Polens mutiger Arbeiterführer: Lech Walesa wird 80
Eine Legende ist er nicht nur in Polen: Der Mann mit dem Schnauzbart schrieb mit seinem Sieg über den Kommunismus in seiner Heimat Geschichte. Als Staatsoberhaupt war er jedoch vielen Polen zu autoritär. Auch heute noch eckt Walesa gern mal an.
Von Doris Heimann, dpa
Warschau
Freiheitskämpfer, Nobelpreisträger, Präsident - selten kann ein Elektriker und Werftarbeiter auf so ein bewegtes Leben zurückblicken wie Lech Walesa. An diesem Freitag, 29. September, wird der einstige Gewerkschaftsführer 80 Jahre alt. Unbequem und streitlustig ist er bis heute geblieben.
Im Sommer 1980 blickt die Welt plötzlich auf Polen. Und auf einen kleinen, schmächtigen Mann, dessen Mut noch beeindruckender ist als sein trotziger Schnauzbart. Weder er selbst noch die Beobachter ahnen, dass die Ereignisse auf der Danziger Lenin-Werft am Ende den ganzen Ostblock ins Wanken bringen werden.
Europa ist geteilt, Polen liegt hinter dem Eisernen Vorhang. Es gehört zu den Staaten des Warschauer Pakts, deren Politik von der sowjetischen Führungsmacht dominiert wird. Das kommunistische Regime kriegt die Versorgungsprobleme nicht in den Griff. Als die Regierung am 2. Juli die Preise für Fleisch- und Wurstwaren drastisch erhöht, streiken die Arbeiter.
Am 14. August erfasst die Streikwelle auf die Danziger Lenin-Werft. Damit schlägt die Stunde für Lech Walesa. Der arbeitslose 36 Jahre alte Elektriker ist vier Jahre zuvor von der Werft gefeuert worden, weil er für die Gründung einer unabhängigen Gewerkschaft warb. Nun wird er gebraucht. Als der Wachdienst ihn nicht aufs Werksgelände lässt, springt er kurzerhand über die Mauer. Zumindest erinnert Walesa sich so später, auch wenn nicht alle seiner damaligen Mitstreiter diese Version bestätigen.
In jedem Fall springt Walesa direkt in die Geschichte. Er wird Anführer des Streiks, bei dem die Belegschaft die Werft besetzt. Er sorgt dafür, dass die Verhandlungen mit der Werftleitung über das Lautsprechersystem übertragen werden - so können sich alle beteiligt fühlen. Unter Walesas Führung wird das Überbetriebliche Streikkomitee gegründet, das 300 Betriebe repräsentiert. Seine wichtigste Forderung: eine von der Partei unabhängige Gewerkschaft.
Knapp zwei Wochen lang verhandelt Walesa umsichtig, aber beharrlich mit der Regierungsseite. Hält spontane Reden vor dem Werfttor, spricht erstaunlich souverän mit ausländischen Reportern. Das Bild des quirligen Arbeiterführers mit der Schwarzen Madonna am Revers geht um die Welt. Am 31. August 1980 der Durchbruch: Walesa und Vize-Regierungschef Mieczyslaw Jagielski unterzeichnen das „Danziger Abkommen“ über die Gründung der unabhängigen Gewerkschaft „Solidarnosc“. Nie zuvor hatte ein kommunistisches Regime so etwas zugelassen.
Lech Walesa wird am 29. September 1943 in dem Dorf Popowo in Kujawien-Pommern geboren. Er wächst in ärmlichen Verhältnissen auf, muss als Kind in der kleinen Landwirtschaft der Familie mithelfen. „Zur Schule hatte ich vier Kilometer zu laufen, zur Kirche sieben, meistens barfuß, mit dem Schuhen über der Schulter. Die wurden erst vor dem Eingang angezogen“, erinnert er sich in seiner Autobiografie „Weg der Hoffnung”. Er macht eine Berufsausbildung und arbeitet als Elektromechaniker, heuert 1967 bei der Lenin-Werft in Danzig an.
Die Walesa mitbegründete unabhängige Gewerkschaft „Solidarnosc“ wird ein Riesenerfolg. Kurz nach ihrer Gründung zählt sie zehn Millionen Mitglieder - ganz Polen hat damals 35,5 Millionen Einwohner.
