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Ich weiß was, was gar nicht stimmt!

Es scheint ein Phänomen zu sein, das auch noch teils durch Studien belegt ist: In jeder Gruppe gibt es theoretisch einen, der alles besser weiß. Überzeugung ist das Stichwort, denn zumeist handelt es sich um Halb- oder gar Nichtwissen, unterlegt mit irgendwelchen Behauptungen. Die Dunning-Kruger-Effekt Studie behandelt dieses Thema.
Olaf Mueller
Rollende Augen, genervte Blicke, gelangweilte Gesichter – Der „Besserwisser hat wieder sein „Wissen“ in den Äther geprustet. Allerdings wird dies nicht für bahre Münze genommen. Der Grund ist einfach: Sein Halb- oder gar Nichtwissen gibt derjenige von sich. Interessant wird es, wenn in einer Runde diese Person auf eine gleichgesinnte trifft. Dann heißt es: Zurücklehnen und entspannen, denn dies könnte ohne eigenes Zutun ein geselliger Abend werden. Es gibt sie zu Hauf: Menschen, die das eigene Wissen und Können überschätzen. Diese Neigung beruht auf der Unfähigkeit, sich selbst einschätzen zu können. Hier handelt es sich um den Dunning-Kruger-Effekt: Die kognitive Verzerrung im Selbstverständnis inkompetenter Menschen, sich objektiv im Handeln und Denken zu beurteilen.

Der US-amerikanische Sozialpsychologe und Professor der Psychologie David Alan Dunning und Justin Kruger, ebenfalls Professor und Sozialpsychologe, haben im Jahr 1999 eine Publikation zu diesem Thema veröffentlicht, und damit diesen Begriff geprägt. Inkompetenz gepaart mit Ignoranz wie zum Beispiel beim Autofahren, Schachspielen oder Erfassen von Texten führt nach Beobachtung der Beiden zu mehr Selbstbewusstsein.

Mit weiteren Experimenten an der Cornell University vertieften Dunning und Kruger diesen Effekt. Das Ergebnis: Weniger kompetente Personen neigen dazu,

— ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen,

— überlegene Fähigkeiten bei anderen nicht zu erkennen,

— das Ausmaß ihrer Inkompetenz nicht richtig einzuschätzen.

Diese Personen können allerdings dagegen wirken, in dem sie durch Ausbildung oder Übung ihre Sinne schulen und schärfen. Das hilft ihnen sich, aber auch andere besser einzuschätzen. Generell fällt es vielen Menschen schwer, einen Schritt zurückzutreten und das eigene Verhalten und die eigenen Fähigkeiten von außen zu betrachten (Metakognition). Allerdings geht es auch in die umgekehrte Richtung und das hängt von der Persönlichkeit, beziehungsweise dem Charakter ab, wie der Auftritt nach außen wirkt. So gibt es auch diejenigen, die sich unterschätzen.

Die Studien von Dunning und Kruger wurden von vielen anderen Wissenschaftlern aufgegriffen und auf ein bestimmtes Thema angewandt. Aber nicht nur Wissenschaftler nahmen sich des Themas an. So hat der ehemalige professionelle Rennfahrer, Fahrlehrer für Fortgeschrittene und gefragter Kritiker für Fahrzeugbewertungen, Paul F. Gerrard, das Thema in seinem Buch „Optimum Drive: The Road Map to Driving Greatness“ aufgenommen und es auf das Verkehrsverhalten von Personen bezogen. Denjenigen, denen das Fernseh-Auto-Format „Top Gear“ ein Begriff ist, kennen Gerrard als den „Stig“ (Ein Testfahrer, der im Magazin nur in weißem Rennoverall und mit Helm zu sehen ist).

QUOTE

„Ich weiß, dass ich nichts weiß“

Sokrates, griechischer Philosoph

Getreu dem Motto ,,Man weiß nicht, was man nicht weiß!“, legt der Ex-Stig seinen Fokus auf das, was man zunächst nicht weiß. Für Gerrard stellt sich die Frage, wie zum Weg der Erleuchtung finden, wenn die Richtung unbekannt ist. Die Erkenntnis liegt für den 58-jährigen Amerikaner in „Nuancen“. Darin liege seiner Meinung nach das ganzheitliche, allumfassende Verständnis, welches alles in den Fokus rückt, verbindet und fließen lässt.

