Alle 100 Jahre Schulen und Bars schließen
Parallelen zwischen der Spanischen Grippe und Corona
In den mehr als 100 Jahren der Berichterstattung schrieb die AZ nicht erst 2020 das erste Mal über eine Pandemie. Artikel von 1918 bis 1920 zeigen, wie ähnlich vor hundert Jahren mit einer unbekannten Seuche umgegangen wurde, nämlich der Spanischen Grippe.
Von Kevin Santy
Windhoek
Schon seit zwei Jahren leidet die Weltbevölkerung unter dem SARS-Cov-2 Virus. In der journalistischen Arbeit wurden Pandemie-Updates zur Gewohnheit, während Leser kaum noch von den Schulschließungen, Reisebeschränkungen und Todesfällen hören können. Die Pandemie bescherte internationalen Medienlandschaften neue Begriffe wie boostern oder freitesten, neue Formate wie tägliche Updates zu Infektionszahlen und eine ganze Menge Weiterbildungen in Sachen Virologie.
Doch was ist wirklich neu? Ein Blick in die öffentlich zugänglichen Archive der Allgemeinen Zeitung in Eros, Windhoek, zeigt, wie systematisch so eine Pandemie eigentlich abläuft. In „Der Weltkrieg“, wie der erste Vorläufer der AZ sich nannte, wurden ab 1916 täglich die Kriegsnachrichten der ganzen Welt übersetzt und abgedruckt. Zu den Wehen des Krieges kam am 16. Juli 1918 die Nachricht einer „neuen Krankheit“ in Namibia an.
Diese Krankheit, die sich vor allem in Fieber und Kraftlosigkeit zeige, würde bis 1920 zwischen 25 und 50 Millionen Tote fordern, und damit mehr als der erste Weltkrieg selbst mit 17 Millionen Opfern. Über zwei Jahre breitete sich der Virus A/H1N1 über den Globus aus, bevor er endemisch wurde und seinen Schrecken verlor. Auch 2022 scheinen wir diesem Stadium mit COVID-19 näher zu kommen, nach einem Verlust von etwa 5,6 Millionen Menschenleben. Die Berichte über die Spanische Grippe vor 102 Jahren zeigen was wir dazugelernt haben, und in welchen Bereichen sich rein gar nichts verändert hat.
Es fängt bereits mit der Benennung der Spanischen Grippe an. Im ersten Bericht, den „Der Weltkrieg“ über die Krankheit schrieb, wird auch von einer Flanderngrippe gesprochen, die jedoch vom gleichen Typus wie die spanische ist. Spätere Artikel sprechen auch von einer russischen Grippe.
Dabei kam die Grippe, oder Influenza, wie sie zu Beginn durch sprachliche Entlehnung genannt wurde, mit Sicherheit nicht aus Spanien. Die ersten Fälle wurden unter amerikanischen Soldaten gefunden, später auch in den anderen Armeen der kriegsbeteiligten Länder. Dort wurde jedoch aus strategischen Gründen nicht von Krankheitsfällen im Heer berichtet. Im neutralen Spanien bestand keine derartige Zensur.
Im 21. Jahrhundert haben wir solche deskriptiven Komposita abgelegt. Während Donald Trump darauf beharrte, den Corona-Virus als China-Virus zu bezeichnen, traf der Begriff aufgrund rassistischer Implikationen weltweit auf Ablehnung. Tatsächlich stieg 2020 die Anzahl der Gewalttaten gegen Menschen asiatischer Herkunft in den USA um 73 Prozent, wie Daten des FBIs zeigen, möglicherweise in Zusammenhang mit der Pandemie. Entsprechend tragen heute die Virusvarianten von COVID-19 offiziell die Namen griechischer Buchstaben.
