Loading svg Please wait while we translate the article

Zwischen Exotik, Sexualsadismus und Frauenrechten

Andr" Brink ist kein Autor, der in Namibia zur Alltagslektüre gehört. Sein jüngster Roman,The Other Side of Silence oder -Anderkant die Stilte (in Afrikaans) in einer Reihe von 20 Werken dürfte vor Ort Beachtung finden, weil er allein vom Bild des Buchdeckels her, dahinter aber noch höheren "Wiedererkennungswert" hat.

Die Foto-Illustration des Buchumschlags erinnert den Leser an die deutsch-bürgerlich geprägte, historisch entrückte Geisterstadt Kolmanskop in den Dünen der Namib. Dahinter entfaltet sich die Handlung, ausgehend vom kaiserlichen Deutschland und genau zu der Zeit, als zwischen 1899 und 1902 über die Deutsche Kolonialgesellschaft unentgeltlich Mädchen in das Schutzgebiet verschifft wurden. Sie begannen vielfach als Hausangestellte und wurden aus ihrer Stellung oft "weggeheiratet". Im Dezember 1899 kam die erste "Weihnachtsgabe des Mutterlandes für die frauenarme Kolonie", notierte 1954 Dr. Oskar Hintrager (1906 bis 1914 Referent am Kaiserlichen Gouvernement). Die ersten Mädchen reisten ab Swakopmund per Ochsenwagen, später mit der Bahn ins Landesinnere.


Hier endet die historische Übereinkunft des Romans mit der Geschichtsschreibung. Und an dieser Stelle beginnt der unverwechselbare Autor Brink 100 Jahre später - 2002 - mit einer provozierenden Aufarbeitung des Frauenthemas. In Südafrika hat der Roman gerade einen gemischten Empfang erhalten. Dasselbe steht in Namibia bevor.


Brink hat sein Debüt vor gut 40 Jahren mit den jungen "Sestigers" gemacht, jenen südafrikanischen Autoren, die experimentierend den damals "christlich nationalen" Rahmen afrikaanser Literatur sprengten und anecken wollten.


Auf seiner literarisch engagierten Route kann der Leser bei Brink folglich keine Belletristik erwarten. Hier trifft er trotz Dünen verwehter Türrahmen (auf dem Umschlag) alles andere als einen kolonialen Nostalgieroman an, der in der deutschen Erinnerungsliteratur der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts (verlorene Kolonien!) erschien und sich in der südafrikanischen Unterhaltungsliteratur bis zum heutigen Tag noch noch verkauft. Namibia hat für Südafrikaner sein exotisches Flair (noch) nicht verloren. Auch Brink bedient sich dieses Fluidums. So ist ein fiktiver Handlungsort, jene Anstalt Frauenstein irgendwo in der Namib, wo verworfene Mädchen der Weihnachtskiste untergebracht werden, eine makabere Mischung zwischen Kolmanskop, Schloss Duwisib und der Feste Namutoni.


Weiß man also, was dieser Roman nicht ist, was soll oder will er denn sein? "Brink stink", schrieb dieser Tage ein afrikaanser Rezensent in scharfer Ablehnung.


Derart einfach können wir es uns nicht machen, auch wenn Brink über manch lange Strecken die ästhetische und obszöne Schmerzgrenze bewusst zum Stilelement erhebt. Eine Lektüre nicht für Zimperliche - not for the faint hearted - wie es auf Englisch heißt.


Die Handlung um die Frauenfigur Hanna X, dem Waisenkind aus Bremen, das mit der "Weihnachtskiste" ankommt - ein Begriff, den Brink wahrscheinlich benutzt hätte, wäre er bei seinem Quellenstudium darauf gestoßen - ist ein steter Weg in die genitale und labiale Verstümmelung, Ausbeutung, und Schändung. Nur den Nama und Herero geht es bei Brink unter dem kolonialen Soldatenregime ähnlich dreckig oder schlechter als der Hanna X. Nicht jeder Leser kann sich hier wie der Autor an den Details delektieren.


Im Verlauf des Leidensweges der Hanna X gliedern sich die Personen unwandelbar in allegorische Gestalten. Sie sind von vornherein, was sie sind und können nie etwas anderes sein - die Frauen allesamt geschändete Opfer und die weißen Soldaten, Polizisten und Missionare handeln als Triebtäter chronisch aus nackter Gier, Wollust und Sadismus. Brink musste im Gespräch mit der Zeitung "Beeld" daran erinnern, dass er "auch gute Deutsche" auftreten lasse. Wer sich genug anstrengt, findet sie.


