„Euter ist für das Virus ein Huhn“
Viele Jahrzehnte schon sorgt die Vogelgrippe für heftige Erkrankungswellen unter Vögeln. Rinder ließ sie bisher verschont. Das hat sich plötzlich geändert. Wie groß ist die Gefahr für Menschen?
Von Annett Stein, dpa
Greifswald/Berlin
In den USA steigt die Zahl der mit Vogelgrippe infizierten Rinder. Mehr als 130 erfasste H5N1-Infektionen in einem Dutzend US-Bundesstaaten gibt es nach Angaben der US-Gesundheitsbehörde CDC inzwischen. Noch immer sei die Datenlage zu den Übertragungen dünn und Gegenmaßnahmen liefen nur schleppend an, bemängelt der Vizepräsident des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI), Martin Beer. Bekommen die USA den Erreger nicht in den Griff, „hätte man unter Umständen weltweit eine völlig neue Rinderkrankheit“.
Das Virus H5N1 kursiert seit Jahrzehnten verstärkt unter Vögeln - zunächst in Asien, inzwischen nahezu weltweit. Wasserbüffel oder andere Rinder-Arten habe es in all den Jahren nie befallen, sagt Beer. 2021 gelang dem Erreger der Sprung nach Nordamerika - und plötzlich, erstmals wohl im Herbst 2023, erkrankten Kühe. Forscher sind überrascht und zunehmend besorgt.
Die Konsequenzen
Weltweit werden 1,5 Milliarden Rinder gehalten, wie Beer sagt. Entstünde aus H5N1 eine neue, global auftretende Rindergrippe, stiege auch das Risiko für andere Nutztiere - etwa, wenn verunreinigte Rohmilch an Schweine verfüttert wird. Hinzu kommt: Ein Säugetier ist dem Menschen biologisch näher als ein Vogel. Das Zoonose-Risiko - also das Risiko für einen Übergang vom Tier auf den Menschen - kann abhängig von den erfolgten Anpassungen größer sein, wie Beer erklärt.
Was für ein Virus geht es?
H5N1 ist ein Influenza-A-Virus wie die beim Menschen kursierenden Erreger der saisonalen Grippe. H und N bezeichnen zwei Eiweiße der Virushülle: Hämagglutinin und Neuraminidase. Sie kommen jeweils in verschiedenen Subtypen vor (H1 bis H16 und N1 bis N9). Der Name H5N1 bedeutet also die Kombination der Eiweiße H5 und N1 auf der Oberfläche der Variante.
Seit 1997 werden verstärkt auf H5N1 zurückgehende Ausbrüche erfasst, wie FLI-Experte Beer erklärt. Seit 2016 breite sich eine Untervariante des Erregers aus, die sogenannte Klade 2.3.4.4b. Folge waren verheerende Vogelgrippe-Ausbrüche in inzwischen fast allen Teilen der Welt bei Wildvögeln, auch Geflügel und - seltener - Säugetiere wie Meeressäuger, Nerze, Füchse und Bären waren betroffen. Verschont blieb - bisher - nur Australien.
Der Sprung zum Rind?
Nach derzeitigem Analysestand gehe der Ausbruch in den USA womöglich auf einen einzelnen Eintrag zurück, erklärt Beer. Wie diese Übertragung vom Wildvogel auf eine Kuh ablief, etwa über verunreinigtes Futter, kontaminierte Einstreu oder direkten Kontakt, sei unklar. Doch eines wissen Forscher inzwischen: „Gelangt das Virus ins Euter, vermehrt es sich dort sehr stark“, sagt Beer.
Das liege auch an den Rezeptoren im Euter: Anders als etwa die in der Rindernase seien sie perfekte Andockstellen für die H5N1-Variante - ähnlich wie die Rezeptoren bei Vögeln. „Das Euter ist für das Virus quasi ein Huhn.“ Über verunreinigtes Melkgeschirr gelange der Erreger zu anderen Milchkühen, durch Transporte in immer neue Betriebe und Regionen.
Die Situation in den USA
Noch lasse sich nicht absehen, ob die schleppend beginnenden Gegenmaßnahmen in den USA rechtzeitig greifen. „Es kann sein, dass der Spuk in einiger Zeit vorbei ist“, sagt Beer. „Wenn das Virus inzwischen nicht schon lernt, effizient über die Nase von Rind zu Rind weitergegeben zu werden.“ In diesem Fall lasse sich eine weitere Verbreitung nur noch schwer stoppen.
