Er konnte nicht anders
Südafrikas Friedensnobelpreisträger und Anti-Apartheid-Ikone Desmond Tutu ist verstorben
Dass der kleine Mann mit dem ansteckenden Lachen und dem einfachen Namen viel Temperament hatte, wusste in Südafrika jeder. Doch dass Desmond Tutu nach allem, was er unter der Apartheid durchlebt hatte, sich noch einmal derart empören konnte, war schon bemerkenswert – und ein Glücksfall für Südafrikas junge Demokratie. Gerade wegen seines Naturells war der Friedensnobelpreisträger auch so zornig darüber, dass ausgerechnet der von ihm jahrelang protegierte Afrikanische Nationalkongress (ANC), Südafrikas frühere Widerstandsbewegung und heutige Regierung, vor zehn Jahren die Dreistigkeit besaß, dem Dalai Lama, einem weiteren Friedensnobelpreisträger, die Einreise zu Tutus 80. Geburtstag nach Südafrika zu verwehren. „Wir werden für die Ablösung dieser Regierung beten, genau wie wir einst für das Ende der Apartheidregierung beteten“, schäumte Tutu damals. „Denn diese Regierung ist schlimmer als das Apartheidregime, schon weil man von dem solche Dinge erwarten durfte.“ Es war das letzte Mal, dass sich Tutu nach dem selbst verordneten Ruhestand noch einmal politisch richtig lautstark zu Wort meldete. Am Sonntag ist der Friedensnobelpreisträger und frühere Kapstädter Erzbischof kurz nach seinem 90. Geburtstag friedlich verstorben.
Selten hatte man Tutu selbst zuvor aufgebrachter erlebt als bei seinem Protest gegen das Einreiseverbot für den Dalai Lama. Immer wieder erzählte er deshalb auch in seinen letzten Jahren, wie „entsetzt“ er über den „moralischen Abstieg“ der einstigen Widerstandsbewegung sei. „Der ANC scheint zu glauben, er allein habe Südafrika die Freiheit gebracht. Und alle anderen seien im Befreiungskampf nur Statisten gewesen. Was für ein absurder Trugschluss.“
Tutus Abrechnung mit den Erben Mandelas und deren Machtgier, Arroganz und Eigensucht war bis zuletzt gnadenlos. Umso mehr überrascht, dass ausgerechnet der gegenwärtige Präsident Cyril Ramaphosa Tutus Tod am Sonntag offiziell bekanntgab. Dennoch war es irgendwie auch konsequent .Nachdem sich Nelson Mandela, der 2013 verstorbene erste schwarze Präsident Südafrikas, Anfang des Jahrtausends ins Private zurückgezogen hatte, war Tutu zum moralischen Gewissen der „Regenbogennation“ geworden, wie er das „neue Südafrika“ einst selbst beschrieb. Denn eine seiner Stärken war es, bei allen Mahnungen auch stets die positive Seite zu sehen. Als Tutu vor 25 Jahren erfuhr, dass er schwer an Prostatakrebs litt, ließ er sich zumindest äußerlich nicht aus der Fassung bringen „Es hätte viel schlimmer kommen können“, scherzte er damals. „Ich hätte mein Gedächtnis verlieren können.“
In der erzkonservativen Bergbaustadt Klerksdorp, südwestlich von Johannesburg, geboren, arbeitete Tutu zunächst als Lehrer. 1961 wurde er Priester und stieg in der Kirchenhierarchie rasch auf. Weltweit bekannt wurde Tutu dann in den frühen 80er Jahren mit der Ernennung zum ersten schwarzen Bischof von Johannesburg. 1986 wurde er zum Erzbischof von Kapstadt gewählt – zu einer Zeit als das Apartheidsystem in seinen Totenwehen lag. Wegen seiner Verdienste um den Befreiungskampf erhielt er 1984 den Friedensnobelpreis. Damals hatte Tutu, der zugibt, die ihm entgegengebrachte Aufmerksamkeit sehr zu mögen, den Part des Politikers noch eher widerstrebend gespielt. Doch als das Apartheidregime 1985 den Ausnahmezustand über das Land verhängte und fast die gesamte Opposition verbot, sah er sich als Stellvertreter für alle jene, die damals keine Stimme hatten.
Nach dem Ende der Apartheid im Jahre 1994 engagierte sich Tutu mit Nachdruck für Frieden und Aussöhnung in Südafrika. Auf Bitten Mandelas übernahm er 1996 den Vorsitz der Wahrheits- und Versöhnungskommission, die die Verbrechen der Apartheid-Zeit auf allen Seiten aufarbeitete. Er verfolgte dabei das Motto „Vergeben, aber nicht vergessen“. Anders als viele seiner damaligen Mitstreiter hat er sich aber auch im „befreiten“ Südafrika nie gescheut, seine alten Verbündeten in der Anti-Apartheidbewegung und den ANC dabei offen und hart zu kritisieren, zumal wenn diese ihre Ideale eklatant für einen Scheck aus China oder dem Iran verrieten.