Auffallend ist auch die getrennte Aufzählung der Infizierten und Toten unter den Kategorien Deutsche, Briten (als Besatzungsmacht) und „Eingeborenen“. Die rassistische Berichterstattung über die Todesfälle mag für viele Menschen damit erklärt sein, dass wir von einer anderen Zeit sprechen. Doch auch heutzutage berichteten verschiedene konservative westliche Medien von einer Verantwortungslosigkeit bestimmter ethnischer Gruppen. So diskutieren am 19. August die Moderatoren der Ingraham Angle Show auf dem US-Sender Fox News die Rolle der Afro-Amerikaner bei der noch erfolglosen Eindämmung der Pandemie.
Was die Auswirkungen der Pandemie und ihre Maßnahmen generell angeht, so zeigen die Jahrhundertseuchen wieder Parallelen. Über Winter und frühen Sommer 1918 hinweg wurden Schulen, Bars und Fabriken geschlossen, und die Sterbefälle häuften sich. In Kapstadt wurden Suppenküchen und Arzneidepots zentral eröffnet. Am 7. Oktober wird berichtet, dass große Hoffnungen auf der Impfung liegen. Am 11. Oktober berichtet „Der Weltkrieg“ von überforderten Leichenhallen in Indien. Am 23. Oktober wird von einer Genesung von einer Grippe-Infektion als die beste Immunisierung gesprochen.
Im November kam plötzlich die Entspannung. „Der Weltkrieg“ berichtet von immer weniger Krankheits- und Sterbefällen, Bars öffnen wieder, der Weg zur Normalität ist geebnet.
Damals wie heute kam die Pandemie natürlich in Wellen und die Freude der Bevölkerung war von kurzer Dauer. Bereits am 30. Januar 1919 schreibt das Blatt von der nächsten Welle, die weltweit auftaucht. Zusätzlich begleiteten Krankheiten wie Enzephalitis, aber zeitweise auch Typhus den Feldzug der Influenza.
Mit der Zeit wurden die Viren schwächer. Immer wieder bebte die Grippe auch nach den 1920ern nach, verlor jedoch ihren Schrecken. Hygiene-Standards verbesserten sich und medizinische Innovation gab den Menschen Mittel zur Wehr. Gegen jeden neuen Erreger müssen Menschen ihren Umgang jedoch neu lernen, wie COVID-19 zeigte
Und so wiederholt sich die Geschichte, und ein willkommener Leser zeigt im AZ-Archiv ein makabres Lächeln, als er die traurige Komik der Parallelen erkennt. Der Journalist, der 2122 über die nächste Pandemie berichtet, ist hiermit berechtigt, diesen Artikel zu verwenden.
Doch was ist wirklich neu? Ein Blick in die öffentlich zugänglichen Archive der Allgemeinen Zeitung in Eros, Windhoek, zeigt, wie systematisch so eine Pandemie eigentlich abläuft. In „Der Weltkrieg“, wie der erste Vorläufer der AZ sich nannte, wurden ab 1916 täglich die Kriegsnachrichten der ganzen Welt übersetzt und abgedruckt. Zu den Wehen des Krieges kam am 16. Juli 1918 die Nachricht einer „neuen Krankheit“ in Namibia an.
Diese Krankheit, die sich vor allem in Fieber und Kraftlosigkeit zeige, würde bis 1920 zwischen 25 und 50 Millionen Tote fordern, und damit mehr als der erste Weltkrieg selbst mit 17 Millionen Opfern. Über zwei Jahre breitete sich der Virus A/H1N1 über den Globus aus, bevor er endemisch wurde und seinen Schrecken verlor. Auch 2022 scheinen wir diesem Stadium mit COVID-19 näher zu kommen, nach einem Verlust von etwa 5,6 Millionen Menschenleben. Die Berichte über die Spanische Grippe vor 102 Jahren zeigen was wir dazugelernt haben, und in welchen Bereichen sich rein gar nichts verändert hat.
Es fängt bereits mit der Benennung der Spanischen Grippe an. Im ersten Bericht, den „Der Weltkrieg“ über die Krankheit schrieb, wird auch von einer Flanderngrippe gesprochen, die jedoch vom gleichen Typus wie die spanische ist. Spätere Artikel sprechen auch von einer russischen Grippe.