Doch am 13. Dezember verhängt das unter Druck geratene kommunistische Regime das Kriegsrecht. Die „Solidarnosc“ wird verboten, Walesa wird interniert, im November 1982 kommt er wieder frei. Im Jahr darauf erhält er den Friedensnobelpreis. Der eigentliche Preisträger sei das polnische Volk, kommentiert er mit eher untypischer Bescheidenheit. Den Preis nimmt Walesas Frau Danuta entgegen: Er selbst fürchtet, dass man ihm die Rückreise nach Polen verweigern könnte.
Bei den Gesprächen am Runden Tisch, die 1989 den friedlichen Abschied der Kommunisten von der Macht einleiten, ist Walesa dabei. 1990 wird er Polens Präsident - die Krönung seines jahrzehntelangen Kampfes scheint erreicht. Doch seine Bemühungen um eine zweite Amtszeit 1995 scheitern: Mit früheren Mitstreitern hat er sich überworfen, andere durch autoritäres Auftreten verprellt. Ein politisches Comeback gelingt nicht mehr.
In den vergangenen Jahren fühlte sich Walesa oft missverstanden und nicht ausreichend gewürdigt. Mit der Solidarnosc-Führung hat er gebrochen. „Das ist nicht mehr meine Gewerkschaft“, bekräftigte er.
Walesa gilt als scharfer Kritiker der seit 2015 regierenden nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Parteichef Jaroslaw Kaczynski, einst einer der Berater Walesas, liegt seit Jahren mit dem früheren Arbeiterführer über Kreuz.
Kaczynski gehört zu den Gegnern Walesas aus dem Lager der Solidarnosc, die bis heute überzeugt sind, dass sich der spätere Arbeiterführer als Spitzel für den Sicherheitsdienst anheuern ließ - was Walesa immer energisch bestritten hat. Die beiden prozessierten jahrelang gegeneinander.
Zuletzt ist es ruhiger geworden um Walesa. In sozialen Medien postet er häufig Bilder von sich selbst bei Fahrradausflügen an der polnischen Ostseeküste, aber auch bei gelegentlichen Interviews. Die Politik hat ihn nie ganz losgelassen: Am 4. Juni marschierte er in Warschau Seite an Seite mit Oppositionsführer Donald Tusk bei einer Demonstration mit hunderttausenden Teilnehmern gegen die Politik der PiS. Für die junge Generation hatte der frühere Elektriker einen Rat: „Alle Dinge, Probleme und Schwierigkeiten habe ich immer aus der Perspektive des Praktikers betrachtet.“
Warschau
Freiheitskämpfer, Nobelpreisträger, Präsident - selten kann ein Elektriker und Werftarbeiter auf so ein bewegtes Leben zurückblicken wie Lech Walesa. An diesem Freitag, 29. September, wird der einstige Gewerkschaftsführer 80 Jahre alt. Unbequem und streitlustig ist er bis heute geblieben.
Im Sommer 1980 blickt die Welt plötzlich auf Polen. Und auf einen kleinen, schmächtigen Mann, dessen Mut noch beeindruckender ist als sein trotziger Schnauzbart. Weder er selbst noch die Beobachter ahnen, dass die Ereignisse auf der Danziger Lenin-Werft am Ende den ganzen Ostblock ins Wanken bringen werden.
Europa ist geteilt, Polen liegt hinter dem Eisernen Vorhang. Es gehört zu den Staaten des Warschauer Pakts, deren Politik von der sowjetischen Führungsmacht dominiert wird. Das kommunistische Regime kriegt die Versorgungsprobleme nicht in den Griff. Als die Regierung am 2. Juli die Preise für Fleisch- und Wurstwaren drastisch erhöht, streiken die Arbeiter.
Am 14. August erfasst die Streikwelle auf die Danziger Lenin-Werft. Damit schlägt die Stunde für Lech Walesa. Der arbeitslose 36 Jahre alte Elektriker ist vier Jahre zuvor von der Werft gefeuert worden, weil er für die Gründung einer unabhängigen Gewerkschaft warb. Nun wird er gebraucht. Als der Wachdienst ihn nicht aufs Werksgelände lässt, springt er kurzerhand über die Mauer. Zumindest erinnert Walesa sich so später, auch wenn nicht alle seiner damaligen Mitstreiter diese Version bestätigen.
