Stabil instabil ist die Norm
Sicherheitslage in Nordirland bleibt angespannt
Vor 50 Jahren gehörte der Bombenterror der IRA fast zum Alltag. Zwar haben die Militanten längst an Bedeutung verloren. Doch mehrere Vorfälle machen klar: Auch 25 Jahre nach dem Bürgerkrieg ist Sicherheit in Nordirland alles andere als die Norm.
Von Benedikt von Imhoff, dpa
Belfast
Wie ein Geschwür macht sich das Misstrauen wieder breit in Nordirland. Wem kann man glauben, was ist Provokation, und was ist echte Drohung? Seit fast einem Jahr ohne Regierung ist ein weiterer Pfeiler des fragilen politischen und gesellschaftlichen Konstrukts Nordirland mindestens angeknackst: die Polizei. Weil der Police Service of Northern Island (PSNI) aus Versehen persönliche Angaben zu allen 10 000 Beamten und Beschäftigten herausgab, leben zahlreiche Menschen in Angst - vor allem, seit klar ist, dass die Information in die Hände militanter Gruppen gelangt sind.
«Das Sammeln von Information ist wesentlicher Bestandteil der Terrorplanung, und diese Aufgabe wurde erleichtert», sagt Richard English, Politikprofessor an der Queen's University Belfast und Autor eines Buchs über die Terrororganisation IRA. Wie gefährdet Polizisten sind, zeigt das Attentat auf John Caldwell. Der Top-Ermittler wurde - vermutlich von militanten Republikanern - im Frühling in der Stadt Omagh vor den Augen seines Sohns und weiterer Teenager niedergeschossen. Caldwell überlebte schwer verletzt.
Jahrzehnte kämpfte die katholisch-republikanische IRA für eine Wiedervereinigung der britischen Provinz mit dem Nachbarland Irland. Im Sommer 1973, vor 50 Jahren, ließ die IRA in englischen Städten mehrere Bomben detonieren. Am 8. und 10. September traf es die Londoner Bahnhöfe Victoria, King's Cross und Euston. Aufseiten der protestantischen Befürworter der Union mit Großbritannien griffen im Bürgerkrieg ebenfalls Radikale zu den Waffen. Tausende starben, darunter hunderte Polizisten und etliche Zivilisten.
Die beispiellose Datenpanne ist nicht der einzige Vorfall in jüngerer Zeit. Ein Computer mit sensiblen Informationen wurde auf dem Dach eines Polizeiautos vergessen - als der Wagen losfuhr, zerschellte der Laptop auf der Straße. Jüngst urteilte ein Gericht, dass Polizeichef Simon Byrne zu Unrecht gegen zwei junge Beamte disziplinarische Maßnahmen verhängt hatte. Die Zeitung ,,Belfast Telegraph" berichtet, dass Byrne innerhalb der PSNI kein Vertrauen mehr genieße. Am Montagabend trat er schließlich zurück. Dabei steht die wohl am stärksten gefährdetste Polizeibehörde des Landes vor enormen Herausforderungen. Byrne hat wiederholt mehr Beamte und mehr Geld gefordert, doch das politische Vakuum hemmt.
Seit bald anderthalb Jahren boykottiert die wichtigste protestantische Kraft DUP die vorgeschriebene Einheitsregierung mit der stärksten katholischen Partei Sinn Fein. Die DUP fordert ultimativ die Abschaffung der Brexit-Sonderregeln für Nordirland, die Großbritannien mit der EU beschlossen hatte. Längst ist auch das Parlament in Belfast nicht mehr arbeitsfähig. Das letzte Wort hat der britische Nordirland-Minister Chris Heaton-Harris.
Zwar gebe es derzeit keine Hinweise und auch keine Grundlage dafür, dass Gewalt in größerem Maßstab auf Nordirlands Straßen zurückkehrt, sagt Experte English. Aber: ,,Langfristig könnte das Scheitern der nordirischen Politik dazu führen, dass die Unzufriedenheit mit den aktuellen Regelungen zunimmt."
Auch wenn der Einfluss der Paramilitärs seit dem Karfreitagsabkommen 1998 massiv abgenommen hat, vor allem republikanische Splittergruppen wie die sogenannte Neue IRA seien ,,gelegentlich zu tödlicher Gewalt fähig, und es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass sie ganz verschwinden werden", so English. Auf protestantisch-unionistischer Seite gebe es sogar deutlich mehr Militante. Experten zufolge gilt ihre Gewalt aber mehr dem Drogenhandel als dem politischen Kampf.
Seit der Datenpanne sind noch keine Angriffe auf Beamte bekanntgeworden. Aber die Spannung ist enorm. Kürzlich tauchte an einer Bushaltestelle im Ort Dungiven ein Poster mit Angaben zu drei mutmaßlichen PSNI-Mitgliedern auf. ,,Wir haben die Betroffenen kontaktiert, um sie auf die Auswirkungen aufmerksam zu machen, die dies auf sie und ihre Familien haben könnte", sagte der stellvertretende Polizeichef Chris Todd. Auch 25 Jahre nach dem Bürgerkrieg erzählen viele Polizeimitarbeiter - vor allem Katholiken - nicht einmal Verwandten, welchem Job sie nachgehen.
