Militärische Coups in Afrika
Ein Kontinent, der nicht zur Ruhe kommt
Der Konflikt im Sudan am Horn Afrikas geht in den fünften Monat. Ein Putsch im Niger droht die Sahelzone noch weiter zu destabilisieren. Zahlreiche weitere Konflikte schwelen auf dem Kontinent.
Von Tanja Kipke und Deutsche Presse-Agentur
Seit vier Monaten kämpfen im Sudan zwei ehemals verbündete Generäle ohne Rücksicht auf Verluste um die Macht. Gut 4 000 Kilometer weiter westlich, in der Sahelzone, toben Kämpfe gegen islamistische Terroristen. Mit dem jüngsten Putsch im Niger und in Gabun, fallen zwei weitere Staaten in die Hände von Militärs. Die Konflikte könnten die gesamte Region destabilisieren. Auch in anderen Teilen Afrikas gehören Terrorismus und Gewalt nahezu zum Alltag.
Immer wieder Schreckensnachrichten. Warum kommt der Kontinent nicht zur Ruhe? Seit 1950 gab es in Afrika 222 Putschversuche, die meisten von allen Regionen weltweit, wobei 106 davon erfolgreich waren. Von den 54 Ländern auf dem afrikanischen Kontinent kam es in 45 zu mindestens einem Coup.
Sudan verzeichnet die meisten Putsches über die Jahre, insgesamt 18, davon waren sieben erfolgreich. Während es in Burkina Faso im gleichen Zeitraum insgesamt weniger Putschversuche gab, verzeichnet das Land mit neun, einschließlich des letzten Putsches im September 2022, die höchste Anzahl erfolgreicher Coups.
In Afrika leben mehr als 1,4 Milliarden Menschen, mehr als eine Milliarde davon südlich der Sahara. Etwa 70 Prozent von ihnen sind jünger als 30 Jahre. 2050 wird Schätzungen zufolge ein Viertel der Menschheit hier leben.
Das ist Afrikas Chance auf eine steigende Produktivität; die Chance, sich zu einem wichtigen Absatzmarkt zu entwickeln und Investitionen anzuziehen. Schon heute lassen dynamische Metropolen wie Luanda, Kigali, Lagos oder Nairobi die Klischees des leidenden Kontinents verblassen, auch wenn die Stadtkerne noch immer von Slums umgeben sind. In diesen Städten baut sich eine Digitalwirtschaft auf, leben gut ausgebildete junge Menschen, wächst der Mittelstand, blüht Innovation.
Und dann gibt es die andere Seite. 44 Millionen Menschen werden nach Schätzungen der UN in diesem Jahr südlich der Sahara auf der Flucht sein, vertrieben von Gewalt, Hunger oder Katastrophen. Laut Global Peace Index 2022 befinden sich von den zehn am wenigstens friedlichen Staaten der Welt fünf in dieser Region. Mehr als 15 Konflikte in denen Zivilisten unter Gewalt leiden zählte Human Rights Watch in Subsahara-Afrika allein in diesem Jahr.
Gründe sind komplex
Die Gründe für die Konflikte sind komplex. Zu den vielschichtigen Ursachen gehören laut Experten tiefgreifendes politisches und wirtschaftliches Versagen, Armut und Arbeitslosigkeit, korrupte Eliten, schwache Staatsführung sowie Abhängigkeit von Rohstoffexporten. Auch die gewichtige, innenpolitische Rolle des Militärs ist in vielen Staaten ein entscheidender Faktor.
Das Erbe des Kolonialismus lastet schwer auf Afrikas Schultern. „In der heutigen multipolaren (Un-)Ordnung intervenieren sowohl westliche Mächte (die Vereinigten Staaten und Frankreich) als auch aufstrebende Mächte (China, Russland und die Türkei) in der Region, um unterschiedliche und oft widersprüchliche Interessen zu verfolgen“, schreiben Analysten des Internationalen Instituts für Strategische Studien (IISS) in Südafrika. Schon während der Kolonialzeit unterstützten Großmächte mit Interessen in Afrika gezielt rivalisierende Konfliktparteien, um innerstaatliche Bruchlinien zu vertiefen und Gewalt zu eskalieren, so das IISS.