Bei Tests und Schutzmaßnahmen existiere ein Flickenteppich an Regeln, ein umfassendes, USA-weites gezieltes Suchen nach infizierten Rindern und strenge Sperrmaßnahmen gebe es bisher nicht. „In Europa wäre das einheitlicher“, sagt Beer. Auch gebe es hier - ein Erbe aus der Zeit der Rinderseuche BSE - quasi das „gläserne Rind“, also eine durchgängige Nachverfolgbarkeit aller Rinder mit einer eindeutigen Kennzeichnung und entsprechende Datenbanken. In den USA fehle das.
Die US-Behörden scheinen weit davon entfernt, die Verbreitung der Vogelgrippe unter Rindern schnell zu stoppen. Zwar seien erste Überwachungsprogramme für mehr Tests initiiert worden, allerdings meist auf freiwilliger Basis, sagt Beer. „So etwas klappt eigentlich nur, wenn es verpflichtend ist. Sonst bleiben Lücken.“
Realistische Zahlen?
Aus der Analyse von Milchproben und anderen Hinweisen lasse sich schließen, dass es eine Dunkelziffer nicht erfasster Fälle gebe, so Beer. Viele US-Rinderfarmen sind riesig, teils werden deutlich mehr als 1.000 Tiere gehalten. Insgesamt gibt es darum nur rund 26.000 Milchviehbetriebe, wie Beer sagt. Zum Vergleich: Allein in Bayern seien es auch etwa 26.000, deutschlandweit rund 50.000.
In einem Massenbetrieb fallen Infektionen nicht unbedingt sofort auf - und Farmer sind nicht erpicht darauf, im Zuge von Nachweisen womöglich den ganzen Betrieb lahmgelegt zu bekommen. Bei möglichen Übertragungen auf Menschen kommt hinzu, dass in den USA regional viele Illegale in Betrieben arbeiten - die auch mit entsprechenden Symptomen einen Arztbesuch eher meiden.
Können sich Menschen bei Rindern anstecken?
Drei Fälle bei Menschen wurden laut CDC im Kontext des Ausbruchs in US-Milchviehhaltungen bisher erfasst. Jedes Mal sei eine Bindehautentzündung eines der Symptome gewesen, erklärt Beer. „Der Mensch hat die Vogelgrippe-Rezeptoren im Auge.“ Fasst sich ein Arbeiter zum Beispiel beim Melken ans Auge, kann der Erreger andocken.
Pasteurisierte Milch gilt als unbedenklich, wie gerade eine im „Journal of Virology“ vorgestellte Studie bestätigte. In 20 Prozent der etwa 300 untersuchten pasteurisierten Milchprodukte aus 132 US-Verarbeitungsbetrieben wurden demnach nicht-infektiöse Spuren des viralen Erbguts gefunden, infektiöses Virus in keinem einzigen Fall.
Eine Infektion über Rohmilch gilt hingegen als möglich. Farm-Katzen haben sich in den vergangenen Monaten schon häufig über aufgeschleckte Rohmilch angesteckt. In zahlreichen der erfassten Fälle starben sie, wie Beer sagt. „Das Virus infiziert bei ihnen meist auch das Gehirn.“ Ganz neu sei diese Erkenntnis nicht: Auch in Polen und Südkorea habe es schon Vogelgrippe-Ausbrüche bei Katzen gegeben - immer über kontaminierte Nahrung, bisher nicht von Katze zu Katze.
Anders ist das bei bestimmten Meeressäugern sowie für die Pelztierzucht gehaltenen Arten wie Nerz und Polarfuchs. Für Meeressäuger gelten Übertragungen zwischen Artgenossen als hoch wahrscheinlich, bei Tieren in Pelztierfarmen als weitgehend gesichert, wie Beer sagt.
Generell gilt, anders als beim Corona-Virus: „Man weiß schon sehr lange, was man machen muss für einen Influenza-Impfstoff“, sagt Beer. Klassisch erfolge die Produktion in Hühnereiern, inzwischen werde auch an mRNA-Impfstoffen gearbeitet. Im Falle des Falles könnte es also schnell gehen mit einer Massenproduktion schützender Impfstoffe.
