Putin feiert ohne Sieg
9. Mai - Der Tag des sowjetischen Siegs über Hitler-Deutschland
Im Schatten seines Kriegs gegen die Ukraine lässt Kremlchef Putin Panzer durch Moskau rollen. Traditionell wird am 9. Mai der Tag des sowjetischen Siegs über Hitler-Deutschland mit einer Militärparade gefeiert. Aber das Blutvergießen mitten in Europa überlagert alles.
Von Ulf Mauder, dpa
Moskau
Auf dem Roten Platz ist alles bereit für die große Militärparade zum 77. Jahrestag des Siegs der Sowjetunion über Nazi-Deutschland und Diktator Adolf Hitler. Doch wenn heute zum 9. Mai im Herzen Moskaus 11 000 Soldaten aufmarschieren, Panzer übers Kopfsteinpflaster donnern und Raketen vorgezeigt werden, dürfte Kremlchef Wladimir Putin kaum in stolzer Stimmung sein. Der Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte hat einen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen, dessen Ausgang ungewiss ist. Das Blutvergießen kratzt auch am Ruf der Siegermacht von 1945.
Seit Putin am 24. Februar seine Armee ins Nachbarland einmarschieren ließ, gehen Bilder der Zerstörung, der Bomben gegen zivile Infrastruktur und vieler Leichen um die Welt. Deutschland wirft Russland wie viele andere Staaten Kriegsverbrechen vor. Westliche Diplomaten oder Staatsgäste, die in der Vergangenheit neben Putin auf der Ehrentribüne die Befreiung Europas vom Nationalsozialismus begingen, bleiben diesmal fern.
Feiern mit Putin, während russische Kampfflieger und Kriegsschiffe Raketen auf die Ukraine abfeuern und dort töten - das ist unvorstellbar. Die stets weltweit beachtete Parade steht in diesem Jahr ganz im Zeichen des Kriegs, auch wenn den im offiziellen Moskau weiterhin niemand so nennt. Am Himmel über dem Roten Platz sollen acht russische Kampfflugzeuge den Buchstaben „Z“ formen, das Symbol für die „militärische Spezial-Operation“.
Wer in Russland die Invasion öffentlich kritisiert oder auch nur das Wort Krieg verwendet, riskiert Ausgrenzung, Verfolgung durch die Behörden und harte Bestrafung. Es gab bereits tausende Festnahmen. Kritik am Vorgehen des Militärs kann auch mit Haftstrafen geahndet werden.
Auch in vielen anderen Städten wird es heute Militärparaden geben. Erwartet werden Hunderttausende patriotisch gestimmte Schaulustige. In Moskau werden nach Angaben des Verteidigungsministeriums die in der Ukraine eingesetzten Iskander-Raketen zu sehen sein. Gezeigt werden auch Kampfpanzer wie der modernste Typ T-14, die Luftabwehrsysteme S-400, Buk-M3 und Tor-M2, Kampfroboter vom Typ Uran-9 und mit Atomsprengköpfen bestückbare Interkontinentalraketen.
Was der eigenen Bevölkerung als Beruhigung dienen soll, dass die Atommacht ihre Sicherheit schützt, soll im Westen Angst und Schrecken hervorrufen. Bei einer Flugshow sollen Kampfjets, Langstreckenbomber und die als „Weltuntergangsflugzeug“ bekannte Iljuschin Il-80 aufsteigen. Der fliegende Gefechtsstand ist für den Fall eines Atomkriegs konzipiert, sollten am Boden keine Kommandozentralen mehr funktionieren.
Putin, der nun erstmals in seiner über 20-jährigen Regentschaft das Nukleararsenal in erhöhte Alarmbereitschaft versetzen ließ, dürfte in seiner Rede zur Parade einmal mehr die USA und die Nato vor Angriffen auf Russland warnen. Was der 69-Jährige sagen wird, wird mit Spannung erwartet. Fast traditionell beklagt er in solchen Reden, dass der ruhmreiche Sieg der Sowjetarmee heute vielerorts in den Schmutz gezogen werde.
So lösten blutrote Schmierereien am großen Ehrenmal für die sowjetischen Befreier vom Faschismus in Berlin Entsetzen in Moskau aus. „Tod allen Russen“ und „Ukrainisches Blut an russischen Händen“ war da zu lesen. Russische Diplomaten sprachen von „ekelhaftem Vandalismus“. Alle Versuche, „in Deutschland russenfeindliche Stimmung zu säen und die russischsprachigen Bürger zu diskriminieren“, müssten unterbunden werden.
Dass sich Russland zu solchen Appellen veranlasst sieht, ist nur eine der vielen Folgen von Putins Krieg. Die Historikerin Tanja Penter sieht auch einen Wandel in Deutschlands Erinnerungskultur mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg. Lange seien die 27 Millionen Kriegstoten der Sowjetunion mit russischen Opfern gleichgesetzt worden. „Das war eine Fehlwahrnehmung“, sagt die Professorin für Osteuropäische Geschichte an der Universität Heidelberg.