Dazu setzt der Klimawandel Afrika immer stärker unter Druck. Extreme Wetterereignisse wie Dürren, Fluten, Tropenstürme und Heuschreckenplagen gehören zum Alltag. Menschen sterben, müssen fliehen, verlieren alles. „Das Potenzial des Klimawandels zur Verschärfung gewalttätiger Konflikte ist in Afrika offensichtlich“, sagt Philip Osano, Direktor des Afrika Zentrums des Stockholmer Umweltinstituts (SEI). Der zunehmende Kampf um natürliche Ressourcen werde existierende Spannungen weiter verstärken, so Osano.
Interne Kohärenz des Militärs
Politikwissenschaftler der Universität von Florida, unter anderem Sebastian Elischer, haben verschiedene Putschversuche der letzten Jahre in Hinblick auf ihren Ausgang und ihre Auswirkungen analysiert. Dabei kamen sie zu dem Schluss, dass die wichtigste Variable, die für unterschiedliche Putschergebnisse verantwortlich ist, die interne Kohärenz des Militärs ist.
Wenn interne Kohärenz herrscht, neigen die Militärs im Allgemeinen dazu, sich aus der Exekutivgewalt zurückzuziehen.
Denn das Festhalten an der Macht gefährdet ihren inneren Zusammenhalt. Der innere Zusammenhalt basiert auf den Faktoren, die den Putsch ausgelöst haben. Wenn ein Putsch als Reaktion auf Bedrohungen der territorialen Integrität des Landes, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder materieller Vorteile oder Reputationsvorteile des Militärs stattfindet, wird die Junta die Unterstützung des gesamten Militärs haben. Dies liegt daran, dass die Vorteile des Strebens nach Macht die Risiken, nicht an der Macht zu sein, überwiegen.
Sollte es zu einem Putsch aus anderen Gründen kommen, wird die Junta entweder nicht an die Macht streben oder auf Widerstand innerhalb des Militärs stoßen und sich zurückziehen. „Wir fanden dies bei allen von uns analysierten Putschversuchen bestätigt“, heißt es in der Zusammenfassung von Elischer.
Was das für Afrikas Zukunft bedeutet? Die Wissenschaftler sehen diese Entwicklung als besorgniserregend an. Im Sudan, in Mali, Burkina Faso und im Tschad stürzten Militärs ihre Regierungen aufgrund einer Bedrohung der territorialen Integrität ihrer Länder oder der materiellen Vorteile des Militärs. „Die Juntas in diesen Ländern können sich auf die Unterstützung des gesamten Militärs verlassen. Dies verringert die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr zur Zivilherrschaft“, so Elischer.
„Die Implikationen unserer Ergebnisse für Niger und Guinea sind jedoch weniger eindeutig.“ Hier seien die Putsche von einer Untergruppe des Militärs inszeniert. Die Forschungsergebnisse deuten auf eine volatilere Dynamik für diese beiden Post-Putsch-Staaten hin. Zum jetzigen Zeitpunkt könne niemand vorhersagen, wie die Motive der nigerianischen Präsidentengarde das zukünftige Vorgehen beeinflussen werden. „Im Allgemeinen verheißen Militärputsche jedoch nichts Gutes für demokratische Prozesse“, fasst Elischer zusammen.
Ursachen identifizieren
Wie könnte also wieder Ruhe einkehren in Afrika? Man müsse wiederkehrende Ursachen identifizieren, anstatt Symptome zu bekämpfen, sagt Raymond Gilpin, Analyst beim Think Tank Africa Centre. Zu den Ursachen gehörten beispielsweise die Kontrolle über Bodenschätze, neokoloniales Machtstreben, Kriminalität und Terrorismus, aber auch externe Unruhestifter wie die russische Söldnergruppe Wagner. Versuche, Gewalt durch Aufstandsbekämpfung, Wirtschaftssanktionen oder schnelle Neuwahlen zu schlichten, seien oftmals kontraproduktiv, warnt Gilpin: „Mit umfassenden, langfristigen Ansätzen lässt sich viel mehr erreichen“.