Greifswald/Berlin
In den USA steigt die Zahl der mit Vogelgrippe infizierten Rinder. Mehr als 130 erfasste H5N1-Infektionen in einem Dutzend US-Bundesstaaten gibt es nach Angaben der US-Gesundheitsbehörde CDC inzwischen. Noch immer sei die Datenlage zu den Übertragungen dünn und Gegenmaßnahmen liefen nur schleppend an, bemängelt der Vizepräsident des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI), Martin Beer. Bekommen die USA den Erreger nicht in den Griff, „hätte man unter Umständen weltweit eine völlig neue Rinderkrankheit“.
Das Virus H5N1 kursiert seit Jahrzehnten verstärkt unter Vögeln - zunächst in Asien, inzwischen nahezu weltweit. Wasserbüffel oder andere Rinder-Arten habe es in all den Jahren nie befallen, sagt Beer. 2021 gelang dem Erreger der Sprung nach Nordamerika - und plötzlich, erstmals wohl im Herbst 2023, erkrankten Kühe. Forscher sind überrascht und zunehmend besorgt.
Die Konsequenzen
Weltweit werden 1,5 Milliarden Rinder gehalten, wie Beer sagt. Entstünde aus H5N1 eine neue, global auftretende Rindergrippe, stiege auch das Risiko für andere Nutztiere - etwa, wenn verunreinigte Rohmilch an Schweine verfüttert wird. Hinzu kommt: Ein Säugetier ist dem Menschen biologisch näher als ein Vogel. Das Zoonose-Risiko - also das Risiko für einen Übergang vom Tier auf den Menschen - kann abhängig von den erfolgten Anpassungen größer sein, wie Beer erklärt.
Was für ein Virus geht es?
H5N1 ist ein Influenza-A-Virus wie die beim Menschen kursierenden Erreger der saisonalen Grippe. H und N bezeichnen zwei Eiweiße der Virushülle: Hämagglutinin und Neuraminidase. Sie kommen jeweils in verschiedenen Subtypen vor (H1 bis H16 und N1 bis N9). Der Name H5N1 bedeutet also die Kombination der Eiweiße H5 und N1 auf der Oberfläche der Variante.
Seit 1997 werden verstärkt auf H5N1 zurückgehende Ausbrüche erfasst, wie FLI-Experte Beer erklärt. Seit 2016 breite sich eine Untervariante des Erregers aus, die sogenannte Klade 2.3.4.4b. Folge waren verheerende Vogelgrippe-Ausbrüche in inzwischen fast allen Teilen der Welt bei Wildvögeln, auch Geflügel und - seltener - Säugetiere wie Meeressäuger, Nerze, Füchse und Bären waren betroffen. Verschont blieb - bisher - nur Australien.
Der Sprung zum Rind?
Nach derzeitigem Analysestand gehe der Ausbruch in den USA womöglich auf einen einzelnen Eintrag zurück, erklärt Beer. Wie diese Übertragung vom Wildvogel auf eine Kuh ablief, etwa über verunreinigtes Futter, kontaminierte Einstreu oder direkten Kontakt, sei unklar. Doch eines wissen Forscher inzwischen: „Gelangt das Virus ins Euter, vermehrt es sich dort sehr stark“, sagt Beer.
Das liege auch an den Rezeptoren im Euter: Anders als etwa die in der Rindernase seien sie perfekte Andockstellen für die H5N1-Variante - ähnlich wie die Rezeptoren bei Vögeln. „Das Euter ist für das Virus quasi ein Huhn.“ Über verunreinigtes Melkgeschirr gelange der Erreger zu anderen Milchkühen, durch Transporte in immer neue Betriebe und Regionen.
Die Situation in den USA
Noch lasse sich nicht absehen, ob die schleppend beginnenden Gegenmaßnahmen in den USA rechtzeitig greifen. „Es kann sein, dass der Spuk in einiger Zeit vorbei ist“, sagt Beer. „Wenn das Virus inzwischen nicht schon lernt, effizient über die Nase von Rind zu Rind weitergegeben zu werden.“ In diesem Fall lasse sich eine weitere Verbreitung nur noch schwer stoppen.