Ansonsten verfährt er mit typierenden Klischees deutscher Soldaten und Offiziere, die der Leser, Verbraucher und Hörer im englischsprachigen Raum seit gut 90 Jahren sozusagen mit der Muttermilch erhält (also auch in Südafrika) und die besonders nach den beiden Kriegen des letzten Jahrhunderts ihre besondere Ausprägung gefunden haben. Brink bemüht wie die Autoren der Unterhaltungsliteratur abgegriffene, aber leicht verständliche Schablonen: vom dumpfen Macht- und derben Sexualtrieb gesteuerten, uniformierten Macho, hier als Fratze des Kolonialismus auf der einen Seite und die geschundenen Frauen sowie drangsalierte Kolonialvölker in Natur gegebener Unschuld auf der anderen Seite. - Wahre Mitmenschlichkeit erfährt Hanna X vorübergehend nur bei den nomadisierenden Nama und sexuelle Geborgenheit nur in der Schiffskabine, die sie in lesbischer Freundschaft mit ihrer Reisegefährtin teilt.


Trotzdem ist es kein Propagandaroman etwa zur Ergänzung des britischen Blaubuchs, aber implizit steht er bei den Schreibern, die im deutschen Kolonialismus die Vorstufe des NS-Regimes erkennen. Im Übrigen hat er nach eigener Aussage (gegenüber Beeld) die feminine Seite seiner eigenen Persönlichkeit ausgelotet. Dass er dazu das Bremer Waisenkind der Weihnachtskiste zum Vehikel erkoren hat, mag Zufall sein (der auch in Namibia bekannte Autor George Weideman hat ihn auf das koloniale Frauenthema aufmerksam gemacht). Die Gestaltung des Romans ist wiederum in keiner Weise dem Zufall überlassen, sondern folgt der meisterhaften Erzählkunst Brinks, der den Blick, die Gedanken und das Handeln der Hanna X im flüssigen Stil und stark evozierenden Sprachgebrauch vielschichtig und transzendierend verwebt. Wiederkehrende Motive und Leitbilder vertiefen das Geschehen sinnvoll. Da ist die Johanna von Orleans (keine beiläufige Anspielung auf Hanna X). Auch spielen die Bremer Stadtmusikanten als verstoßene Geschöpfe, die allerdings noch Räuber verscheuchen können, im Rachezug der Hanna X eine analoge Rolle.


Der Handlungsverlauf vollzieht sich bei Brink nach einem wertfreien und schicksalhaften Zwang, "zu tun, was getan werden muss, um das zu werden, was man sein kann". Nach der blutigen Spur von Rache und Vergeltung "jenseits der Stille" bleiben unzählige Fragen offen.


The Other Side of Silence, Andr" Brink. Verlag Secker & Warburg, London 2002. Druck: Clays Ltd. Britannien. ISBN (RSA) 0436 20600 5, broschürt. Unverbindlicher Richtpreis: N$ 175.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-22

Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen

Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu hinterlassen

Katima Mulilo: 23° | 38° Rundu: 24° | 35° Eenhana: 23° | 35° Oshakati: 25° | 34° Ruacana: 24° | 35° Tsumeb: 22° | 33° Otjiwarongo: 20° | 32° Omaruru: 22° | 36° Windhoek: 21° | 33° Gobabis: 23° | 34° Henties Bay: 15° | 19° Swakopmund: 15° | 16° Walvis Bay: 14° | 23° Rehoboth: 21° | 34° Mariental: 21° | 36° Keetmanshoop: 18° | 36° Aranos: 22° | 36° Lüderitz: 15° | 26° Ariamsvlei: 18° | 36° Oranjemund: 14° | 22° Luanda: 24° | 25° Gaborone: 22° | 36° Lubumbashi: 17° | 34° Mbabane: 18° | 32° Maseru: 15° | 32° Antananarivo: 17° | 29° Lilongwe: 22° | 35° Maputo: 22° | 36° Windhoek: 21° | 33° Cape Town: 16° | 23° Durban: 20° | 26° Johannesburg: 18° | 33° Dar es Salaam: 26° | 32° Lusaka: 22° | 36° Harare: 20° | 31° #REF! #REF!