Seit vier Monaten kämpfen im Sudan zwei ehemals verbündete Generäle ohne Rücksicht auf Verluste um die Macht. Gut 4 000 Kilometer weiter westlich, in der Sahelzone, toben Kämpfe gegen islamistische Terroristen. Mit dem jüngsten Putsch im Niger und in Gabun, fallen zwei weitere Staaten in die Hände von Militärs. Die Konflikte könnten die gesamte Region destabilisieren. Auch in anderen Teilen Afrikas gehören Terrorismus und Gewalt nahezu zum Alltag.
Immer wieder Schreckensnachrichten. Warum kommt der Kontinent nicht zur Ruhe? Seit 1950 gab es in Afrika 222 Putschversuche, die meisten von allen Regionen weltweit, wobei 106 davon erfolgreich waren. Von den 54 Ländern auf dem afrikanischen Kontinent kam es in 45 zu mindestens einem Coup.
Sudan verzeichnet die meisten Putsches über die Jahre, insgesamt 18, davon waren sieben erfolgreich. Während es in Burkina Faso im gleichen Zeitraum insgesamt weniger Putschversuche gab, verzeichnet das Land mit neun, einschließlich des letzten Putsches im September 2022, die höchste Anzahl erfolgreicher Coups.
In Afrika leben mehr als 1,4 Milliarden Menschen, mehr als eine Milliarde davon südlich der Sahara. Etwa 70 Prozent von ihnen sind jünger als 30 Jahre. 2050 wird Schätzungen zufolge ein Viertel der Menschheit hier leben.
Das ist Afrikas Chance auf eine steigende Produktivität; die Chance, sich zu einem wichtigen Absatzmarkt zu entwickeln und Investitionen anzuziehen. Schon heute lassen dynamische Metropolen wie Luanda, Kigali, Lagos oder Nairobi die Klischees des leidenden Kontinents verblassen, auch wenn die Stadtkerne noch immer von Slums umgeben sind. In diesen Städten baut sich eine Digitalwirtschaft auf, leben gut ausgebildete junge Menschen, wächst der Mittelstand, blüht Innovation.
Und dann gibt es die andere Seite. 44 Millionen Menschen werden nach Schätzungen der UN in diesem Jahr südlich der Sahara auf der Flucht sein, vertrieben von Gewalt, Hunger oder Katastrophen. Laut Global Peace Index 2022 befinden sich von den zehn am wenigstens friedlichen Staaten der Welt fünf in dieser Region. Mehr als 15 Konflikte in denen Zivilisten unter Gewalt leiden zählte Human Rights Watch in Subsahara-Afrika allein in diesem Jahr.
Gründe sind komplex
Die Gründe für die Konflikte sind komplex. Zu den vielschichtigen Ursachen gehören laut Experten tiefgreifendes politisches und wirtschaftliches Versagen, Armut und Arbeitslosigkeit, korrupte Eliten, schwache Staatsführung sowie Abhängigkeit von Rohstoffexporten. Auch die gewichtige, innenpolitische Rolle des Militärs ist in vielen Staaten ein entscheidender Faktor.
Das Erbe des Kolonialismus lastet schwer auf Afrikas Schultern. „In der heutigen multipolaren (Un-)Ordnung intervenieren sowohl westliche Mächte (die Vereinigten Staaten und Frankreich) als auch aufstrebende Mächte (China, Russland und die Türkei) in der Region, um unterschiedliche und oft widersprüchliche Interessen zu verfolgen“, schreiben Analysten des Internationalen Instituts für Strategische Studien (IISS) in Südafrika. Schon während der Kolonialzeit unterstützten Großmächte mit Interessen in Afrika gezielt rivalisierende Konfliktparteien, um innerstaatliche Bruchlinien zu vertiefen und Gewalt zu eskalieren, so das IISS.
