Der Mann für's Grobe: Uli Borowka wird 60
Bremen
Als gar nichts mehr geht, die Fußballkarriere im Eimer und die Familie vor seinen Ausbrüchen geflohen ist und der Alkohol mal wieder von ihm Besitz ergriffen hat, versucht sich Uli Borowka das Leben zu nehmen. Im Frühjahr 2000 liegen seine großen Zeiten als knallharter Verteidiger zwar nur ein paar Jahre zurück, erscheinen aber wie aus einer anderen Zeit.
Bei Borussia Mönchengladbach zu einem der besten Defensivspieler gereift, ist Borowka bei Werder Bremen zum Nationalspieler und Publikumsliebling aufgestiegen, hat Meisterschaften und Pokale gewonnen. Schon da wissen die Verantwortlichen aber von seinen Problemen. „Wir haben immer gesagt, Uli, wir geben dir Leute, die davon Ahnung haben. Er hat das immer negiert. Vielleicht waren wir am Anfang nicht hart genug“, sagte der damalige Werder-Manager Willi Lemke einmal der „Berliner Zeitung“.
Vier Jahre nach dem Triumph im Europacup-Endspiel gegen die AS Monaco wacht Borowka in seiner leeren Bremer Villa auf, ein alkoholkrankes Wrack, dem das Leben aus den Händen geglitten ist. Tageskonsum: eine Kiste Bier und zwei Flaschen Wodka. Borowka, 37 Jahre alt, vermengt Schmerzmittel und andere Medikamente mit Resten von Rotwein und Bier und leert das Glas auf einen Zug.
Seinen Suizidversuch hat Uli Borowka glücklicherweise überlebt. Und was noch viel beeindruckender ist: auch den Kampf gegen die Droge Alkohol. Wenn er an diesem Donnerstag 60 Jahre alt wird, ist er seit knapp 22 Jahren trocken. Borowka hat fast 400 Bundesligaspiele absolviert, sechs Titel gewonnen, doch an diesen Erfolg, aufgestellt in einer Suchtklinik in Fredeburg, kommen kein Sieg und keine gelungene Blutgrätsche heran.
Überwältigendes Echo auf Offenheit
Den Zweikampf gegen die Sucht führt der EM-Teilnehmer von 1988 bis heute. Seine 2012 erschienene Biografie „Volle Pulle“ und das überwältigende Echo auf seine schonungslose Offenheit motivierten Borowka zur Gründung des Vereins „Suchtprävention und Suchthilfe e.V.“. Seitdem ist er regelmäßig in Schulen, Firmen oder Gefängnissen zu Gast, um über seine Erfahrungen zu sprechen. Längst hat er sich als einer der prominentesten Suchtexperten profiliert.
„Ich bekomme regelmäßig Nachrichten von suchtkranken Menschen - Leistungssportler, Journalisten, Handwerker, Soldaten, Juristen, da ist alles dabei. Und in der Regel sind die Leute randvoll, wenn sie mich anrufen. Ich sage dann: Toll, dass du den Mut gefunden hast, dich bei mir zu melden. Aber bitte ruf mich wieder an, wenn du nüchtern bist“, erzählt Borowka von seinem Alltag.
Er sieht sich als erster Ansprechpartner, der die Hilfesuchenden an professionelle Anlaufstellen weitervermittelt. Und natürlich als Frontmann in der Prävention, ganz besonders für Kinder und Jugendliche. „Dass ich mit meinen 60 Jahren junge Menschen erreichen kann, macht mich besonders stolz. Und gibt mir die Kraft, um weiterzumachen.“
„Immer mehr Menschen brauchen Hilfe“
Die Corona-Pandemie hat auch Borowkas Leben und Wirken gewaltig ausgebremst. Die Anfragen von Hilfesuchenden haben sich verzehnfacht, gleichzeitig ist die Unterstützung für seine Arbeit immer weniger geworden. Borowka fühlt sich desillusioniert von Politikern und Entscheidungsträgern, denen jegliche Kenntnis sowie Verständnis für die Materie Sucht und Prävention fehlt. „In den vergangenen zwei Jahren ist viel zusammengebrochen. Immer mehr Menschen brauchen Hilfe, doch die strukturellen Probleme bei der Bekämpfung von Süchten sind nur noch größer geworden.“
Und nicht zuletzt hat ihn die Krise auch persönlich betroffen: Lesungen, Vorträge oder andere Auftritte wurden abgesagt, der selbstständige Suchtexperte fühlt sich „ausgelutscht wie eine Zitrone“. Als trockener Alkoholiker lebe man ohnehin in ständiger Gefährdung vor dem Rückfall, die vergangenen Monate, sagt Borowka, hätte er ohne die Unterstützung seiner Frau Claudia vermutlich nicht schadenfrei überstanden.
Doch Uli Borowka wäre nicht Uli Borowka, wenn er nicht auch diese Herausforderung als Chance begreifen würde. Zwei Stunden nach dem Gespräch schickt Borowka eine Sprachnachricht: „Obwohl wir da ein schweres Feld bearbeiten, habe ich nach wie vor Energie und Lust, Menschen zu helfen. Da werden mich die Rückschläge der jüngeren Vergangenheit auch nicht aufhalten.“
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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