Dass Tutu den Stab nahtlos von Mandela übernahm und zum Schutzpatron der jungen Demokratie am Kap wurde, kann deshalb nicht überraschen. Er hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass sein christliches Selbstverständnis und der Wunsch um Aussöhnung zwischen Schwarz und Weiß alle Parteiloyalitäten übersteigen. Als Tutu einst gefragt wurde, ob er trotz Ruhestand und Krankheit am Ende vielleicht doch bis zuletzt politisch aktiv und seine Meinung kundtun wolle, erwiderte er nachdenklich: „Wir sagen immer, der Mensch habe einen freien Willen. Doch das stimmt so nicht ganz. Es ist eher wie Martin Luther einst sagte: Hier stehe ich und kann nicht anders.“Gastbeitrag von Wolfgang Drechsler
Selten hatte man Tutu selbst zuvor aufgebrachter erlebt als bei seinem Protest gegen das Einreiseverbot für den Dalai Lama. Immer wieder erzählte er deshalb auch in seinen letzten Jahren, wie „entsetzt“ er über den „moralischen Abstieg“ der einstigen Widerstandsbewegung sei. „Der ANC scheint zu glauben, er allein habe Südafrika die Freiheit gebracht. Und alle anderen seien im Befreiungskampf nur Statisten gewesen. Was für ein absurder Trugschluss.“
Tutus Abrechnung mit den Erben Mandelas und deren Machtgier, Arroganz und Eigensucht war bis zuletzt gnadenlos. Umso mehr überrascht, dass ausgerechnet der gegenwärtige Präsident Cyril Ramaphosa Tutus Tod am Sonntag offiziell bekanntgab. Dennoch war es irgendwie auch konsequent .Nachdem sich Nelson Mandela, der 2013 verstorbene erste schwarze Präsident Südafrikas, Anfang des Jahrtausends ins Private zurückgezogen hatte, war Tutu zum moralischen Gewissen der „Regenbogennation“ geworden, wie er das „neue Südafrika“ einst selbst beschrieb. Denn eine seiner Stärken war es, bei allen Mahnungen auch stets die positive Seite zu sehen. Als Tutu vor 25 Jahren erfuhr, dass er schwer an Prostatakrebs litt, ließ er sich zumindest äußerlich nicht aus der Fassung bringen „Es hätte viel schlimmer kommen können“, scherzte er damals. „Ich hätte mein Gedächtnis verlieren können.“
In der erzkonservativen Bergbaustadt Klerksdorp, südwestlich von Johannesburg, geboren, arbeitete Tutu zunächst als Lehrer. 1961 wurde er Priester und stieg in der Kirchenhierarchie rasch auf. Weltweit bekannt wurde Tutu dann in den frühen 80er Jahren mit der Ernennung zum ersten schwarzen Bischof von Johannesburg. 1986 wurde er zum Erzbischof von Kapstadt gewählt – zu einer Zeit als das Apartheidsystem in seinen Totenwehen lag. Wegen seiner Verdienste um den Befreiungskampf erhielt er 1984 den Friedensnobelpreis. Damals hatte Tutu, der zugibt, die ihm entgegengebrachte Aufmerksamkeit sehr zu mögen, den Part des Politikers noch eher widerstrebend gespielt. Doch als das Apartheidregime 1985 den Ausnahmezustand über das Land verhängte und fast die gesamte Opposition verbot, sah er sich als Stellvertreter für alle jene, die damals keine Stimme hatten.
Nach dem Ende der Apartheid im Jahre 1994 engagierte sich Tutu mit Nachdruck für Frieden und Aussöhnung in Südafrika. Auf Bitten Mandelas übernahm er 1996 den Vorsitz der Wahrheits- und Versöhnungskommission, die die Verbrechen der Apartheid-Zeit auf allen Seiten aufarbeitete. Er verfolgte dabei das Motto „Vergeben, aber nicht vergessen“. Anders als viele seiner damaligen Mitstreiter hat er sich aber auch im „befreiten“ Südafrika nie gescheut, seine alten Verbündeten in der Anti-Apartheidbewegung und den ANC dabei offen und hart zu kritisieren, zumal wenn diese ihre Ideale eklatant für einen Scheck aus China oder dem Iran verrieten.
Dass Tutu den Stab nahtlos von Mandela übernahm und zum Schutzpatron der jungen Demokratie am Kap wurde, kann deshalb nicht überraschen. Er hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass sein christliches Selbstverständnis und der Wunsch um Aussöhnung zwischen Schwarz und Weiß alle Parteiloyalitäten übersteigen. Als Tutu einst gefragt wurde, ob er trotz Ruhestand und Krankheit am Ende vielleicht doch bis zuletzt politisch aktiv und seine Meinung kundtun wolle, erwiderte er nachdenklich: „Wir sagen immer, der Mensch habe einen freien Willen. Doch das stimmt so nicht ganz. Es ist eher wie Martin Luther einst sagte: Hier stehe ich und kann nicht anders.“Gastbeitrag von Wolfgang Drechsler
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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