Belfast
Wie ein Geschwür macht sich das Misstrauen wieder breit in Nordirland. Wem kann man glauben, was ist Provokation, und was ist echte Drohung? Seit fast einem Jahr ohne Regierung ist ein weiterer Pfeiler des fragilen politischen und gesellschaftlichen Konstrukts Nordirland mindestens angeknackst: die Polizei. Weil der Police Service of Northern Island (PSNI) aus Versehen persönliche Angaben zu allen 10 000 Beamten und Beschäftigten herausgab, leben zahlreiche Menschen in Angst - vor allem, seit klar ist, dass die Information in die Hände militanter Gruppen gelangt sind.
«Das Sammeln von Information ist wesentlicher Bestandteil der Terrorplanung, und diese Aufgabe wurde erleichtert», sagt Richard English, Politikprofessor an der Queen's University Belfast und Autor eines Buchs über die Terrororganisation IRA. Wie gefährdet Polizisten sind, zeigt das Attentat auf John Caldwell. Der Top-Ermittler wurde - vermutlich von militanten Republikanern - im Frühling in der Stadt Omagh vor den Augen seines Sohns und weiterer Teenager niedergeschossen. Caldwell überlebte schwer verletzt.
Jahrzehnte kämpfte die katholisch-republikanische IRA für eine Wiedervereinigung der britischen Provinz mit dem Nachbarland Irland. Im Sommer 1973, vor 50 Jahren, ließ die IRA in englischen Städten mehrere Bomben detonieren. Am 8. und 10. September traf es die Londoner Bahnhöfe Victoria, King's Cross und Euston. Aufseiten der protestantischen Befürworter der Union mit Großbritannien griffen im Bürgerkrieg ebenfalls Radikale zu den Waffen. Tausende starben, darunter hunderte Polizisten und etliche Zivilisten.
Die beispiellose Datenpanne ist nicht der einzige Vorfall in jüngerer Zeit. Ein Computer mit sensiblen Informationen wurde auf dem Dach eines Polizeiautos vergessen - als der Wagen losfuhr, zerschellte der Laptop auf der Straße. Jüngst urteilte ein Gericht, dass Polizeichef Simon Byrne zu Unrecht gegen zwei junge Beamte disziplinarische Maßnahmen verhängt hatte. Die Zeitung ,,Belfast Telegraph" berichtet, dass Byrne innerhalb der PSNI kein Vertrauen mehr genieße. Am Montagabend trat er schließlich zurück. Dabei steht die wohl am stärksten gefährdetste Polizeibehörde des Landes vor enormen Herausforderungen. Byrne hat wiederholt mehr Beamte und mehr Geld gefordert, doch das politische Vakuum hemmt.
Seit bald anderthalb Jahren boykottiert die wichtigste protestantische Kraft DUP die vorgeschriebene Einheitsregierung mit der stärksten katholischen Partei Sinn Fein. Die DUP fordert ultimativ die Abschaffung der Brexit-Sonderregeln für Nordirland, die Großbritannien mit der EU beschlossen hatte. Längst ist auch das Parlament in Belfast nicht mehr arbeitsfähig. Das letzte Wort hat der britische Nordirland-Minister Chris Heaton-Harris.
Zwar gebe es derzeit keine Hinweise und auch keine Grundlage dafür, dass Gewalt in größerem Maßstab auf Nordirlands Straßen zurückkehrt, sagt Experte English. Aber: ,,Langfristig könnte das Scheitern der nordirischen Politik dazu führen, dass die Unzufriedenheit mit den aktuellen Regelungen zunimmt."
Auch wenn der Einfluss der Paramilitärs seit dem Karfreitagsabkommen 1998 massiv abgenommen hat, vor allem republikanische Splittergruppen wie die sogenannte Neue IRA seien ,,gelegentlich zu tödlicher Gewalt fähig, und es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass sie ganz verschwinden werden", so English. Auf protestantisch-unionistischer Seite gebe es sogar deutlich mehr Militante. Experten zufolge gilt ihre Gewalt aber mehr dem Drogenhandel als dem politischen Kampf.
Seit der Datenpanne sind noch keine Angriffe auf Beamte bekanntgeworden. Aber die Spannung ist enorm. Kürzlich tauchte an einer Bushaltestelle im Ort Dungiven ein Poster mit Angaben zu drei mutmaßlichen PSNI-Mitgliedern auf. ,,Wir haben die Betroffenen kontaktiert, um sie auf die Auswirkungen aufmerksam zu machen, die dies auf sie und ihre Familien haben könnte", sagte der stellvertretende Polizeichef Chris Todd. Auch 25 Jahre nach dem Bürgerkrieg erzählen viele Polizeimitarbeiter - vor allem Katholiken - nicht einmal Verwandten, welchem Job sie nachgehen.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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