkend ins Unrecht setzen oder Forderungen begründen. Wenn Herr Dr. Ruppel von Kolonialunrecht spricht, muss er sich fragen lassen, wie dieser Begriff zu verstehen ist. Neben dem Wortteil "Kolonial" beinhaltet der von ihm verwendete Begriff auch die Bestandteile "un" und "Recht". Es geht also um ein Verhalten, das dem Recht widerspricht. Herr Dr. Ruppel lässt diesen Begriff unkommentiert und undefiniert, so dass sein Artikel den Eindruck macht, die Herero kämen nur aufgrund juristischer Spitzfindigkeiten und Winkelzüge nicht zu ihrem Recht.
Welche Rechtsnorm könnte also den Anspruch der Herero begründen? Unabhängig von der Frage der Rechtsnachfolge und der Verjährung sollte man zumindest prüfen, ob nicht damaliges deutsches Recht einen Anspruch begründen könnte. Durch die Kriegserklärung gegenüber dem Volk der Herero hat das Deutsche Reich den Kriegszustand hergestellt, so dass der Sachverhalt nach Kriegsrecht zu beurteilen ist. Eine deutsche Rechtsnorm, die unter den gegebenen Umständen dem Kriegsgegner einen Anspruch gewährte, ist nicht ersichtlich. Die damaligen Verträge mit den Herero wurden vertragsgemäß gekündigt und bieten deshalb auch keinen Rechtsanspruch.
Entgegen der vielfach verbreiteten Ansicht, die Kriegserklärung gegenüber den Herero war nur eine überbürokratische, rechtfertigende Formalie, weil es sich bei den Herero nur um einen Stamm hilfloser, friedliebender, nur mit Pfeil und Bogen bewaffneter Hirten handelte, der nicht die Qualität eines Kriegsgegners erfüllte, war die Kriegserklärung auch tatsächlich berechtigt. Die deutschen Truppen standen damals einem zahlenmäßig weit überlegenen Gegner gegenüber. Die Hererotruppen waren mit Handfeuerwaffen bewaffnet, die Kampfhandlungen waren sowohl strategisch, als auch taktisch koordiniert und der Ausgang der Gefechte war offen.
Die Kriegserklärung hat zur Folge, dass die streitigen Handlungen auch völkerrechtlich in diesem Kontext zu sehen sind. Die Frage lautet deshalb, ob es eine völkerrechtliche Norm gibt, die den Klägern einen Anspruch gegen die Bundesrepublik gewährt.
Das Völkerrecht ist eine in weiten Teilen politisch motivierte Rechtsmaterie. Man muss hier zwischen dem geschriebenen und dem ungeschrieben Recht unterscheiden. Das geschriebene Völkerrecht besteht weitgehend aus bi- und multilateralen Verträgen. Dies hat zur Folge, dass die Rechtsnormen nur zwischen den Vertragsparteien gelten. So gelten die Normen betreffend den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) nur zwischen den Staaten, die den dazugehörigen Vertrag unterschrieben und ratifiziert haben.
1904 gab es in dem Bereich des Schutzes von Soldaten und Zivilpersonen im Kriegsfall nur sehr wenig geschriebenes Völkerrecht. Im Wesentlichen beschränken sich die Quellen auf die Anlage zum zweiten Haager Abkommen von 1899 (Haager Landkriegsordnung), die - für den Kriegsfall - insbesondere den Umgang mit Militärpersonen und die Wahl der Kriegsmittel regelt, und die Genfer Konvention von 1864, die den Umgang mit "im Felddienst verwundeten Militärpersonen" behandelt. Der Haager Landkriegsordnung war das Deutsche Reich 1900 beigetreten. Die Vorschriften dieses Vertrages galten jedoch nur inter partes, also zwischen den Vertragsparteien. Der Vertrag regelt sogar explizit, dass die Vorschriften des Vertrages auch dann nicht gelten sollen, wenn zum Beispiel eine dritte Partei am Krieg teilnimmt, die nicht Vertragspartner ist. Ferner enthielt die 1904 gültige Fassung des Vertrages keine Regelung hinsichtlich der Kompensation von Schäden, die durch vertragswidriges Verhalten entstanden sind. Erst 1907 wurde ein entsprechender Passus aufgenommen.
Obwohl bereits in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts deutsche Staaten der Genfer Konvention von 1864 beigetreten waren, wurde das Deutsche Reich erst 1906 Vertragspartner. Man kann also feststellen, dass 1904 kein verbindliches schriftlich festgehaltenes Völkerrecht bestand, das den Anspruch der Herero begründen könnte.