Soviel zur Theorie, in der Praxis bedeutet das so viel wie, die Menschen, welche im Dunning-Kruger feststecken, wissen und bemerken es nicht. Warum, gilt es herauszufinden. Die Lösung sieht der erfahrene Rennfahrer im Detail. Ein Beispiel: Die meisten Fahrer bis hin zu sehr erfahrenen Fahrern (das können Jahrzehnte des Wettbewerbsfahrens sein) denken, dass es beim Schnellsein nur um Geschwindigkeit und Position geht. Weit gefehlt, dass dieses Wissen nur eine Vereinfachung dessen ist, von dem, was wirklich dahinter steckt. Dinge vereinfachen steckt in der Natur des Menschen. Allerdings wird ein Rennfahrer mit dieser Einstellung nie das Optimum aus seinem Fahrzeug herausholen. Hier fehlt das Wissen, sein Gefährt zu ganzheitlich verstehen, und bis ins kleinste Detail zu kennen, um genau dieses Optimum abrufen zu können. Das ist genau der Punkt, wo die meiste Arbeit auf denjenigen wartet – in Nuancen, Schritt für Schritt.

Im Straßenverkehr allerdings ist der paradoxe Hang zur Selbstüberschätzung zum Teil lebensgefährlich und das nicht nur für die Person selber. Zum Beispiel, wenn der 18-jährige Fahranfänger meint, besser zu fahren als alle anderen. Aber auch das Internet birgt lebensgefährliche Gefahren. Wie sieht es mit einer Selbst-Diagnose per Suchmaschine aus? Doktor spielen mit Hilfe des Internets, die Götter in weiß sind gewiss nicht unfehlbar, aber mit Sicherheit hat eine ärztliche Diagnose wesentlich mehr Gewicht und ist in fast allen Fällen zutreffend. Und wenn mal nicht, dann bittet ein Arzt einen Kollegen um seinen Rat. Google hat nicht die Möglichkeit, bei Bing oder Yahoo (um nur einige Suchmaschinen zu nennen) kurz nachzufragen, woran es noch liegen könne. Oder aber auch die (a)sozialen Medien, die zunehmend Halb- oder Nichtwissen verbreiten, basierend auf irgendwelchen an den Haaren herbeigezogenen Fakten. Auch hier ist Vorsicht geboten.

Das Fatale am Dunning-Kruger-Effekt ist, dass es auch Beispiele gibt, wo Inkompetenz gepaart mit Ignoranz auch zum Erfolg führt – der Bereich Karriere. Laut dem Sozialpsychologen Hans-Peter Erb von der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg, erreicht derjenige, der sich selbst mehr zutraut, meist auch mehr. Demnach haben die Unwissenden mit Überzeugungskraft oftmals mehr Chancen, als diejenigen, welche „Tiefstapeln“. Erb zufolge steigert Selbstüberschätzung das Selbstwertgefühl und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.

Allerdings legen neue Forschungen dar, das die Studie von Dunning/Kruger nicht ganz so ausgeprägt ist, wie angenommen. So wurden bei den Beobachtungen Faktoren vernachlässigt, die eine hinreichende Auswertung des Effekts belegen würden. Einer davon ist die sogenannte Regression zur Mitte. Das bezeichnet das Phänomen, dass nach einem extrem ausgefallenen Messwert die nachfolgende Messung wahrscheinlich wieder näher am Durchschnitt liegt, falls der Zufall einen Einfluss auf die Messgröße hat. Will heißen: Hätte man die Testreihe an der gleichen Person mehrmals durchgeführt, wäre die Ausprägung der Selbstüberschätzung eher der einer Durchschnittsperson gewesen.

Zudem haben weitere Studien zu dem Thema belegen können, dass etwa 80 Prozent der weniger kompetenten Probanden ihre Intelligenz und Fähigkeiten recht gut einschätzen konnten. Demnach ist das Ergebnis der Dunning-Kruger-Effekt-Studie nur in abgeschwächter Form zu bewerten. Die Aussage, die getroffen werden kann ist, dass die meisten Menschen sich für besser als durchschnittlich halten. Auf diesem Feld der Forschung ist zudem noch viel Folgearbeit zu leisten.

Zurück zu unserer Runde: Wenn der unterhaltsame Teil der zwei Kontrahenten langsam zu nervig umschwingt, gibt es ja noch die Möglichkeit für den Rest der Anwesenden, sich auszuklinken und eigens eine Konversation zu führen. Die zwei „Besserwisser“ werden dies kaum merken. Selbst wenn man sich nach und nach verabschiedet, bleibt dies meist unbeachtet – dies sind allerdings eigene Beobachtungen und Erfahrungswerte.

Olaf Mueller

Quellen: Wikipedia, verwellmind.com, The Optimum Drive, dpa, ranactive.com, u.a.

Kommentar

Allgemeine Zeitung 2024-11-23

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