In jedem Fall springt Walesa direkt in die Geschichte. Er wird Anführer des Streiks, bei dem die Belegschaft die Werft besetzt. Er sorgt dafür, dass die Verhandlungen mit der Werftleitung über das Lautsprechersystem übertragen werden - so können sich alle beteiligt fühlen. Unter Walesas Führung wird das Überbetriebliche Streikkomitee gegründet, das 300 Betriebe repräsentiert. Seine wichtigste Forderung: eine von der Partei unabhängige Gewerkschaft.
Knapp zwei Wochen lang verhandelt Walesa umsichtig, aber beharrlich mit der Regierungsseite. Hält spontane Reden vor dem Werfttor, spricht erstaunlich souverän mit ausländischen Reportern. Das Bild des quirligen Arbeiterführers mit der Schwarzen Madonna am Revers geht um die Welt. Am 31. August 1980 der Durchbruch: Walesa und Vize-Regierungschef Mieczyslaw Jagielski unterzeichnen das „Danziger Abkommen“ über die Gründung der unabhängigen Gewerkschaft „Solidarnosc“. Nie zuvor hatte ein kommunistisches Regime so etwas zugelassen.
Lech Walesa wird am 29. September 1943 in dem Dorf Popowo in Kujawien-Pommern geboren. Er wächst in ärmlichen Verhältnissen auf, muss als Kind in der kleinen Landwirtschaft der Familie mithelfen. „Zur Schule hatte ich vier Kilometer zu laufen, zur Kirche sieben, meistens barfuß, mit dem Schuhen über der Schulter. Die wurden erst vor dem Eingang angezogen“, erinnert er sich in seiner Autobiografie „Weg der Hoffnung”. Er macht eine Berufsausbildung und arbeitet als Elektromechaniker, heuert 1967 bei der Lenin-Werft in Danzig an.
Die Walesa mitbegründete unabhängige Gewerkschaft „Solidarnosc“ wird ein Riesenerfolg. Kurz nach ihrer Gründung zählt sie zehn Millionen Mitglieder - ganz Polen hat damals 35,5 Millionen Einwohner.
Doch am 13. Dezember verhängt das unter Druck geratene kommunistische Regime das Kriegsrecht. Die „Solidarnosc“ wird verboten, Walesa wird interniert, im November 1982 kommt er wieder frei. Im Jahr darauf erhält er den Friedensnobelpreis. Der eigentliche Preisträger sei das polnische Volk, kommentiert er mit eher untypischer Bescheidenheit. Den Preis nimmt Walesas Frau Danuta entgegen: Er selbst fürchtet, dass man ihm die Rückreise nach Polen verweigern könnte.
Bei den Gesprächen am Runden Tisch, die 1989 den friedlichen Abschied der Kommunisten von der Macht einleiten, ist Walesa dabei. 1990 wird er Polens Präsident - die Krönung seines jahrzehntelangen Kampfes scheint erreicht. Doch seine Bemühungen um eine zweite Amtszeit 1995 scheitern: Mit früheren Mitstreitern hat er sich überworfen, andere durch autoritäres Auftreten verprellt. Ein politisches Comeback gelingt nicht mehr.
In den vergangenen Jahren fühlte sich Walesa oft missverstanden und nicht ausreichend gewürdigt. Mit der Solidarnosc-Führung hat er gebrochen. „Das ist nicht mehr meine Gewerkschaft“, bekräftigte er.
Walesa gilt als scharfer Kritiker der seit 2015 regierenden nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Parteichef Jaroslaw Kaczynski, einst einer der Berater Walesas, liegt seit Jahren mit dem früheren Arbeiterführer über Kreuz.
Kaczynski gehört zu den Gegnern Walesas aus dem Lager der Solidarnosc, die bis heute überzeugt sind, dass sich der spätere Arbeiterführer als Spitzel für den Sicherheitsdienst anheuern ließ - was Walesa immer energisch bestritten hat. Die beiden prozessierten jahrelang gegeneinander.
Zuletzt ist es ruhiger geworden um Walesa. In sozialen Medien postet er häufig Bilder von sich selbst bei Fahrradausflügen an der polnischen Ostseeküste, aber auch bei gelegentlichen Interviews. Die Politik hat ihn nie ganz losgelassen: Am 4. Juni marschierte er in Warschau Seite an Seite mit Oppositionsführer Donald Tusk bei einer Demonstration mit hunderttausenden Teilnehmern gegen die Politik der PiS. Für die junge Generation hatte der frühere Elektriker einen Rat: „Alle Dinge, Probleme und Schwierigkeiten habe ich immer aus der Perspektive des Praktikers betrachtet.“
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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