Als weitere Quelle des Völkerrechts bietet sich das so genannte Völkergewohnheitsrecht an. Von Gewohnheitsrecht spricht man dann, wenn ein Verhalten von den Mitgliedern der sozialen Gemeinschaft (peers) als Recht oder Unrecht angesehen wird und dieses Verhalten einer gewissen Übung unterliegt, also das Verhalten regelmäßig praktiziert wird. Dieses Gewohnheitsrecht unterliegt dem Wandel, insbesondere durch soziale und kulturelle Veränderungen.
Man muss sich folglich die Frage stellen, ob die Grundsätze der Haager Landkriegsordnung und der Genfer Konvention Völkergewohnheitsrecht geworden sind, also auch für Nichtvertragsparteien gelten sollten. Erstmals 1946 wurde diese These von den Kriegsverbrechertribunalen in Nürnberg und Tokio vertreten. Ebenso kam zu dieser Zeit der höchst unbestimmte Rechtsbegriff des Verbrechens gegen die Menschlichkeit auf.
Da das Völkerrecht die Domäne der Diplomaten und Politiker ist, ist höchst fragwürdig, ob seinerzeit tatsächlich diesbezüglich von Völkergewohnheitsrecht auszugehen war. Gewohnheitsrecht bedeutet, dass die Regeln für Alle gelten. Bisher wurden entsprechende Entscheidungen aber immer aus einer gewissen Siegerposition gefällt. Das gilt nicht nur für die Kriegsverbrechertribunale nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern auch für das Jugoslawientribunal (ICTY).
Dass es 1904, zumindest unter den Kolonialmächten, einheitliche Auffassung und Übung war, sich an die Vorgaben der Haager Landkriegsordnung und der Genfer Konvention zu halten und Verstöße finanziell auszugleichen waren, kann mit Sicherheit verneint werden. Die Vernichtung großer Teile der burischen Bevölkerung in Südafrika durch die britischen Truppen, mag hier nur exemplarisch als Beispiel für das Verhalten der anderen Kolonialmächte angeführt sein.
Wohlwollend könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass sich die deutschen Truppen nach Afrika in einen fremden Rechtskreis begeben haben und sich deshalb die Völkerrechtslage nach dem örtlichen Recht bemisst. Man muss sich dazu fragen, welche Gepflogenheiten hatten die kriegführenden Parteien in Südwestafrika? Wäre das behauptete Verhalten unter den Kriegsregeln der südwestafrikanischen Völker rechtswidrig und würde der Bruch der Regeln zu einer finanziellen Kompensation führen?
Betrachtet man das überlieferte Verhalten der Hererotruppen, so war es üblich, keine Gefangenen zu nehmen. Verletzten Gegnern wurden Nasen und Hände abgeschnitten, bevor sie getötet wurden. Zivilisten wurden massakriert und deren Anwesen geplündert. Im Kampf verwendeten die Hereroschützen Dum-Dum-Geschosse, die nach der Haager Landkriegsordnung als deformierende Geschosse ausdrücklich verboten waren. Das Kriegsverhalten der Herero lässt sich nicht nur im Rahmen des Hererokrieges mit den deutschen Truppen bewerten, sondern auch anhand der zahlreichen Kämpfe mit den Nachbarvölkern (Nama, Damara und San). Man muss deshalb davon ausgehen, dass ein besonders humanitäres Verhalten gegenüber gegnerischen Truppen und Zivilpersonen im Kriegsfall nicht dem in Südwestafrika geltenden Kriegsgewohnheitsrecht entsprach. Es gab folglich auch kein Völkergewohnheitsrecht, das einen Anspruch der Herero begründen könnte.
Wenn man an diesem Punkt angekommen ist und feststeht, dass es keine Rechtsnorm gibt, die einen Rechtsanspruch der Herero begründen könnte, kann man sich an die eigentliche Arbeit machen. Durch die jahrelange Legendenbildung im Zusammenhang mit dem "Blaubuch" der Briten ist es zu einem kollektiven Geschichtsbewusstsein gekommen, das mit den tatsächlichen Gegebenheiten vermutlich im krassen Widerspruch steht. Auf der Basis gemeinsamer Geschichtserforschung sollten sich beide Völker gemeinsam auf den Weg machen, die Umstände zu klären, die zum Völkermordvorwurf geführt haben. Eine unabhängige Kommission könnte berufen werden, um den Sachverhalt aufzuklären.
Für den Fall, dass sich die Vorwürfe bewahrheiten sollten, ist zu überlegen, ob die Herero ohne eine Rechtspflicht der deutschen Bundesregierung in irgendeiner Weise besonders gefördert werden sollten. Dies wäre dann wieder die Aufgabe der Politiker und Kirchen. Sollten sich aber die Vorwürfe nicht bewahrheiten, muss dieses Ergebnis weltweit publiziert und in den Geschichtsbüchern eventuell falsche Darstellungen korrigiert werden, um das deutsche Volk vom Vorwurf des notorischen Völkermörders zu befreien.
Mario H. Seydel, Windhoek
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Allgemeine Zeitung
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