Augenblick der Besinnung
Ich bin jetzt befördert worden – zum RentNARR – und hatte folglich Zeit, die offizielle Regionaltrauerfeier für unseren verstorbenen Präsidenten zu besuchen. Super organisiert, sehr würdevoll, aber das Programm von einer Länge bis Usakos. Und keine/r verließ das Sportfeld! Auch ich saß, mit der Namibiaflagge um die Schultern gehüllt, in Sonne, Hitze, Wind und Kälte. Swakopwetter eben. Bis ich aus Protest den Platz verließ. Gegen Ende der Trauerfeier waren nämlich Kirchenvertreter dran, und ihre endlosen Schlussgebete wiederholten geradezu den Inhalt der vielen Lobesnachrufe. Sinngemäß dankten sie für den neuen Nationalhelden. Dem konnte ich sogar noch zustimmen, denn ich hatte kurz nach der Unabhängigkeit den frischgebackenen Premier Geingob live erlebt gehabt, wie er eine aufgebrachte DTA Menge beruhigte. Der DTA Bürgermeister von Omaruru war damals ermordet worden, alle redeten von politischem Mord und dachten an den zuvor ermordeten SWAPO Anton Lubowski. Später stellte sich jedoch einwandfrei Raubmord heraus. Dass der Premier zur Trauerfeier angereist kam, sich dem lauten Raunen der DTA Menge ungeschützt aussetzte und brückenschlagende Friedensworte fand, war für mich als blutjungen master of ceremonies überwältigend. Die ökumenische Gottesdienstmenge im Lunapark ging danach friedlich auseinander. Wieso war ich jetzt so verärgert? Das hängt mit der Geschichte über vier Generationen zusammen, die ich in etwa überblicken kann. Mein Standpunkt: Die kritiklose, geradezu anhimmelnde Verherrlichung damals von Kaiser oder Führer oder Stalin oder Verwoerd, eine Verherrlichung irgendeines/r Sterblichen gehört nicht in ein öffentliches christliches Gebet. Und ich behaupte sogar, dass der Lutheraner Hage Geingob sich angesichts seiner Verherrlichung im Grab umgedreht hätte. Bejubelung durch seine politische Partei - warum nicht? Applaus für hervorstechende Errungenschaften – warum nicht? Der weiße afrikaanse Bürgermeister von Hentiesbay erhielt bei der Trauerfeier den allermeisten Applaus von der fast ausschließlich schwarzen Menge:„Warum loben wir Menschen einander erst, wenn der Andere tot ist?“, fragte er in breitem Afrikaans. O ja, dachte ich, gerade wir Deutschsprachigen im Lande haben dem Premier und späteren Präsidenten viel zu verdanken. Und natürlich haben Viele viel an ihm zu bekritteln. Ich auch. Warum auch nicht? Aber gerade in einem gottesdienstlichen Gebet darf, nein, soll für jeden fehlerhaften, jeden menschlich allzu menschlichen Mitmenschen um Vergebung gebetet werden. Nicht Verherrlichung, sondern – nach gebührendem Dank an Gott für unseren Frieden – das Gebet aus dem Vaterunser Jesu ist unser letzter wertvollster Dienst an jedem/r Verstorbenen. Vergib uns unsere Schuld. Genau, in der Wir-Sprache. Denn wir alle tragen in der einen oder anderen Weise (Mit-)Schuld mit uns herum, oder nicht? Nein, ich konnte die Verherrlichung in den Gebeten nicht mehr mit anhören. Das widersprach der biblischen Botschaft und unserer Landesverfassung. Letztere hatte Hage Geingob 1990 zur einstimmigen Annahme geführt. Ich meinerseits verneige mich respektvoll und dankbar vor dem Toten und bete zu Gott, vergib uns, vergib auch mir erkannte und unerkannte Schuld.
Klaus-Peter Tietz
Klaus-Peter Tietz
Kommentar
Allgemeine Zeitung
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