Zuerst einmal die eigenen Hausaufgaben machen
Betr.: An open letter to the Secretary-General of the UN
Das eindringliche und sehr emotionale Schreiben von Gys Joubert/Gondwana an den Generalsekretär der Vereinten Nationen ruft in einer ersten Reaktion bei Leserinnen und Lesern mit Herz, Mitgefühl und Mitleid aus. Wer hätte in einer solchen Situation kein Verständnis für Herrn Gys Joubert, seine Familie und Mitarbeiter und würde Ausnahmen von den Regeln nicht befürworten. Wie jeder nachvollziehen kann, leidet die Tourismusindustrie in Namibia, wie in anderen Ländern, existenziell unter der Corona Pandemie. Ebenso wie für Spanien, Italien, Griechenland, die Türkei und Thailand, um nur einige der 193 UN-Mitgliedsstaaten zu nennen, deren Menschen in großem Umfang vom Tourismus leben, ist der Ausfall der Touristenströme eine Katastrophe. Im Übrigen ist es unstrittig, dass es vielen Menschen in Namibia seit Jahren schlecht geht, dies wird durch Corona noch verstärkt. Über 400 000 der 2,5 Millionen Namibier sind, wie man in der AZ lesen kann, aktuell von internationaler Nahrungsmittelhilfe abhängig. Allerdings stellen sich eine Reihe von Fragen, die man nicht einfach ignorieren kann. Die politisch Verantwortlichen in den westlichen Industrienationen sind nach den Erfahrungen in der Vergangenheit nicht mehr bereit, ungeprüft für die Probleme der „armen Entwicklungsländer“ einzutreten, ungeprüft Ausnahmen zu gestatten bzw. unkontrolliert Hilfsprogramme zu finanzieren. Man muss sich die Augen wischen, wenn man gleichzeitig aus der Presse erfährt, dass nun endlich, nach 6 Monaten, einige sehr gut bezahlte Gruppen von Mitarbeitern der öffentlichen Betriebe unter starkem Protest, auch einer Reduzierung ihrer Einkommen, hinnehmen sollen. Piloten und Board-Personal der Air-Namibia haben 6 Monate bei vollem Lohnausgleich zuhause auf der Couch aushalten „müssen“, bis man nun unter Protestgeschrei eine Reduzierung der Gehälter um bis zu 50 Prozent vielleicht, eventuell, möglicherweise, unter Umständen…für die Zukunft ankündigt. Beamte, Politiker, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen Betriebe, also die administrative Stütze der herrschenden Führungsriege hat man bei Gehaltskürzungen bisher geflissentlich „übersehen“. Die soziale Ungleichheit in Namibia wird sich durch die Folgen der Pandemie noch weiter verstärken. Man kann sicher sein, dass noch keine Nobelkarosse mit Stern aus dem Fuhrpark vom Präsidenten, von Ministern und Staatssekretären in ein Lockdown gekommen ist. Im Gini-Koeffizient der Auskunft über die soziale Ungleichheit von Ländern, verteidigt Namibia seit Jahren einen der führenden Plätze. Warum kämpft Herr Gys Joubert nicht einmal an dieser Front, im eigenen Haus? Zwischenzeitlich sind viele Menschen weltweit über diese ärgerlichen Zustände informiert. Ein Diplomat wie Antonio Guterres wird sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen und sich in die innenpolitischen Fragen von Namibia einmischen, das könnte als Neokolonialismus ausgelegt werden. Er wird diplomatisch schweigen, insofern wird man keine – eventuell aber eine für die Tourismusindustrie wachsweiche, unbefriedigende Antwort auf das Schreiben von Gys Joubert erwarten können. Namibia wird erst auf die Beine kommen, wenn man zuerst einmal die Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten im eigenen Land bekämpft, bevor man – wieder einmal – nach internationaler Rücksichtnahme, nach Notpaketen und Hilfe schreit.
Mit vielen Grüßen aus München Hans Rademaker
Mit vielen Grüßen aus München Hans Rademaker
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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