Auch Ukrainer, Belarussen und andere Nicht-Russen seien am Sieg über den Nationalsozialismus beteiligt gewesen. Während in Russland die Erinnerung an den heldenhaften Sieg über Hitler identitätsstiftend sei, habe sich die Ukraine „schon länger auf die Opfer konzentriert“, sagt Penter. Dort wird das Ende des Zweiten Weltkriegs kaum noch gefeiert. Alle Hoffnungen richten sich auf einen Sieg gegen den großen Nachbarn.
Die Entwicklung in Russland hingegen hält Penter für skandalös. „Der heutige Angriffskrieg wird ja im Prinzip der russischen Bevölkerung als eine Fortsetzung des Kriegs gegen Faschismus und die Nationalsozialisten verkauft.“ Zur Frage, ob der Krieg den Sieg im Zweiten Weltkrieg entwerten könnte, meint sie aber: „Man muss das trennen. Die Leistungen der Sowjetunion bei der Niederschlagung des Nationalsozialismus, wofür wir auch dankbar sein müssen, werden ja nicht dadurch geschmälert.“ Tatsache sei aber, dass es kein Sieg nur Russlands war, sondern aller Völker der Sowjetunion.
Der Krieg in der Ukraine jedenfalls wird am 9. Mai nicht beendet sein. Befürchtungen, Putin könnte offiziell den Kriegszustand ausrufen und zur Generalmobilmachung blasen, damit sein Militär vorankommt, weist der Kreml zurück. Aber niemand traut diesen Worten noch. Zugleich weiß auch Putin, dass die Stimmung kippen könnte. Schon jetzt fliegen vereinzelt Molotowcocktails gegen Staatsorgane. Es formiert sich Widerstand von Müttern etwa in der Nordkaukasusrepublik Dagestan, wo es viele Gräber von in der Ukraine getöteten Soldaten gibt.
Außenminister Sergej Lawrow sagte auf die Frage nach einem möglichen Ende des Ukraine-Kriegs zum 9. Mai, Russland richte sich nicht nach solchen Daten. „Das Tempo der Umsetzung der Operation in der Ukraine hängt vor allem von der Notwendigkeit ab, alle beliebigen Risiken für die Zivilbevölkerung und die russischen Soldaten so gering wie möglich zu halten.“ Eines gilt jedoch als sicher: Eine Niederlage in der Ukraine will Putin um keinen Preis zulassen.
Moskau
Auf dem Roten Platz ist alles bereit für die große Militärparade zum 77. Jahrestag des Siegs der Sowjetunion über Nazi-Deutschland und Diktator Adolf Hitler. Doch wenn heute zum 9. Mai im Herzen Moskaus 11 000 Soldaten aufmarschieren, Panzer übers Kopfsteinpflaster donnern und Raketen vorgezeigt werden, dürfte Kremlchef Wladimir Putin kaum in stolzer Stimmung sein. Der Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte hat einen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen, dessen Ausgang ungewiss ist. Das Blutvergießen kratzt auch am Ruf der Siegermacht von 1945.
Seit Putin am 24. Februar seine Armee ins Nachbarland einmarschieren ließ, gehen Bilder der Zerstörung, der Bomben gegen zivile Infrastruktur und vieler Leichen um die Welt. Deutschland wirft Russland wie viele andere Staaten Kriegsverbrechen vor. Westliche Diplomaten oder Staatsgäste, die in der Vergangenheit neben Putin auf der Ehrentribüne die Befreiung Europas vom Nationalsozialismus begingen, bleiben diesmal fern.
Feiern mit Putin, während russische Kampfflieger und Kriegsschiffe Raketen auf die Ukraine abfeuern und dort töten - das ist unvorstellbar. Die stets weltweit beachtete Parade steht in diesem Jahr ganz im Zeichen des Kriegs, auch wenn den im offiziellen Moskau weiterhin niemand so nennt. Am Himmel über dem Roten Platz sollen acht russische Kampfflugzeuge den Buchstaben „Z“ formen, das Symbol für die „militärische Spezial-Operation“.
Wer in Russland die Invasion öffentlich kritisiert oder auch nur das Wort Krieg verwendet, riskiert Ausgrenzung, Verfolgung durch die Behörden und harte Bestrafung. Es gab bereits tausende Festnahmen. Kritik am Vorgehen des Militärs kann auch mit Haftstrafen geahndet werden.