Bei Tests und Schutzmaßnahmen existiere ein Flickenteppich an Regeln, ein umfassendes, USA-weites gezieltes Suchen nach infizierten Rindern und strenge Sperrmaßnahmen gebe es bisher nicht. „In Europa wäre das einheitlicher“, sagt Beer. Auch gebe es hier - ein Erbe aus der Zeit der Rinderseuche BSE - quasi das „gläserne Rind“, also eine durchgängige Nachverfolgbarkeit aller Rinder mit einer eindeutigen Kennzeichnung und entsprechende Datenbanken. In den USA fehle das.
Die US-Behörden scheinen weit davon entfernt, die Verbreitung der Vogelgrippe unter Rindern schnell zu stoppen. Zwar seien erste Überwachungsprogramme für mehr Tests initiiert worden, allerdings meist auf freiwilliger Basis, sagt Beer. „So etwas klappt eigentlich nur, wenn es verpflichtend ist. Sonst bleiben Lücken.“
Realistische Zahlen?
Aus der Analyse von Milchproben und anderen Hinweisen lasse sich schließen, dass es eine Dunkelziffer nicht erfasster Fälle gebe, so Beer. Viele US-Rinderfarmen sind riesig, teils werden deutlich mehr als 1.000 Tiere gehalten. Insgesamt gibt es darum nur rund 26.000 Milchviehbetriebe, wie Beer sagt. Zum Vergleich: Allein in Bayern seien es auch etwa 26.000, deutschlandweit rund 50.000.
In einem Massenbetrieb fallen Infektionen nicht unbedingt sofort auf - und Farmer sind nicht erpicht darauf, im Zuge von Nachweisen womöglich den ganzen Betrieb lahmgelegt zu bekommen. Bei möglichen Übertragungen auf Menschen kommt hinzu, dass in den USA regional viele Illegale in Betrieben arbeiten - die auch mit entsprechenden Symptomen einen Arztbesuch eher meiden.
Können sich Menschen bei Rindern anstecken?
Drei Fälle bei Menschen wurden laut CDC im Kontext des Ausbruchs in US-Milchviehhaltungen bisher erfasst. Jedes Mal sei eine Bindehautentzündung eines der Symptome gewesen, erklärt Beer. „Der Mensch hat die Vogelgrippe-Rezeptoren im Auge.“ Fasst sich ein Arbeiter zum Beispiel beim Melken ans Auge, kann der Erreger andocken.
Pasteurisierte Milch gilt als unbedenklich, wie gerade eine im „Journal of Virology“ vorgestellte Studie bestätigte. In 20 Prozent der etwa 300 untersuchten pasteurisierten Milchprodukte aus 132 US-Verarbeitungsbetrieben wurden demnach nicht-infektiöse Spuren des viralen Erbguts gefunden, infektiöses Virus in keinem einzigen Fall.
Eine Infektion über Rohmilch gilt hingegen als möglich. Farm-Katzen haben sich in den vergangenen Monaten schon häufig über aufgeschleckte Rohmilch angesteckt. In zahlreichen der erfassten Fälle starben sie, wie Beer sagt. „Das Virus infiziert bei ihnen meist auch das Gehirn.“ Ganz neu sei diese Erkenntnis nicht: Auch in Polen und Südkorea habe es schon Vogelgrippe-Ausbrüche bei Katzen gegeben - immer über kontaminierte Nahrung, bisher nicht von Katze zu Katze.
Anders ist das bei bestimmten Meeressäugern sowie für die Pelztierzucht gehaltenen Arten wie Nerz und Polarfuchs. Für Meeressäuger gelten Übertragungen zwischen Artgenossen als hoch wahrscheinlich, bei Tieren in Pelztierfarmen als weitgehend gesichert, wie Beer sagt.
Generell gilt, anders als beim Corona-Virus: „Man weiß schon sehr lange, was man machen muss für einen Influenza-Impfstoff“, sagt Beer. Klassisch erfolge die Produktion in Hühnereiern, inzwischen werde auch an mRNA-Impfstoffen gearbeitet. Im Falle des Falles könnte es also schnell gehen mit einer Massenproduktion schützender Impfstoffe.
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