Dazu setzt der Klimawandel Afrika immer stärker unter Druck. Extreme Wetterereignisse wie Dürren, Fluten, Tropenstürme und Heuschreckenplagen gehören zum Alltag. Menschen sterben, müssen fliehen, verlieren alles. „Das Potenzial des Klimawandels zur Verschärfung gewalttätiger Konflikte ist in Afrika offensichtlich“, sagt Philip Osano, Direktor des Afrika Zentrums des Stockholmer Umweltinstituts (SEI). Der zunehmende Kampf um natürliche Ressourcen werde existierende Spannungen weiter verstärken, so Osano.
Interne Kohärenz des Militärs
Politikwissenschaftler der Universität von Florida, unter anderem Sebastian Elischer, haben verschiedene Putschversuche der letzten Jahre in Hinblick auf ihren Ausgang und ihre Auswirkungen analysiert. Dabei kamen sie zu dem Schluss, dass die wichtigste Variable, die für unterschiedliche Putschergebnisse verantwortlich ist, die interne Kohärenz des Militärs ist.
Wenn interne Kohärenz herrscht, neigen die Militärs im Allgemeinen dazu, sich aus der Exekutivgewalt zurückzuziehen.
Denn das Festhalten an der Macht gefährdet ihren inneren Zusammenhalt. Der innere Zusammenhalt basiert auf den Faktoren, die den Putsch ausgelöst haben. Wenn ein Putsch als Reaktion auf Bedrohungen der territorialen Integrität des Landes, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder materieller Vorteile oder Reputationsvorteile des Militärs stattfindet, wird die Junta die Unterstützung des gesamten Militärs haben. Dies liegt daran, dass die Vorteile des Strebens nach Macht die Risiken, nicht an der Macht zu sein, überwiegen.
Sollte es zu einem Putsch aus anderen Gründen kommen, wird die Junta entweder nicht an die Macht streben oder auf Widerstand innerhalb des Militärs stoßen und sich zurückziehen. „Wir fanden dies bei allen von uns analysierten Putschversuchen bestätigt“, heißt es in der Zusammenfassung von Elischer.
Was das für Afrikas Zukunft bedeutet? Die Wissenschaftler sehen diese Entwicklung als besorgniserregend an. Im Sudan, in Mali, Burkina Faso und im Tschad stürzten Militärs ihre Regierungen aufgrund einer Bedrohung der territorialen Integrität ihrer Länder oder der materiellen Vorteile des Militärs. „Die Juntas in diesen Ländern können sich auf die Unterstützung des gesamten Militärs verlassen. Dies verringert die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr zur Zivilherrschaft“, so Elischer.
„Die Implikationen unserer Ergebnisse für Niger und Guinea sind jedoch weniger eindeutig.“ Hier seien die Putsche von einer Untergruppe des Militärs inszeniert. Die Forschungsergebnisse deuten auf eine volatilere Dynamik für diese beiden Post-Putsch-Staaten hin. Zum jetzigen Zeitpunkt könne niemand vorhersagen, wie die Motive der nigerianischen Präsidentengarde das zukünftige Vorgehen beeinflussen werden. „Im Allgemeinen verheißen Militärputsche jedoch nichts Gutes für demokratische Prozesse“, fasst Elischer zusammen.
Ursachen identifizieren
Wie könnte also wieder Ruhe einkehren in Afrika? Man müsse wiederkehrende Ursachen identifizieren, anstatt Symptome zu bekämpfen, sagt Raymond Gilpin, Analyst beim Think Tank Africa Centre. Zu den Ursachen gehörten beispielsweise die Kontrolle über Bodenschätze, neokoloniales Machtstreben, Kriminalität und Terrorismus, aber auch externe Unruhestifter wie die russische Söldnergruppe Wagner. Versuche, Gewalt durch Aufstandsbekämpfung, Wirtschaftssanktionen oder schnelle Neuwahlen zu schlichten, seien oftmals kontraproduktiv, warnt Gilpin: „Mit umfassenden, langfristigen Ansätzen lässt sich viel mehr erreichen“.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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