Auch in vielen anderen Städten wird es heute Militärparaden geben. Erwartet werden Hunderttausende patriotisch gestimmte Schaulustige. In Moskau werden nach Angaben des Verteidigungsministeriums die in der Ukraine eingesetzten Iskander-Raketen zu sehen sein. Gezeigt werden auch Kampfpanzer wie der modernste Typ T-14, die Luftabwehrsysteme S-400, Buk-M3 und Tor-M2, Kampfroboter vom Typ Uran-9 und mit Atomsprengköpfen bestückbare Interkontinentalraketen.
Was der eigenen Bevölkerung als Beruhigung dienen soll, dass die Atommacht ihre Sicherheit schützt, soll im Westen Angst und Schrecken hervorrufen. Bei einer Flugshow sollen Kampfjets, Langstreckenbomber und die als „Weltuntergangsflugzeug“ bekannte Iljuschin Il-80 aufsteigen. Der fliegende Gefechtsstand ist für den Fall eines Atomkriegs konzipiert, sollten am Boden keine Kommandozentralen mehr funktionieren.
Putin, der nun erstmals in seiner über 20-jährigen Regentschaft das Nukleararsenal in erhöhte Alarmbereitschaft versetzen ließ, dürfte in seiner Rede zur Parade einmal mehr die USA und die Nato vor Angriffen auf Russland warnen. Was der 69-Jährige sagen wird, wird mit Spannung erwartet. Fast traditionell beklagt er in solchen Reden, dass der ruhmreiche Sieg der Sowjetarmee heute vielerorts in den Schmutz gezogen werde.
So lösten blutrote Schmierereien am großen Ehrenmal für die sowjetischen Befreier vom Faschismus in Berlin Entsetzen in Moskau aus. „Tod allen Russen“ und „Ukrainisches Blut an russischen Händen“ war da zu lesen. Russische Diplomaten sprachen von „ekelhaftem Vandalismus“. Alle Versuche, „in Deutschland russenfeindliche Stimmung zu säen und die russischsprachigen Bürger zu diskriminieren“, müssten unterbunden werden.
Dass sich Russland zu solchen Appellen veranlasst sieht, ist nur eine der vielen Folgen von Putins Krieg. Die Historikerin Tanja Penter sieht auch einen Wandel in Deutschlands Erinnerungskultur mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg. Lange seien die 27 Millionen Kriegstoten der Sowjetunion mit russischen Opfern gleichgesetzt worden. „Das war eine Fehlwahrnehmung“, sagt die Professorin für Osteuropäische Geschichte an der Universität Heidelberg.
Auch Ukrainer, Belarussen und andere Nicht-Russen seien am Sieg über den Nationalsozialismus beteiligt gewesen. Während in Russland die Erinnerung an den heldenhaften Sieg über Hitler identitätsstiftend sei, habe sich die Ukraine „schon länger auf die Opfer konzentriert“, sagt Penter. Dort wird das Ende des Zweiten Weltkriegs kaum noch gefeiert. Alle Hoffnungen richten sich auf einen Sieg gegen den großen Nachbarn.
Die Entwicklung in Russland hingegen hält Penter für skandalös. „Der heutige Angriffskrieg wird ja im Prinzip der russischen Bevölkerung als eine Fortsetzung des Kriegs gegen Faschismus und die Nationalsozialisten verkauft.“ Zur Frage, ob der Krieg den Sieg im Zweiten Weltkrieg entwerten könnte, meint sie aber: „Man muss das trennen. Die Leistungen der Sowjetunion bei der Niederschlagung des Nationalsozialismus, wofür wir auch dankbar sein müssen, werden ja nicht dadurch geschmälert.“ Tatsache sei aber, dass es kein Sieg nur Russlands war, sondern aller Völker der Sowjetunion.
Der Krieg in der Ukraine jedenfalls wird am 9. Mai nicht beendet sein. Befürchtungen, Putin könnte offiziell den Kriegszustand ausrufen und zur Generalmobilmachung blasen, damit sein Militär vorankommt, weist der Kreml zurück. Aber niemand traut diesen Worten noch. Zugleich weiß auch Putin, dass die Stimmung kippen könnte. Schon jetzt fliegen vereinzelt Molotowcocktails gegen Staatsorgane. Es formiert sich Widerstand von Müttern etwa in der Nordkaukasusrepublik Dagestan, wo es viele Gräber von in der Ukraine getöteten Soldaten gibt.
Außenminister Sergej Lawrow sagte auf die Frage nach einem möglichen Ende des Ukraine-Kriegs zum 9. Mai, Russland richte sich nicht nach solchen Daten. „Das Tempo der Umsetzung der Operation in der Ukraine hängt vor allem von der Notwendigkeit ab, alle beliebigen Risiken für die Zivilbevölkerung und die russischen Soldaten so gering wie möglich zu halten.“ Eines gilt jedoch als sicher: Eine Niederlage in der Ukraine will Putin um keinen Preis zulassen.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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