Dabei kam die Grippe, oder Influenza, wie sie zu Beginn durch sprachliche Entlehnung genannt wurde, mit Sicherheit nicht aus Spanien. Die ersten Fälle wurden unter amerikanischen Soldaten gefunden, später auch in den anderen Armeen der kriegsbeteiligten Länder. Dort wurde jedoch aus strategischen Gründen nicht von Krankheitsfällen im Heer berichtet. Im neutralen Spanien bestand keine derartige Zensur.
Im 21. Jahrhundert haben wir solche deskriptiven Komposita abgelegt. Während Donald Trump darauf beharrte, den Corona-Virus als China-Virus zu bezeichnen, traf der Begriff aufgrund rassistischer Implikationen weltweit auf Ablehnung. Tatsächlich stieg 2020 die Anzahl der Gewalttaten gegen Menschen asiatischer Herkunft in den USA um 73 Prozent, wie Daten des FBIs zeigen, möglicherweise in Zusammenhang mit der Pandemie. Entsprechend tragen heute die Virusvarianten von COVID-19 offiziell die Namen griechischer Buchstaben.
Auffallend ist auch die getrennte Aufzählung der Infizierten und Toten unter den Kategorien Deutsche, Briten (als Besatzungsmacht) und „Eingeborenen“. Die rassistische Berichterstattung über die Todesfälle mag für viele Menschen damit erklärt sein, dass wir von einer anderen Zeit sprechen. Doch auch heutzutage berichteten verschiedene konservative westliche Medien von einer Verantwortungslosigkeit bestimmter ethnischer Gruppen. So diskutieren am 19. August die Moderatoren der Ingraham Angle Show auf dem US-Sender Fox News die Rolle der Afro-Amerikaner bei der noch erfolglosen Eindämmung der Pandemie.
Was die Auswirkungen der Pandemie und ihre Maßnahmen generell angeht, so zeigen die Jahrhundertseuchen wieder Parallelen. Über Winter und frühen Sommer 1918 hinweg wurden Schulen, Bars und Fabriken geschlossen, und die Sterbefälle häuften sich. In Kapstadt wurden Suppenküchen und Arzneidepots zentral eröffnet. Am 7. Oktober wird berichtet, dass große Hoffnungen auf der Impfung liegen. Am 11. Oktober berichtet „Der Weltkrieg“ von überforderten Leichenhallen in Indien. Am 23. Oktober wird von einer Genesung von einer Grippe-Infektion als die beste Immunisierung gesprochen.
Im November kam plötzlich die Entspannung. „Der Weltkrieg“ berichtet von immer weniger Krankheits- und Sterbefällen, Bars öffnen wieder, der Weg zur Normalität ist geebnet.
Damals wie heute kam die Pandemie natürlich in Wellen und die Freude der Bevölkerung war von kurzer Dauer. Bereits am 30. Januar 1919 schreibt das Blatt von der nächsten Welle, die weltweit auftaucht. Zusätzlich begleiteten Krankheiten wie Enzephalitis, aber zeitweise auch Typhus den Feldzug der Influenza.
Mit der Zeit wurden die Viren schwächer. Immer wieder bebte die Grippe auch nach den 1920ern nach, verlor jedoch ihren Schrecken. Hygiene-Standards verbesserten sich und medizinische Innovation gab den Menschen Mittel zur Wehr. Gegen jeden neuen Erreger müssen Menschen ihren Umgang jedoch neu lernen, wie COVID-19 zeigte
Und so wiederholt sich die Geschichte, und ein willkommener Leser zeigt im AZ-Archiv ein makabres Lächeln, als er die traurige Komik der Parallelen erkennt. Der Journalist, der 2122 über die nächste Pandemie berichtet, ist hiermit berechtigt, diesen Artikel zu verwenden.
Kommentar
Allgemeine Zeitung
Zu diesem Artikel wurden keine Kommentare hinterlassen